Sitzung | |
AdH58: Minderjährige transnationale Migrant*innen – Zugang zu Rechten und Aushandlun gen von Zugehörigkeit in der Transition
Sitzungsthemen: Meine Vortragssprache ist Deutsch.
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Zusammenfassung der Sitzung | |
Alle Vorträge der Veranstaltung werden auf Deutsch gehalten. | |
Präsentationen | |
Längsschnittliche Entwicklungen von Zugehörigkeitsgefühlen geflüchteter Jugendlicher in Deutschland Universität Siegen Im Kontext von Flucht und dem Ankommen in einer neuen sozialen Umgebung stellen sich Fra-gen der Zugehörigkeit unmittelbar. Diese weisen immer auch affektiv-emotionale Aspekte auf und können sowohl zu Irritationen führen, etwa wenn die Anerkennung gefühlter Zugehörigkeit ver-weigert wird, in Krisensituationen jedoch auch eine wertvolle Ressource darstellen und eine iden-titätsstabilisierende Wirkung entfalten. Ohne Zweifel ist Flucht eine enorme Krisensituation, die nicht mit der Ankunft im Aufnahmeland endet, sondern Geflüchtete kontinuierlich mit neuen Her-ausforderungen und Belastungen konfrontiert. Ergebnisse der Migrationsforschung zeigen immer wieder, dass Zugehörigkeitsgefühle eine enorme Bedeutung für den Ankommensprozess haben. Zur Situation explizit geflüchteter Jugendlicher liegen in diesem Kontext bislang jedoch wenig Daten vor. Dieser Beitrag fokussiert sich daher auf die Situation dieser nicht zuletzt in der Forschungslandschaft bislang marginalisier-ten Gruppe und untersucht, wie sich Zugehörigkeitsgefühle geflüchteter Jugendlicher im Zeitver-lauf verändern. Dafür bedient er sich längsschnittlicher quantitativer Daten, die im Rahmen des Forschungsprojekts „Religion als Ressource und Risiko“ erhoben wurden. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich insbesondere zwei umfassendere Tendenzen in der Entwicklung von Zugehörigkeitsgefühlen erkennen lassen. Zunächst scheinen sich die klassisch gewordene Kontakthypothese, sowie erwartete Bridging- und Bonding-Effekte verfügba-ren Sozialkapitals auch in diesem Kontext zu bestätigen. Mit Blick auf institutionelle Rahmenkon-texte legen die Ergebnisse nahe, dass insbesondere ein größeres Institutionenvertrauen, wahrge-nommene institutionelle Unterstützung und Kontakt zu Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft einen positiven Effekt auf das Zugehörigkeitsgefühl zu Deutschland ausüben. Neben diesen posi-tiven Effekten zeigen sich jedoch auch negative Zusammenhänge, etwa dass Diskriminierungser-fahrungen im Aufnahmeland sich negativ auf das Gefühl der Zugehörigkeit ausüben und stattdes-sen das Zugehörigkeitsgefühl zum Herkunftsland fördern. Diesen kurzen Überblick vertiefend arbeitet der Beitrag die longitudinale Analyse der Zu-gehörigkeitsgefühle geflüchteter Jugendlicher in Deutschland differenzierter aus und legt ein be-sonderes Augenmerk auf die längsschnittlichen Effekte der Veränderungen im Zeitverlauf. Lehrer*innen in Geflüchtetenunterkünften: Theoretische und methodologische Perspektiven auf professions- und rassismusrelevante Subjektivierungsprozesse Christian-Albrecht-Universität Kiel/Evangelischen Hochschule Berlin Fluchtmigration stellt für das bundesdeutsche Bildungssystem eine Anomalie dar. Das zeigt sich darin, dass die Präsenz geflüchteter Schüler*innen problematisiert und separate Schulformen geschaffen werden, deren Notwendigkeit sowohl mit Verweis auf Eigenschaften der