Vielfalt von Lebenswegen/Biografien junger Erwachsener in Deutschland – Unterschiede und Gemeinsamkeiten in Umbruchzeiten –
Markus Nester, Madlain Hoffmann
Leibniz-Institut für Bildungsverläufe, Deutschland
Wie in vielen westlichen Gesellschaften üben auch in Deutschland strukturelle, politische und technologische Veränderungen in den Bildungssystemen und auf dem Arbeitsmarkt Druck auf junge Menschen aus, die sich in der Regel stabile Erwerbsbiografien und verlässliche Perspektiven erhoffen. Aufgrund der genannten Entwicklungen ist davon auszugehen, dass die Bildungs- und Erwerbsbiografien junger Erwachsener in Deutschland heute vermehrt durch größere Variabilität und Fragmentierung gekennzeichnet sind. Es wird daher angenommen, dass das frühere Mehrheitsmuster der sogenannten „Normalbiographie“ inzwischen erodiert ist.
Um zu prüfen, ob und in welchem Umfang diese Annahmen zutreffen, werden die Biografien junger Erwachsener in Deutschland analysiert, die sich im Jahr 2010 in der 9. Klasse befanden. Dabei werden ihre Bildungs- und Erwerbsverläufe über einen Zeitraum von 7 Jahren ab dem Zeitpunkt betrachtet, an dem die Jugendlichen zum ersten Mal das allgemeinbildende Schulsystem verlassen haben. Die längsschnittliche Datenbasis ist die Startkohorte 4 des Nationalen Bildungspanels (NEPS). Die Verläufe werden mit Standardmethoden der Sequenzmusteranalyse getrennt für Schülerinnen und Schüler mit und ohne (Fach-)Hochschulzugangsberechtigung verglichen und typisiert. Mittels multinomialer logistischer Regressionsmodelle wird u. a. unter Kontrolle des sozialen Hintergrunds (Bildungsabschlüsse der Eltern und SES), der Kompetenzen (Mathematik und Lesen) und des höchsten Schulabschlusses zudem der Zusammenhang zwischen der in der Schulzeit berichteten beruflichen Aspiration – insbesondere des Aspirationsniveaus – und den Verlaufstypen untersucht.
Die Ergebnisse auf Basis der NEPS-Stichprobe zeigen für einen erheblichen Teil der jungen Erwachsenen nicht standardisierte Übergänge und Verläufe. Nur eine Minderheit der Jugendlichen nimmt noch unmittelbar nach dem Schulabschluss eine Berufsausbildung auf oder beginnt sofort ein Studium und geht dann in die Erwerbstätigkeit über. Unterbrechungen und Zwischenphasen sind weit verbreitet. Hierbei zeigen sich für beide Abschlussgruppen deutliche Unterschiede im Hinblick auf das berufliche Aspirationsniveau, auch unter Kontrolle von Geschlecht, Einwanderungsgeschichte, Kompetenzen und sozialem Hintergrund.
Soziale Disparitäten beim Übergang an die Hochschule im Kontext vorgelagerter Bildungspfade
Heiko Quast, Heike Spangenberg, Hanna Mentges, Jessica Ordemann, Sandra Buchholz
DZHW, Deutschland
Mit den bildungspolitischen Reformen der 1960/1970er Jahre wurden die alternativen Bildungswege zur Hochschulreife mit stärker praxisorientierten Schularten in Deutschland deutlich ausgebaut. Ziel der Reformen war es, soziale Ungleichheiten beim Hochschulzugang abzubauen. Kinder aus weniger privilegierten Familien haben aber weiterhin nicht nur geringere Chancen, eine Studienberechtigung zu erreichen, sie nehmen nach dem Schulabschluss auch seltener ein Studium auf. Je nach Bildungsweg variiert der anschließende Übergang in ein Studium erheblich. Vor diesem Hintergrund untersuchen wir unter Bezugnahme auf die Rational-Choice-Theorie drei zentrale Forschungsfragen: Welche typischen Bildungswege führen zu einer Hochschulzugangsberechtigung? Wie wahrscheinlich ist eine Studienaufnahme, wenn die soziale Zusammensetzung berücksichtigt wird? Warum gehen Studienberechtigte alternativer Bildungswege seltener in ein Studium über? Zur Beantwortung verwenden wir Daten des DZHW Student Life Cycle Panels, mit dem 2017/2018 bundesweit ca. 8.800 Studienberechtigte im Längsschnitt zu ihren Bildungswegen befragt wurden. Mit Hilfe von Sequenzmusteranalysen werden zunächst typische Wege zum Erwerb einer Hochschulreife identifiziert. Anschließend wird mittels Regressionsanalysen die Studierwahrscheinlichkeit von Studienberechtigten alternativer (beruflicher) Wege im Vergleich zu Studienberechtigten des klassischen Bildungsweges (durchgehender Gymnasialbesuch) untersucht. Zuletzt werden mittels Dekompositionsanalyse die Mechanismen untersucht, die die Unterschiede beim Hochschulzugang zwischen klassischen und alternativen Bildungswegen erklären können. Wir zeigen, dass sich alle Bildungswege in ihrer Studierwahrscheinlichkeit unterscheiden: Studienberechtigte fast aller alternativen Bildungswege entscheiden sich seltener für ein Hochschulstudium als Studienberechtigte des klassischen Bildungsweges. Dies ist jedoch nicht allein auf die unterschiedliche Zusammensetzung der Studienberechtigten in Bezug auf soziale Herkunft und Schulleistungen zurückzuführen. Studienberechtigte alternativer Bildungswege unterscheiden sich überdies auch in ihrer Einschätzung der Kosten, Erträge und Erfolgswahrscheinlichkeit eines Studiums. Die Unterschiede in der Studierwahrscheinlichkeit lassen sich schließlich durch mehrere Mechanismen erklären, deren Erklärungskraft je nach Bildungsweg variiert.
