Veranstaltungsprogramm

Sitzung
AdH57: Miethaie zu Fischstäbchen - Die Politisierung von Wohnungsmarktakteuren als Transitionsmarker?
Zeit:
Freitag, 26.09.2025:
9:00 - 11:45

Chair der Sitzung: Philipp Kadelke, Technische Universität Dortmund
Chair der Sitzung: Jenny Preunkert, Universität Kassel
Sitzungsthemen:
Meine Vortragssprache ist Deutsch.

Zusammenfassung der Sitzung

Alle Vorträge der Veranstaltung werden auf Deutsch gehalten.


Präsentationen

Die Politisierung von Wohneigentum in der postneoliberalen Transformation – Diskurse von Wohnungslosenaktivist*innen

Jenny Künkel

Universität Duisburg-Essen, Deutschland

Die Finanzkrise 2008 gilt als Anfang des Endes der neoliberalen Ordnung mit der Folge einer Hegemo-niekrise. Der Beitrag fragt, wie in dieser transitorischen Phase Eigentum verhandelt wird. Denn politi-sche Diskurse sind – u. a. aufgrund pandemischer Konfliktintensivierung, Verunsicherung durch Krie-ge, Inflation – affektgeladen und polarisiert. Die öffentliche Debatte zentriert „Triggerpunkte“ wie Mig-ration, (Trans-)Gender und Klima, also Race-, Geschlechter- und Mensch-Naturverhältnisse, während Klassenverhältnisse trotz verbreiteter ökonomischer Sorgen kaum problematisiert werden. Eine Aus-nahme bildet – neben z.B. der Kritik an politischem Einfluss qua Überreichtum – das Thema Woh-nungsmieten. Denn hohe Kosten, prekäre Wohnsituationen und Verdrängungsdruck sind nur einige Probleme, die bis in die Mittelschichten ragen.

Aus Transformationsperspektive stellt sich die Frage, ob im Ringen um konkrete wohnungspolitische Reformen auch größere gesellschaftliche Fragen; eben Oben-Unten-Ungleichheiten, verhandelt wer-den. Gestützt auf Gruppendiskussionen mit Wohnungslosenaktivist*innen fragt der Beitrag: Wie wird unter den Vorzeichen einer postneoliberalen Transformation (Wohn-)Eigentum als zentrale Struk-turachse im Sozialgefüge politisiert?

Die Wohnungslosenaktivist*innen betonen strukturelle, antikapitalistische Framings: Obdachlosigkeit sei nur lösbar durch Wohnraumschaffung und Eigentumsbegrenzung (z. B. Leerstandsbesetzung). Auch Gewalt gegen und Konflikte unter Obdachlosen seien Ausdruck kapitalistischer Konkurrenz. Im Vergleich zu verwandten Bewegungen (z.B. zu Sexarbeit), überwiegt ein starker Strukturfokus. Dieser erklärt sich u.a. aus Klassenstruktur und Stellvertretung aber auch aus der gegenseitigen Politisierung in Koalitionen mit einem Mietaktivismus, der das Thema Wohnen auch strategisch nutzt. Denn in die-sem Feld lassen sich breite Kreise der Zivilgesellschaft, die auch von Rechts ansprechbar wären, nicht nur für die Vergesellschaftung von Privateigentum, sondern auch allgemeiner für linke Politiken zu mobilisieren. In der Hegemoniekrise entstehen damit neue eigentumskritische Koalitionen bezüglich des Wohnens, die v. a. die Spitzen kapitalistischer Vergesellschaftung problematisieren.



