Veranstaltungsprogramm

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Sitzungsübersicht
Sitzung
AdH60: Neues vom Skandal?! Forschungsstand und theoretische Anschlüsse an ein transitorisches Phänomen
Zeit:
Mittwoch, 24.09.2025:
14:15 - 17:00

Chair der Sitzung: Uta Karstein, Universität Leipzig
Chair der Sitzung: André Armbruster, Universität Duisburg-Essen
Sitzungsthemen:
Meine Vortragssprache ist Deutsch.

Zusammenfassung der Sitzung

Alle Vorträge der Veranstaltung werden auf Deutsch gehalten.


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Präsentationen

Neues vom Skandal?! Einführung und Überblick

Uta Karstein1, André Armbruster2

1Universität Leipzig, Deutschland; 2Universität Duisburg-Essen

In dem einführenden Beitrag werden der bisherige Stand der Skandalsoziologie und dominante konzeptionelle Zugriffe vorgestellt. Anschließend identifiziert der Vortrag Desiderata der Forschung und mögliche Anknüpfungspunkte, die es erlauben, die Soziologie des Skandals stärker als bislang mit anderen soziologischen Perspektiven und Forschungsfeldern ins Gespräch zu bringen.



Der documenta-fifteen-Skandal

Heinz Bude

documenta-Institut, Deutschland

Die domenta fiftenn löste im Sommer 2022 eine heftige Debatte über Antisemitismus, Postkolonialismus und über die Grenzen der Kunstfreiheit aus. Was ein Sommermärchen fürs Publikum werden sollte ("Make Friends, not Art") Ende als ein Skandal in der deutschen Öffentlichkeit und im globalen Kunstfeld. Seitdem existiert ein "Stellungskrieg" (Chantal Mouffe) zwischen Lagern der Fürsprache. Die Wirkungsgeschichte der documenta fifteen kann man heute nicht mehr ohne den "Gaza-Moment" (Albert Koschorke) vom 7. Oktober 2023 und den daran anschließenden Kriegshandlungen ermessen. War diese documenta der Dammbruch für einen Neuen Antisemitismus? Oder hat sich hier eine der "gefährlichen Begegnungen" (Dan Diner) zugetragen, die den Einwanderungsgesellschaften der OECD-Welt ins Haus steht? Oder ist auf dieser Ausstellung, die keine Ausstellung im hergebrachte Sinne sein wollte, die Krise einer Gegenwartskunst deutlich geworden, die in die Gesellschaft wirken will, aber mit den Reaktionen, die sie hervorruft, nicht mehr zurechtkommt? Die Fragen stellen sich nicht allein für die Kunst, sondern für alle performativen Formate der Adressierung von Öffentlichkeiten in der Gegenwartsgesellschaft. Also auch für eine Soziologie, die sich als "öffentliche Soziologie" versteht.



Der Skandal als Form der Zeitbindung

Jonas Jutz

Zeppelin Universität, Deutschland

In der Beschäftigung mit der zeitlichen Dimension von Skandalen sind vorrangig Phasen- und Prozessmodelle von Skandalverläufen vorgelegt worden, in funktionalen Betrachtungen treten abseits historischer Perspektiven temporale Charakteristika zugunsten der Fokussierung von Normen in den Hintergrund. Dabei könnten in der funktional differenzierten Gesellschaft weder unverzichtbare Normen noch einheitliche Zeitsemantiken die Gesellschaft als ganze synchronisieren oder gar integrieren. Wenn durch Skandale die Verletzung notwendigerweise partieller Normen für partielle Öffentlichkeiten kommuniziert wird, wird die implizierte gesellschaftsweite Anschlussfähigkeit zum Problem. Insofern kann der Skandal als Form der Zeitbindung konzipiert werden, weil er durch seine Integration von Vergangenheit und Zukunft (Aufmerksamkeits-)Kapazitäten in der Sozial- und Sachdimension bindet. Nicht nur in den ohnehin streitbaren aufgerufenen Normen, sondern insbesondere in dieser temporal bedingten Beanspruchung sachlichen und sozialen Sinns liegt sein polemogenes Potential. Wird mit der gegenwärtigen Operation der Skandalkommunikation eine Normverletzung in der Vergangenheit markiert und mit Blick auf zukünftiges Verhalten skandalisiert, folgt der Skandal einer präventiven Logik einer für kontingente Projektionen und Imaginationen offenen Zukunft. In dieser Synchronisationsleistung besteht die Gesellschaft stabilisierende wie reproduzierende Funktion des Skandals. Nach der Logik der Präemption hingegen wird vor dem Hintergrund von noch nicht materialisierten, aber als katastrophal befürchteten geschlossenen Zukünften die Transformation der Gegenwart gefordert. Präemption ist damit ebenso konfliktträchtig oder skandalös – zumindest aber skandalisierbar – wie der Skandal selbst. Dies gilt besonders, wenn sich die Kommunikation dieser katastrophalen Zukunftsszenarien als Skandal zu inszenieren versucht, um Aufmerksamkeit für die Dringlichkeit ihrer Forderungen sicherzustellen. Daran anschließend untersucht der Beitrag die temporalen Funktionen und Folgen von Skandalen im Zusammenhang mit unterschiedlichen Formen der Antizipation und Imagination zukünftiger Ereignisse, um die Skandalforschung mit zeit- und zukunftssoziologischen Überlegungen ins Gespräch zu bringen.