Auszeiten, Umwege und aufgeschobene Übergänge: Biographische Diversität in deutschen Hochschulen
Nicole Tieben, Matthias Pohlig
Leibniz Universität Hannover, Deutschland
Zugangswege zur Studienberechtigung und Übergänge in die Hochschule werden komplexer und diverser. So erreicht beispielsweise ein wachsender Anteil an Studierenden die Hochschule nicht direkt nach dem Verlassen der Sekundarstufe, sondern über alternative Aktivitäten und Umwege, wie z.B. berufliche Ausbildungen, Erwerbstätigkeit, Praktika, Wehr- und Freiwilligendienst oder Auszeiten.
Trotz dieser Vielfalt ist wenig darüber bekannt, welche Wege Schulabgängerinnen und Schulabgänger nach dem Verlassen der Sekundarstufe nehmen und wie viel Zeit diese in Anspruch nehmen.
Unser Beitrag soll diese Forschungslücke schließen und folgende Forschungsfrage beantworten: Wie nutzen SchulabgängerInnen die Zeit zwischen dem Abschluss der Sekundarstufe und dem ersten Übergang in die Hochschule?
Für unsere Analysen nutzen wir die Daten der NEPS Startkohorte 5. Sequenz- und Cluster-Analysen geben Aufschluss über die Wege vom Abschlussjahr der Sekundarstufe in die Hochschule. So sind wir in der Lage, auch Umwege zur Studienberechtigung zu erfassen und herauszuarbeiten, welche Aktivitäten für verzögerte Übergänge in die Hochschule verantwortlich sind. Wir unterscheiden “produktive” und “unproduktive” Aktivitäten. Erstere umfassen Episoden des Erwerbs weiterer formaler Qualifikationen oder Erwerbstätigkeit, letztere umfassen Aktivitäten außerhalb von Arbeitsmarkt oder Bildungssystem („NEET“).
Wir identifizieren sechs Cluster und zeigen, dass Studierende mit einer niedrigeren sozioökonomischen Herkunft insgesamt längere Übergangsdauern haben, aber absolut (Anzahl Monate) und relativ (% der Gesamtdauer) mehr Zeit mit „produktiven“ Aktivitäten verbringen als Studierende mit einer höheren sozioökonomischen Herkunft. Für das Geschlecht zeigen wir, dass Männer längere Übergangsdauern haben, es jedoch keine absoluten geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Dauer „unproduktiver“ Aktivitäten gibt. Frauen dagegen gehen im Verhältnis zur Gesamtdauer länger „unproduktiven“ Aktivitäten nach. Regressionen legen nahe, dass geschlechtsspezifische und sozioökonomische Unterschiede vollständig durch Militärdienst und Berufsausbildung erklärt werden. Unter Berücksichtigung der Art der Tätigkeit zeigt sich, dass „unproduktive“ Gap-Years (im engeren Sinne) zwischen der Sekundarstufe II und der Hochschulbildung in Deutschland offenbar eine untergeordnete Rolle spielen.
Wenn der erste Abschluss nicht ausreicht - rationale Entscheidungen und soziale Ungleichheit im Zugang zum Masterstudium
Sebastian Neumeyer
Leibniz-Institut für Bildungsverläufe, Deutschland
Vielfach wurde gezeigt, dass die soziale Herkunft beim Übergang zu einem Hochschulstudium eine Rolle spielt und dass soziale Ungleichheit in dieser Hinsicht von früheren Bildungswegen und rationalen Entscheidungen geprägt ist.
Dieser Beitrag betrachtet den deutschen Kontext, wo Bachelorabschlüsse im Rahmen des Bologna-Prozesses eingeführt wurden, und erweitert die bisherige Forschung zum Übergang von Bachelor- zu Masterstudiengängen in dreierlei Hinsicht: Erstens werden prospektiv gemessene Schätzungen von Kosten, Nutzen und Erfolgswahrscheinlichkeiten herangezogen, um deren Relevanz für die Erklärung sozialer Ungleichheit zu analysieren. Zweitens wird zwischen der Absicht, sich sofort in ein Masterstudium einzuschreiben, und einer verzögerten Einschreibung unterschieden, die für Studierende aus niedrigen sozialen Schichten besonders attraktiv sein könnte. Drittens ist anzunehmen, dass viele Studierende einen Master-Abschluss als einzige realisierbare Option betrachten und daher hohe Kosten oder eine geringe Erfolgswahrscheinlichkeit bei ihrer Entscheidung ignorieren.
