Sitzung | |
AdH47: Körper und Dinge: Transitionen materieller Sozialität
Sitzungsthemen: Meine Vortragssprache ist Deutsch.
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Zusammenfassung der Sitzung | |
Alle Vorträge der Veranstaltung werden auf Deutsch gehalten. | |
Präsentationen | |
Transitionen des Häuslichen. Relationen von Praktiken und Technologien des Smart Homes im dynamischen Prozess Universität Siegen / SFB 1187Medien der Kooperation Smarte Haushaltsgeräte mit Kameras, Mikrofonen und App-Anbindung verändern alltägliche Praktiken und fordern Haushaltsmitglieder heraus, ihren Haushalt schrittweise neu auszuhandeln. In diesem dynamischen und ungewissen Transitionsprozess wird das menschliche Sensorium durch technische Sensorik entlastet und erweitert – aber auch irritiert und herausgefordert (Rosa 2016). Am Beispiel des Kochens zeigt sich, wie routinierte Handgriffe und Zubereitungen durch sensor- und datenbankgestützte Geräte, wie smarte Küchenmaschinen, verändert oder ersetzt werden. Zugewinne an Convenience können dabei mit Verlusten in der ästhetischen Dimension des Kochens und Essens einhergehen: Der Blick auf die App der Heißluftfritteuse ersetzt den Gang in die Küche – und unterläuft das verkörperte Wissen um Garzeiten und Geschmacksentwicklungen (Graf 2022). Damit geht eine neue Relationierung von tacit knowledge und technischen Hilfsmitteln einher. Entscheidend ist, welche sensorischen und aktorischen Kapazitäten (Rammert 2016) die Geräte in den Haushalt einbringen – und wie Haushaltsmitglieder mit diesen Möglichkeiten umgehen. Werden komplexe Funktionen überhaupt genutzt oder aus Gründen der Praktikabilität und Datensensibilität selektiv ignoriert? Auch innerhäusliche Hierarchien spielen bei der Neuausrichtung der Praktiken eine Rolle (Teigen 2024). Der Einzug smarter, plattformisierter Sensortechnologien bringt neue Interfacing-Prozesse mit sich (Lipp & Dickel 2022), in denen sich Haushalte – besonders bei iterativer Einführung einzelner Geräte – in Übergangszonen wiederfinden, geprägt von einem permanenten „Dazwischen“. Diese nicht-linearen Neurelationierungen häuslicher Umgebungen stehen im Fokus unserer qualitativen Studie zur Transformation des Haushalts durch sensorbasierte Technologien. Untersucht werden Auswirkungen auf die soziomateriellen Bedingungen von Wohnräumen und alltäglichen Praktiken, die sich in neuen Körper-Technik-Beziehungen niederschlagen (Lupton 2019). Grundlage ist das interdisziplinäre Projekt „Un-/erbetene Beobachtung in Interaktion“ im SFB „Medien der Kooperation“, in dessen Rahmen ethnographische Vignetten und Interviewauszüge aus einer mehrmonatigen Begleitung mehrerer Haushalte ausgewertet wurden. »Der Kasten verlangt nach Berührung« – Interfaces in Transition zwischen Körpern und digitalen Dingen Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Deutschland Damit Körper und Dinge in Verbindung treten können, durchlaufen sie verschiedene Transitionen, etwa feinkörnige Abstimmungsprozesse bei „User Tests“. Dieser Beitrag geht von der These aus, dass die Relationen zwischen Körpern und digitalen Dingen in solchen Phasen des Übergangs hauptsächlich am Interface verhandelt werden. Das Interface ist die Ein- und Ausgabeeinheit digitaler Technik, Interfaces vermitteln zwischen sozialen Praktiken und (Daten-)Infrastrukturen (Kaerlein 2020). Der zentrale Mechanismus dieser Vermittlung sind Affordanzen: Der