Schüler*innen als auch die Überlastung des Bildungssystems legitimiert wird (Karakayali & zur Nieden, 2018; siehe auch: Kollender, 2020, S.38-42). Geflüchtete Schüler*innen werden so als ‚Andere‘ markiert und von gleichberechtigter Bildungsteilhabe ausgeschlossen (Karakayali, 2020). Dieser Beitrag nähert sich einer nahezu unerforschten Form der getrennten Beschulung: dem Unterrichten in Erstaufnahmeeinrichtungen für Geflüchtete. Aus einer professions- und subjektivierungstheoretischen (Akbaba et al., 2022; Ivanova-Chessex et al., 2022), sowie rassismus- und grenztheoretischen Perspektive (Hall, 2000; Yuval-Davis et al., 2019) werden dabei die professionellen Selbstverständnisse der Lehrer*innen in den Unterkunftsschulen fokussiert. Die Lehrer*innen sind aufgrund mangelnder bildungspolitischer Vorgaben maßgeblich an der Gestaltung der Unterkunftsschulen beteiligt (vgl. Karakayali et al., 2020) und verhandeln in alltäglichen Interaktionen mit den Schüler*innen migrationsgesellschaftliche Wissensbestände und damit verbundene Subjektpositionen (vgl. Rose, 2016). Angesichts ihrer wesentlichen Involviertheit in die Herstellung migrationsgesellschaftlicher – und somit auch rassistischer – Ordnungen interessiert dann, wie sich die Lehrer*innen in Relation zu den Schüler*innen, sowie in der selbstreflexiven Auseinandersetzung mit den symbolischen und materiellen Ordnungen der Unterkunftsschulen positionieren. Welche Widersprüche hinsichtlich bestehender Grenzen der Zugehörigkeit und des Zugangs zu sozialen Rechten verhandeln sie dabei? Und inwiefern tragen sie dadurch zu Stabilisierungen und Transformationen sozialer Ordnungen bei? Wie sich „professionsrelevante Subjektivierungsprozesse“ (Doğmuş, 2016, S.193) von Lehrer*innen in Unterkunftsschulen als Verstrickung in, sowie Bewältigung und kontinuierliche Herstellung von migrationsgesellschaftlichen Verhältnissen theoretisch-konzeptuell und methodologisch beschreiben und erfassen lassen, wird in diesem Beitrag diskutiert. Dabei werden auch Möglichkeiten und Grenzen der Engführung auf die Perspektive der Lehrer*innen kritisch reflektiert. Zwischen Erziehen, Strafen und Citizen-Making: Eine Ethnografische Studie zu Jugenddiversion in der Berliner Strafjustiz University of Oxford Jugendstrafrecht bietet viele Möglichkeiten, eine formelle Verurteilung zu verhindern. In diesem Beitrag werde ich aufzeigen, wie auch vermeintlich nicht-strafende Maßnahmen, 14-21 Jährige ohne gesicherten Aufenthaltsstatus spezifisch marginalisieren, disziplinieren und als eine Praxis des „Citizen-Making“ verstanden werden können. Die Analyse basiert auf den ersten Auswertungen einer ethnografischen Studie zu Diversionspraktiken in der Berliner Jugendstrafjustiz, bei der ich 40 Fälle begleitet und 30 Interviews geführt habe. Diversion ist ein Mechanismus, bei dem junge Menschen an ‚freiwilligen‘, ‚erzieherischen‘ Maßnahmen mit Sozialarbeiter*innen teilnehmen und auf eine Einstellung hinzuwirken. Während das Verfahren als Alternative zum Strafen verstanden wird, zeigen meine Daten, dass es besonders für Jugendliche ohne gesicherten Aufenthaltstitel punitive und disziplinierende Elemente beinhaltet. Denn ersten wird Diversion nicht als ‚freiwillig‘ verstanden, sondern im Zwangskontext der rechtlichen Teilsysteme Strafrecht und Aufenthaltsrecht. Jugendliche zeigten ihre Sorge um die Verschränkung ihrer aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen und ihrer strafrechtlichen Verfolgung. Erzieherische Maßnahmen wie das Verfassen von Reflexionsschreiben an die Staatsanwaltschaft und das Ableisten von Arbeitsstunden muss in diesem repressiven Kontext verstanden werden. Zweitens können die erzieherischen Gespräche die Jugendlichen mit Sozialarbeiter*innen führten, als Praxis des „Citizen-Making“ verstanden werden, de hegemonialen Vorstellungen einer „guten sozialen Ordnung“ hervorbringen darauf hinwirken, Eigentumsverhältnisse und das Strafrechtssystem zu respektieren. Migrantische Jugendliche wurden mit Narrativen von „hier ist das so“, „das musst du jetzt lernen“, „vielleicht war das in Syrien anders“ konfrontiert. Trotz dieser Problematiken können die Sozialarbeiter*innen auch wichtige emotionale und bürokratische Unterstützung bieten. Diese ersten Ergebnisse laden dazu ein, sich weiter kritisch mit strafrechtlichen Grauzonen und Verschränkungen in denen migrantische Jugendliche sich oft befinden, auseinanderzusetzen und diskriminierende Praktiken auch in vermeintlich seichten, sozialpädagogischen Praktiken aufzuzeigen. Transitionen in der Ungewissheit. Subjektivierungsprozesse junger Geflüchteter im Kontext der Altersfestsetzung in Frankreich University of Luxembourg Der Beitrag diskutiert ausgewählte Ergebnisse eines Forschungsprojekts zur Situation unbegleiteter junger Geflüchteter in Straßburg (Frankreich). Im Zentrum steht die Bedeutung von Altersfestlegungen und ihre Auswirkungen auf Subjektivierungsprozesse. Das Projekt wird über das Netzwerk Migreval koordiniert und verortet sich im Bereich der Aktionsforschung: Gemeinsam mit betroffenen Jugendlichen sowie Fachkräften wurden thematische Schwerpunkte entwickelt, darunter die Erfahrungen mit dem Verfahren der Alterseinschätzung. Wie auch in Deutschland wird bei jungen Geflüchteten in Frankreich im Rahmen einer vorläufigen Inobhutnahme das Alter festgelegt (Käckmeister, 2022). Eine Nicht-Anerkennung hat aus jugendhilfe- und ausländerrechtlicher Perspektive weitreichende Folgen, etwa im Hinblick auf eine am Kindeswohl orientierte Betreuung und Begleitung, sowie auf Möglichkeiten der Aufenthaltssicherung (Carayon et al., 2018; Senovilla Hernández, 2014). Gegen die Beendigung der Inobhutnahme wegen angenommener Volljährigkeit können die Betroffenen Klage beim Kinderrichter (juge des enfants) einreichen. Diese hat jedoch keine aufschiebende Wirkung, was zur Folge hat, dass junge Geflüchtete aus der Kinder- und Jugendhilfe herausfallen und ihnen der Zugang zu zentralen Leistungen und Rechten verwehrt wird. Folglich entstehen in dieser Übergangsphase zwischen Kindheit und rechtlicher Volljährigkeit Unsicherheiten, die nicht nur institutionell, sondern auch subjektiv bewältigt werden müssen. Zivilgesellschaftliche Akteure wie das Centre Bernanos in Straßburg spielen hierbei eine zentrale Rolle: Sie bieten Unterkunft, Begleitung und Vernetzung – oft jenseits staatlicher Unterstützung. Auf Basis qualitativer Interviews mit Jugendlichen, Sozialarbeitenden und Jurist:innen wird im Beitrag die Bedeutung institutioneller Rahmenbedingungen im (französischen) nationalstaatlichen Kontext herausgearbeitet. Auf diese Weise soll ein empirisch fundierter Beitrag zur Diskussion um die Verschränkung von Citizenship, Alter und Subjektivierung im Kontext transnationaler Migrationsprozesse geleistet werden. |