Cancel Culture im transnationalen Beziehungskontext: Eine neue Dimension der Skandalisierung?

Mei-Chen Spiegelberg

Universität Bielefeld, Deutschland

In den letzten Jahren häufen sich in sozialen Medien Aufrufe zur Boykottierung öffentlicher Akteur*innen, wie Marken oder Prominenten, was oft zu Reputations- und/oder wirtschaftlichen Verlusten führt – eine sogenannte Cancel Culture. Dabei werden oft moralische Verfehlungen zur Sprache gebracht, die als Skandalisierungsrahmen dienen (vgl. Imhof 2002: 73). Skandalisierung wird als Kommunikationsprozess beschrieben, bei dem ein Verstoß gegen den sozialen Leitcode öffentliche Empörung hervorruft (Burkhardt 2011: 131). Diese Reaktion führt zu einer Canceling-Praxis, die gesellschaftliche Diskurse mobilisiert und die Aushandlung sozialer Normen fordert. Andererseits entfacht diese Praxis auch Gegenkritik, die die Legitimität von Cancel Culture infrage stellt. Clark bezeichnet diese Kritik als ein „bösartiges Etikett“ (2020: 88), das genutzt wird, um Cancel Culture als emanzipatorisches Instrument zu delegitimieren und zu stigmatisieren. Daher lässt sich Cancel Culture nicht nur als ein Phänomen der Skandalisierung, sondern auch als Ziel einer Gegenskandalisierung verstehen.

Basierend auf dieser theoretischen Überlegung untersucht dieser Beitrag die transnationale Dimension von Cancel Culture, indem er den Fall der Boykottierung des Disneyfilms Mulan im Zusammenhang mit der umstrittenen Äußerung der Hauptdarstellerin Liu Yifei analysiert. Liu, die für ihre Unterstützung der Polizei in Hongkong während der Protestbewegung 2019 öffentlich kritisiert wurde, erlebte in westlichen sozialen Medien einen Boykottaufruf. Im chinesischen Netz verlief die Diskussion in eine völlig andere Richtung: Einerseits wurde ihre Haltung als patriotisch angesehen, andererseits wurde ihre Nationalität thematisiert. Die Argumente drehten sich um die Frage, nach welchen Kriterien sich Patriotismus definieren und feststellen lässt. Dabei verschwand der ursprüngliche Kritikpunkt aus diesem Diskurs, und ein anderer Bezugspunkt für die Gegenskandalisierung wurde hergestellt.

Dieser Vorfall war kein fragmentiertes lokales Ereignis, sondern ein globaler Machtkampf um Deutungshoheit, der Fragen zur transnationalen Dimension von Skandalen und der Logik der Gegen- und Skandalisierung aufwirft. Der Beitrag diskutiert, ob Cancel Culture im Zuge globaler Machtverschiebungen neue Strukturmerkmale von Skandalen aufzeigt und durch diese Machtkämpfe an Legitimität gewinnt oder verliert.



Skandalöse Konflikte – konflikthafte Skandale? Über Dynamiken von Skandalisierung und Konflikt in digitalen Öffentlichkeiten

Andreas Wenninger1, Kevin Altmann1,2

1bidt - Bayerisches Forschungsinstitut für Digitale Transformation, Deutschland; 2Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt

Digitale Medien schaffen nicht nur Räume für das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Meinungen, Informationen und Akteure, sondern begünstigen durch permanente Verfügbarkeit und schnelle Verbreitung auch neue Möglichkeiten der Skandalisierung, z.B. durch Online-Leaks, Whistleblower oder zivilgesellschaftliche Recherchen aktiver User:innen. Doch nicht jedes kontrovers diskutierte Ereignis ist automatisch ein Skandal – und umgekehrt. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wann ein Ereignis zum Skandal wird und welche Kommunikationsdynamiken im digitalen Raum hierbei zu beobachten sind. Bestehende theoretische Perspektiven verweisen etwa auf die Bedingungen der Skandalgenese in Medienumgebungen (Kepplinger 2012), durch das Internet beförderte Eskalationsstufen (Pörksen/Detel 2012) oder auf Skandale als Ergebnisse kommunikativer Aushandlungsprozesse (Burkhardt 2017).