Aufforderungscharakter digitaler Interfaces sorgt dafür, dass bestimmte Übergänge zwischen Körpern und Dingen wahrscheinlicher werden als andere. Interfacing bezeichnet dabei die zahlreichen Praktiken, die zum Einsatz kommen, um sukzessive Verfügbarkeit zwischen Körpern und digitalen Dingen herzustellen (Lipp/Dickel 2022) – etwa in Technikentwicklung und Design, in Vorbereitung der ökonomischen Verwertung, durch die Einbettung in narrative Zukunftserwartungen sowie in (überraschenden) Nutzungspraktiken. Die Analyse von Interfaces trägt damit auf drei Weisen zum Verständnis von Übergängen zwischen Körpern und Technik bei: 1. Als Transitionszonen definieren Interfaces Schwellen des Übergangs. Interfaces erzeugen die Bedingungen, unter welchen Übergänge stattfinden. 2. Dies verweist ebenfalls auf die Prozessualität des Interfaces (Galloway 2012): die Interaktion mit dem Interface muss von einer ganzen Reihe von Akteuren gestaltet, erlernt und aufrechterhalten werden. In professionellen Feldern wie der HCI (Human Computer Interaction) oder dem User Experience Design wird die Beobachtung und Gestaltung dieser Transitionen institutionalisiert. 3. Schließlich zeigt der Blick auf die Relationalität von Interfaces (Hookway 2014), dass sie dazu dienen, ein „Dazwischen“ erzeugen und stabilisieren, aber auch kontrollieren und steuern zu können. Im Beitrag diskutiere ich diese Aspekte auf Basis empirischer Beispiele von Transitionen aus den Themenfeldern Computerspiele und Digitalisierung der Industrie. Beide Bereiche zeichnen sich durch den intensiven Einsatz digitaler Interfaces aus, bei sehr unterschiedlichen Körper-Technik-Relationen. Ich zeige dabei, dass der Begriff Interface als Brücken- und Transitionskonzept zwischen Körper-, Medien- und Techniksoziologie dienen kann. Intersubjektives Verkoppeln in Transition – Zur Digitalisierung der Anbahnung von Sorgebeziehungen Helmut-Schmidt-Universität, Deutschland In Beratung, Arbeit oder Dating ist es üblicher geworden, in Online-Terminen Sympathien und die Möglichkeiten weiteren Kontakts auszutesten. Auch im Kontext von Behinderung wird dem technisch gestützten intersubjektiven Kennenlernen ein Inklusionspotenzial zugeschrieben. Das Projekt MEAPP exploriert dieses Erleichterungsversprechen anhand der Anbahnung zwischenmenschlicher Beziehungen im Bereich von kompensatorischer Assistenz für Menschen mit Behinderung. Im Projekt sollen diese Assistenz-Leistungen über eine digitale Plattform und einen (Video-)Chat vermittelt werden. Im Prozess der Anbahnung von Assistenzbeziehungen geht es darum abzuklären, ob eine langfristige Sorgebeziehung, die oft von Momenten körperlicher und intimer Nähe begleitet ist, vorstellbar wäre. Wo dieser Prozess (partiell) digitalisiert wird, verändert sich der erste Eindruck, den die Beteiligten von- und füreinander bekommen. Über ohnehin schwer fassbare Beziehungsaspekte wie Sympathien und die Frage, ob die „Chemie stimmt“, wird aufgrund digital vermittelter Begegnungen entschieden. Wie bringen die Beteiligten ihre Körper, ihre Fähigkeiten und Erwartungen in die digitale Kommunikationssituation ein? Welche Hürden und Modi des Ver- und Entkoppelns entstehen in diesen „synthetischen Situationen“ (Knorr Cetina 2012)? Im Zuge des intersubjektiven Verbindens von leiblich-affektiven Körpern via Plattform/Chat entsteht ein spezifischer Schwellenraum zwischen Nähe und Distanz, zwischen ability und