Veranstaltungsprogramm

Sitzung
AdH64: Politische Theorie(n) des Geldes in Umbruchszeiten
Zeit:
Mittwoch, 24.09.2025:
9:00 - 11:45

Chair der Sitzung: Aaron Sahr, Hamburger Institut für Sozialforschung
Chair der Sitzung: Florian Schmidt, Hamburger Institut für Sozialforschung
Sitzungsthemen:
Meine Vortragssprache ist Deutsch.

Zusammenfassung der Sitzung

Alle Vorträge der Veranstaltung werden auf Deutsch gehalten.


Präsentationen

Die Politik des Geldes. Eine Konflikttheorie des Monetary Loops

Anton Harms

Freie Universität Berlin, Deutschland

Was würde es heißen, nicht nur Zentralbankpolitiken und Finanzmarktgeschehen, sondern ebenso Lohn- und Besteuerungskonflikte geldtheoretisch zu verstehen? Wenn wir Geld in seiner empirischen Gestalt ernst nehmen, ist es nichts weiter als transferierbarer Kredit. Geld existiert nur, weil es zunächst als Kredit produziert wird, bevor es dann zirkulieren kann und zuletzt durch die Zurückzahlung des Kredits wieder verschwindet. Modernes Geld kann somit als ein Geldkreislauf konzipiert werden, der sich aus einer Produktions-, Zirkulations- und Vernichtungsphase zusammensetzt. Mein Vorschlag ist es nun, diese drei Phasen als gesellschaftliche Bargains zu konzipieren, über deren Ausgang politische und ökonomische Eliten sowie die Bevölkerung kontinuierlich verhandeln. Je nachdem wie Gesellschaften ihr Geld entlang der Geld-Bargains organisieren, können wir verschiedene Typen von Geldordnungen ausmachen, die ihr Geld eher demokratischen, technokratischen oder vermarktlichten Logiken unterordnen. Geld wird hierbei als strukturierende Institution moderner Gesellschaften verortet, die häufig eine eigenartige Position im demokratischen Kapitalismus einnimmt. Es soll ein konzeptueller Rahmen zur Analyse von Geldordnungen ausgearbeitet werden, der es ermöglicht, zu vergleichen, wie verschiedene Staaten das Verhältnis von Geld und Demokratie ausloten. So zielt das Projekt insgesamt darauf ab, durch die Heuristik des Geldkreislaufs politische Theorien des Geldes zu operationalisieren, um eine systematische Analyse realer Geldordnungen zu ermöglichen.



Geldentwertung, Teuerung und instabile Preise - Grundzüge einer Soziologie ohne Inflation

Florian Penz

Wirtschaftsuniversität Wien, Österreich

Vor dem Hintergrund von seit der Corona-Pandemie und dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine steigender Preise in Europa rückte die Inflation wieder in den Fokus der Wirtschaftssoziologie. Diese betrachtet Geld als relationales Phänomen, hat bislang jedoch kein eigenes Begriffsangebot für Perioden steigender Preise entwickelt.

Zunächst wird dargelegt, dass der konventionelle Inflationsbegriff mit einer warentheoretischen Auffassung von Geld verknüpft ist, die mit einem soziologischen Geldverständnis unvereinbar ist. Seine Uniformität verdeckt die Kontextabhängigkeit und Komplexität von Preisdynamiken. Eine Kredittheorie des Geldes, die sich von Warentheorien und von Staatstheorien distanziert, dient als Grundlage für ein soziologisch fundiertes Verständnis von Perioden steigender Preise.

Der Beitrag skizziert sodann die Grundzüge einer Soziologie instabiler Preise, die ohne den Inflationsbegriff auskommt. Zentral ist die Unterscheidung zweier Preisdynamiken, die empirisch oft zusammenfallen, analytisch aber getrennt gefasst werden können.

Teuerung resultiert aus ökonomischen Interessenskonflikten und damit verbundenen Verschiebungen von Preissetzungsmacht, die sich im Preissystem wierspiegeln und zu steigenden Lebenshaltungskosten für bestimmte Bevölkerungsgruppen führen können (cost-of-living crises). Relative Preise sind oft stärker betroffen als das allgemeine Preisniveau. Beispiele sind die aktuelle Preiserhöhung in Europa und den USA sowie die „Great Inflation“ der 1970er Jahre.

Geldentwertung basiert auf Vertrauensverlusten in die emittierende Institution einer Geldform. Das gegenwärtige Geldsystem ist hierarchisch strukturiert und durch eine Vielzahl überlappender Geldräume und Kreditgeldformen gekennzeichnet. Sinkt das Vertrauen in eine emittierende Institution, ändert sich das Verhältnis der jeweiligen Geldform zu alternativen Geldformen. Geldentwertung führt oft zu allgemeinen Kaufkraftkrisen oder chronischen Kaufkraftverlusten innerhalb eines Geldraumes. Beispiele sind die Weimarer Hyperinflation oder die chronische Inflation in Argentinien.