Politiken des Wohnens from below

Moritz Rinn

Universität Duisburg-Essen, Deutschland

Die Frage nach aktuellen Politisierungen von Wohnverhältnissen und wohnungspolitischen Transitionen ist (mindestens implizit) auf unterschiedliche Wohnungsregime, ihre Wiedersprüche, (raum-zeitlichen) Brüche und Transformationen bezogen (Schipper 2024; Schönig 2020). Wohnverhältnisse und Wohnungsregime können aber nur angemessen verstanden werden, wenn die Leute, die (Miet-)Wohnungen zur sozialen Reproduktion (ge-)brauchen, als Protagonist:innen der Wohnraumversorgung begriffen werden – und zwar nicht erst dann, wenn sie sich in organisierter Form öffentlich-politisch artikulieren. Alltägliche Arbeit am Wohnen und Kämpfe ums Wohnen konstituieren gesellschaftliche Wohnverhältnisse und ihre Transformationen mit; sie können auf divergierende „moral economies of housing“ (Alexander et al. 2018) bezogen werden, die es Leuten ermöglichen, in schwierigen Situationen des Wohnens in Interaktionen mit anderen beteiligten Akteuren (Vermieter:innen, Sachbearbeiter:innen in Jobcentern oder Wohnungsämtern, Nachbar:innen etc.) konfrontativ, ausweichend oder kooperativ zu handeln; sich also beispielsweise gegen eine Mieterhöhung zu wehren, ihr zuzustimmen oder wegzuziehen (Rinn et al. 2022). Auf Grundlage eigener empirischer Forschung (Rinn 2024) diskutiere ich im Beitrag die konzeptuelle Perspektive einer kritischen Wohnungsforschung from below, um umkämpfte Veränderungen gesellschaftlicher Wohnverhältnisse (aber auch deren Stabilität) verstehbar zu machen.

Literatur:

Alexander, C., Bruun, M. H., & Koch, I. (2018). Political Economy Comes Home: On the Moral Economies of Housing. Critique of Anthropology 38(2), 121–139. doi.org/10.1177/0308275X18758871

Rinn, M. (2024): Arbeit am Wohnen. Zur schwierigen Aneignung eines städtischen Reproduktionsmittels. Münster: Westfälisches Dampfboot. doi.org/10.56715/398634171

Rinn, M., Wehrheim, J., & Wiese, L. (2022). How tenants’ reactions to rent increases affect displacement: An interactionist approach to gentrification. Urban Studies 59: 3060–3076. doi.org/10.1177/00420980221078212

Schipper, S. (2024): Wohnungsregime im postneoliberalen Wandel? Geographische Zeitschrift 112 (1): 2–22. doi.org/10.25162/gz-2023-0011

Schönig, B. (2020): Paradigm Shifts in Social Housing after Welfare-State Transformation: Learning from the German Experience. Int. J. Urban Reg. Res. 44: 1023–1040. doi.org/10.1111/1468-2427.12914



Mietpreisbremse in München: Wirksamkeit und Durchsetzung

Felicitas Sommer

Technische Universität München, Deutschland

In Großstädten lag die durchschnittliche Mietbelastung 2018 bei über 30% des Einkommens. Steigende Mieten verdrängen Menschen mit geringeren Einkommen aus aufgewerteten Stadtvierteln, während andere in qualitativ minderwertigen Wohnungen verbleiben, um Mietsteigerungen zu vermeiden. Die 2015 eingeführte Mietpreisbremse sollte diesen Entwicklungen entgegenwirken, indem sie Mieten auf maximal 10% über der ortsüblichen Vergleichsmiete begrenzt.

Trotz der Einführung dieser Maßnahme besteht wissenschaftlicher Konsens über ihre begrenzte Wirksamkeit. Wenig erforscht ist jedoch, wie häufig die Mietpreisbremse tatsächlich angewendet wird und welche Faktoren die Entscheidung von Mietern beeinflussen, von ihrem Recht Gebrauch zu machen.

Diese Studie untersucht zwei kritische Aspekte der Wirksamkeit der Mietpreisbremse: Erstens, inwieweit Mieter ihr Recht auf Mietminderung wahrnehmen können und ob der Zugang zur Mietpreisbremse fair gestaltet ist. Zweitens sollen die Faktoren identifiziert werden, die die Entscheidung von Mietern beeinflussen, von der Mietpreisbremse Gebrauch zu machen, einschließlich der Gründe für Nicht-Inanspruchnahme.