Die Analysen basieren auf Daten von 8166 Bachelor-Studierenden im dritten Studienjahr an deutschen Hochschulen (Nationales Bildungspanel, Startkohorte 5). Erstens zeigen Dekompositionen, dass vorangegangene Bildungspfade und rationale Abwägungen etwa drei Viertel der sozialen Herkunftsunterschiede erklären. Zweitens zeigen multinomiale Regressionen, dass die Intention für eine verzögerte Einschreibung in ein Masterstudium weniger sozial selektiv ist als für eine sofortige Einschreibung. Drittens schätze ich, wie Kosten und Erfolgswahrscheinlichkeiten mit dem erwarteten Nutzen eines Bachelor-Abschlusses interagieren. Wenn Studierende sehr geringe Erträge von einem Bachelor-Abschluss erwarten, haben erwartete Kosten und Erfolgswahrscheinlichkeiten bestenfalls minimale Auswirkungen auf ihre Pläne.
Jenseits der Tradition: Erfolgreiche Karrierewege zur ordentlichen Professur
Jasmin M. Kizilirmak1, Lisa-Marie Steinkampf2, Sandra Buchholz3, Jessica Ordemann3
1Institute for Psychology, University of Hildesheim, Hildesheim, Germany; 2Technopolis Group, Berlin, Germany; 3Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung GmbH (DZHW), Deutschland
Beyond tradition: Successful career paths to full professorship
German academia has faced multiple changes over the last two decades, including new academic pathways to full professorship inspired by the Anglo-Saxon academic system, such as junior professorship and tenure track. Our study investigates the patterns of academic career trajectories to full professorship that have subsequently emerged. We illuminate the relationship between those patterns and determinants of academic success, e.g., previous career choices, scientific productivity and scientific field.
Using data from the prof*panel (N=660)—a survey of recently appointed professors in Germany—and sequence-cluster analysis, we find four academic career clusters, three of which are beyond the Traditional Careers pathway: Efficient Careers, Unconventional Careers and International Careers. Cluster affiliation is mainly related to time-to-tenure (i.e., time from doctorate to first appointment as full professor), habilitation (second degree), working abroad, and scientific field.
Our findings suggest that traditional career paths still play a major role, although the influence of internationalization and novel academic career steps, like junior professorship, is growing. Less conventional career paths attract a higher proportion of women and are characterized by more diverse professional experiences. Our findings underscore the ongoing changes in the landscape of academic careers, highlighting both persistent challenges and new opportunities for aspiring professors.
Soziale Ungleichheiten beim Erwerb formaler Bildungsabschlüsse und die Rolle von Höherqualifizierungsprozessen über den Lebensverlauf
Steffen Schindler
Universität Bamberg, Deutschland
Der Beitrag beschäftigt sich mit Prozessen formaler Höherqualifizierung und Einflüssen der sozialen Herkunft auf diese Prozesse. Formale Höherqualifizierung betrifft den Erwerb weiterer höherer schulischer oder beruflicher Bildungsabschlüsse bei Personen, die bereits über solche Abschlüsse auf einem niedrigeren Niveau verfügen. Im Zentrum der Untersuchung steht die Frage, inwieweit diese Prozesse der formalen Höherqualifizierung sozial selektiven Mustern folgen und im Resultat entweder verstärkend oder kompensierend auf soziale Ungleichheiten in den Verteilungen der Bildungsabschlüsse wirken. Im Vergleich zu früheren Studien werden Höherqualifizierungen auf allen relevanten schulischen und beruflichen Bildungsniveaus und sowohl vor als auch nach dem Eintritt in den Arbeitsmarkt betrachtet. Als Datengrundlage dient die Startkohorte 6 des Nationalen Bildungspanels (NEPS), aus der eine Stichprobe aus Personen für die Analysen herangezogen wird, die in den 1970er-Jahren geboren sind. Für diese Personengruppe können Höherqualifizierungen bis ins Alter von 40 Jahren beobachtet werden. Die Analysen deuten auf ausgeprägte soziale Selektivitäten beim nachträglichen Erwerb höherer Bildungsabschlüsse hin, die bereits in bisherigen Studien zum Nachholen der Hochschulreife zum Vorschein getreten sind. Dabei ist dieses Muster vor dem Arbeitsmarkteintritt stärker ausgeprägt als nach dem Arbeitsmarkteintritt. Insgesamt tragen diese Höherqualifizierungsprozesse jedoch nicht zu einer maßgeblichen Veränderung der sozialen Ungleichheiten in den Verteilungen der Bildungsabschlüsse bei.
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