Eine Unterscheidung zwischen Teuerung und Geldentwertung kann helfen, geldtheoretische Widersprüche aufzulösen und empirische Fälle besser einzuordnen. Zudem kann eine begriffliche Differenzierung den Dialog zwischen der Soziologie der Preise und der Soziologie des Geldes fördern.



Jenseits von Steuerstaat und Handlungsautonomie – zur monetären Konstitution öffentlicher Finanzen

Carolin Müller

Hamburger Institut für Sozialforschung, Deutschland

Aufrüstung, Handelskonflikte, Rechtsruck und Klimawandel. Der neue Finanzminister steht vor großen Finanzierungsherausforderungen. Deren politische Konditionen werden gleichsam immer undurchsichtiger. Einerseits scheint die Schuldenbremse politisch fest im Grundgesetz verankert, andererseits wird fiskalische Handlungsfähigkeit zunehmend abhängig von der Verstetigung von Sondervermögen. Ähnliches gilt für die Zentralbank, deren vormals „außerordentliche“ Maßnahmen der Stützung europäischer Staatsanleihen zunehmend auf Dauer gestellt scheinen.

Soziologische Staatsfinanzierungsdebatten aber blenden meist einen Teil dieser Realitäten aus, indem sie die Politik der öffentlichen Finanzierung als steuerbasierte Ermöglichungsordnung betrachten. Zahlungsfähigkeit sei eine Frage der Fähigkeit, Abgaben zu erheben. Fiskalsoziologisch ist das Interesse am „Steuerstaat“ deshalb eines der gesellschaftlichen Besteuerbarkeit und ihrer sozialstrukturellen Konsequenzen. Ansätze wie die MMT setzen dagegen einen wichtigen Kontrapunkt im fiskalpolitischen Diskurs: Staaten müssten sich der Handlungsautonomie bewusst werden, die ihnen der Zugriff auf die Geldschöpfungskapazitäten ihrer eigenen Währung eröffnen würde. Damit ist angedeutet, dass die steuerstaatlich imprägnierte Soziologie auf entpolitisierenden geldtheoretischen Prämissen beruht. Zugleich aber hat eine solche pauschale „Politisierung“ monetärer Unendlichkeiten ihre eigene entpolitisierende Kehrseite, wenn sie „technische“ Handlungsautonomien beansprucht und dabei jene Begrenzungspolitiken fiskalischer Spielräume übergeht, die für die politisch-soziale Konstitution der monetären Ordnung konstitutiv sind.

Denn Geld ist soziologisch als relativ stabile Organisation des Produzierens und Auflösens von Schuldbeziehungen zu verstehen, deren soziale Logik vor allem die der Beschränkung monetärer Positionen ist, d.h. die Konstruktion spezifischer Kriterien der Ausweitung dieser Verpflichtungsbeziehungen. Für die öffentliche Zahlungsfähigkeit spielt dabei vor allem die politische Etablierung von Souveränität eine Rolle. Der Vortrag möchte einen theoretischen Ansatz vorschlagen, der „souveräne Kreditwürdigkeit“ geldtheoretisch denkt, ohne dabei die politischen Rationierungen der Geldordnung als analytisch nachrangig zu betrachten, sondern diese in den Mittelpunkt zu stellen.



The Future of Money in the Digital Age: What Role for the State?

Barbara Brandl, Guadalupe Moreno

Goethe-Universität Frankfurt, Deutschland

Money is undergoing a significant transformation due to digitalization, once again underscoring its inherently political nature. As we transition into a digital payment era, cash is being steadily replaced by digital means of payment, such as credit cards, debit cards, virtual wallets, mobile money, apps, and QR codes. However, most of the cashless payment options available today are provided by private companies seeking to generate profits and capable of imposing their conditions and prices on merchants and consumers. As a result, the shift to a cashless economy is not only a technological advancement but also a profound transformation that raises critical questions about the state’s role in reshaping the monetary system.

This contribution provides an overview of how states are navigating the transition to a cashless economy across different regions. In some areas, such as Europe states are actively developing public solutions such as the Digital Euro. In other regions, such as Africa, China, and Latin America, the private sector is taking the lead, offering payment solutions through super apps or mobile money. In countries like Brazil, where the state lacks the power to swiftly develop a CBDC, an alternative approach has emerged: the creation of instant payment systems under state control.

This contribution analyzes these different approaches and explores the political and social implications of how states regulate and promote the digitalization of money.