Zur Beantwortung dieser Fragen wurde eine Umfrage auf Basis einer Zufallsstichprobe durchgeführt, die seit 2019 in München zu- oder umgezogen sind. Der Online-Fragebogen erhob Daten zu Wohnungseigenschaften, Mietvertragsbedingungen, Kommunikation mit Vermietern sowie zur sozioökonomischen Situation der Befragten. 468 Personen nahmen an der bis Juni 2024 laufenden Umfrage teil, wovon 356 Antworten ausgewertet werden konnten.

Die Studie erfasst erstmals systematisch die Differenz zwischen ortsüblicher Vergleichsmiete und tatsächlich gezahlter Miete sowie die Faktoren, die die Anwendung der Mietpreisbremse beeinflussen. Dies ermöglicht ein tieferes Verständnis der Wirksamkeit bestehender Mietregulierungsinstrumente und liefert Erkenntnisse für eine sozial gerechte Wohnungspolitik. Die Ergebnisse tragen zur Debatte bei, unter welchen Bedingungen Mietpreisregulierungen effektiv zum Schutz bezahlbaren Wohnraums beitragen können und welche institutionellen Rahmenbedingungen hierfür notwendig sind.



Momentaufnahme: Wohnraumpolitische Transformationen in Frankfurt - Most Wanted

Lidia Bär

Universität Kassel, Deutschland

Die Wohnungsfrage in Frankfurt scheint in widersprüchlichen Dynamiken gefangen zu sein, die sich trotz sozialdemokratischer wohnungspolitischer Maßnahmen reproduzieren: Steigende Miet- und Kaufpreise stehen der sinkenden Zahlungskraft der Stadtbevölkerung gegenüber; Wohnentwicklungsprojekte verstetigen bestehende Wohnungsnot; Proteste wirken skandal- oder anlassgetrieben und gesellschaftlich folgenlos – Ausdruck einer umfassenden Erschöpfung, nicht bloß politischer Inaktivität. Ohne die anhaltenden Anstrengungen der lokalen Zivilgesellschaft in Frankfurt zu negieren, möchte ich in der Ad-hoc-Gruppe diskutieren, welche Zeitdiagnose sich daraus für die Krise des Wohnens und des Kapitalismus ergeben. In Anlehnung an Lefebvres dialektische Triade der Raumproduktion rücke ich das Element des gelebten Raumes ins Zentrum. Während Lefebvre noch auf das subversive Potential urbaner Aneignung und das kollektive Recht auf Stadt hoffte, frage ich, ob urbane Widerständigkeit als Transformationsmotor heute überhaupt jenseits sozialstaatlicher Aktivierung und/oder der Formulierung technokratischer Regulationsalternativen möglich ist.

In meiner Dissertation untersuche ich die Entwicklung eines Neubauviertels in Frankfurt, um zu analysieren, wie gesellschaftliche Prozesse sich räumlich manifestieren und auf die Stadtgesellschaft zurückwirken. Dafür führe ich Interviews mit den beteiligten AkteurInnen durch. Hier zeigt sich ein für den neoliberalen Politikstil typisches Muster, bei dem die Umgestaltung des Wohnens und des öffentlichen Raums als alternativlos erscheint. Inszenierte Sachzwänge, Komplexität administrativer Prozesse und die unzureichende Quote von 30 % geförderten Wohnens bilden die Legitimation der Projektentwicklungsform. Damit wird die inhaltliche Bestimmung des städtischen Gemeinwohls systematisch entleert. Was sich als Protest artikuliert, zerfällt in Einzelereignisse – Momente des Widerstandes ohne verbindende Perspektive. In dieser Verantwortungsdiffusion entsteht eine scheinbar automatisierte Planungsrealität, der die Zivilbevölkerung ohnmächtig gegenübersteht. Ich lade dazu ein, gemeinsam die Bedingungen dieser Ohnmacht zu betrachten, um sie als Transformationshindernis genauer benennen zu können.