Die Forschung zu Skandalisierungsprozessen überschneidet sich in zentralen Aspekten mit konfliktsoziologischen Ansätzen zur Dynamik sozialer Konflikte – etwa bei Eskalation, multiplen Akteurskonstellationen oder den jeweiligen Interaktionsmodi. Gleichzeitig werden in der Literatur Unterscheidungen hervorgehoben: So wird Konflikt u.a. als direkte Auseinandersetzung antagonistisch auftretender Akteure verstanden, während Skandale häufig als moralisch aufgeladene, öffentliche Empörung beschrieben werden, deren Gegenstand oder Konsequenz nicht zwingend strittig sein muss (vgl. Kepplinger 1994: 214; siehe hierzu auch Neuberger 2014).

Unser Beitrag will das Verhältnis von Skandal und Konflikt im Kontext digitaler Öffentlichkeiten untersuchen. Im Fokus stehen Fragen wie: Sind Skandale Folge konflikthafter Auseinandersetzungen – oder begründen sie neue Konflikte? Inwieweit beeinflussen verschiedene Formen des Konfliktaustrags die Skandalisierungsprozesse? Und inwiefern unterscheiden oder ähneln sich die Kommunikationsdynamiken von Skandalen und Konflikten?

Zur Beantwortung dieser Fragen verfolgen wir einen heuristischen Zugang. Wir wollen die Muster und neuralgischen Punkte identifizieren, an denen sich potentiell Übergänge und Verbindungen zwischen Skandalisierung und Konfliktsituationen abzeichnen. Methodisch stützen wir uns dabei auf sinnrekonstruktive empirische Methoden, um Konfliktsituationen aus verschiedenen Bereichen – etwa Politik, Medien, Wissenschaft – fallvergleichend zu analysieren.



Die Logik des Skandals und die Flugblattaffäre des Herrn A.

Andreas Ziemann

Bauhaus-Universität Weimar, Deutschland

Aus der Perspektive moderner Gesellschafts- und Medientheorien informieren Skandale via Massenmedien über Wertverletzungen oder Normverstöße von Professionsrollen und Spitzenpersonal und leisten damit eine positive Kontrolle der Status- und Rollenbefugnisse. Je höher die soziale Position des Skandalisierten, umso gravierender der Skandal und umso wichtiger die Sanktion und Restabilisierung der bisherigen Ordnung innerhalb des jeweiligen Vergesellschaftungsbereichs. Idealtypisch durchläuft ein Skandal fünf Phasen (vgl. Hondrich 2002: 15ff.; Burkhardt 2006: 76ff.; Ziemann 2011: 258ff.): 1. Moralischer Verstoß, 2. massenmediale Enthüllung, 3. kollektive gesellschaftliche Empörung, 4. institutionelle Sanktionierung mit persönlichem Opfer (Rücktritt, Verurteilung, Entschuldigung etc.), 5. gesellschaftlich-kulturelle Normalisierung.

Am Beispiel der Flugblattaffäre Hubert Aiwangers, Vorsitzender der Freien Wähler und stellvertretender bayerischer Ministerpräsident, im Sommer 2023 wird in einem ersten Schritt anhand zahlreicher journalistischer Artikel (vor allem der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG und des SPIEGEL) rekonstruiert und diskutiert, welchen Verlauf der Skandal genommen hat. In einem zweiten Schritt werden zahlreiche Eigenwilligkeiten und Gegenläufe aufgezeigt, die allesamt die idealtypische Skandallogik destruieren und die Theoretisierung des Skandals herausfordern. 1. Der Skandalisierer (SZ) wird selbst zum Skandalisierten und der gezielten Diskreditierung eines politischen Amtsträgers und der unerlaubten Einflussnahme auf den Landtagswahlkampf in Bayern bezichtigt. 2. Der Skandalisierer muss seine Methoden des investigativen Journalismus und kritischer Gesellschaftskontrolle erläutern – und sieht sich mit den paradoxen Effekten der Verdachtsverstärkung und der Nichtkommunizierbarkeit von Glaubwürdigkeit konfrontiert. 3. Es gibt weder einen Rücktritt Aiwangers noch eine klare Entschuldigung, sondern nach einem merkwürdigen Fragebogenformat paternalistische Machtworte des Ministerpräsidenten Söder. Die ‚reinigende‘ und restabilisierende Schlussphase wird moduliert, der Skandal war kein Skandal, und die Freien Wähler gehen kurze Zeit später mit ihrem stärksten Ergebnis aus den bayerischen Landtagswahlen hervor. So wurde die journalistische Kontrollfunktion politischer Macht desillusioniert und delegitimiert.



 
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