disability. Unser Vortrag leuchtet anhand empirischer Vignetten aus der Probenutzung der Plattform aus, wie die Beteiligten die Übergänge zwischen der analogen Anbahnung von Assistenz und dem digitalen Kennenlernen erfahren. Unser analytischer Schwerpunkt liegt darauf zu erfassen, wie sich technische (Un-)Möglichkeiten, strukturelle Vorgaben, körperliche Kompetenzen und Affekte ineinander verschränken und inwiefern hierbei die Bedeutungen und Gestaltung von Technologien und subjektive Ansprüche neu hervorgebracht werden. Dazu knüpfen wir an Debatten um Berührungen im digitalen Alltag an (Liebsch/Klein 2022) und re-aktualisieren soziologische Debatten um Telecare (u.a. Oudshoorn 2011, López Gómez 2010; Mort et al. 2015). Dies ist auch ein Beitrag zu der in der soziologischen Analyse von Technik-Körper-Relationen tendenziell vernachlässigten Betrachtung intersubjektiver Verkopplungen. Zwischen Leib und Materie: Teleoperation als Vermittlung robotischer Akteursschaft Universität Konstanz Das Forschungsfeld der humanoiden Robotik weist zwei Hauptstränge bei der Entwicklung von technisch-robotischen Körpern auf: Zum einen geht es um die autonome Bewältigung unabwägbarer Herausforderungen bei der Selbst-Umwelt-Relation z.B. beim Laufen, dem Lokalisieren von Objekten und Akteuren oder der Reaktion auf bewegliche Hindernisse, zum anderen werden anthropomorphe, körperanaloge Roboter dazu genutzt, um über Teleoperation menschliche Steuernde von der lokalen, räumlichen Präsenz sowie von ihren eigenen Körpern zu entkoppeln und in fernen Settings zu (inter-)agieren (z.B. als Telepräsenz in Pflege oder im Service). Ersteres dient dazu, den Roboter von seiner reinen Materialität in einen Akteur mit Weltrelationen zu überführen, während bei der Teleoperation die Leiberfahrung des Steuernden vom organischen Leib in die verkörperte Materialität der Robotergestalt versetzt wird. Dabei erfolgen Transitionen der Akteursschaft nicht nur hinsichtlich der Handlungsfähigkeit in einer fernen Lokalität, sondern auch in der „Verkörperungsrelation“ (Ihde) bei der Erfahrung von Selbst, Existenz und Präsenz als robotischer, sozialer Akteur. Anhand von empirischem Datenmaterial aus Langzeitstudien zur Teleoperation an einem Robotiklabor soll gezeigt werden, inwieweit sich bei der Teleoperation Hürden, Grenzen und Potentiale des Übergangs von einem menschlichen Leib hin zu einer neu konfigurierten, robotisch-vermittelten Leiberfahrung manifestieren und wie Steuernde über eine Langzeitanwendung und Passung ihrer „embodied practices“ die Transition und Dezentrierung ihres Leibs von ihrer „absoluten Örtlichkeit“ (Schmitz), als originären empirischen Nullpunkt, hin zu der materiellen Gestalt als neue absolute Örtlichkeit ihrer Existenz beschreiben. Teleoperation transformiert soziale Praktiken und fordert ontologische Kategorien (Subjekt/Objekt) heraus, indem sie die Spannung zwischen Leib und Materialität in Frage stellt, ohne sie aufzulösen. Als theoretischer Rahmen dienen Ihdes Postphänomenologie sowie körperphänomenologische Ansätze in der Tradition von Merleau-Ponty und Schmitz. Im Palliativmodus – Rekonfigurationen des Sterbens entlang digitaler Technologien auf der Intensivstation LUH, Deutschland Ein „Mehr“ an digitalen Technologien und Daten gilt im gesellschaftlichen Diskurs nach wie vor als Lösung sozialer Probleme – auch und vor allem in der medizinischen Versorgung. Die Allgegenwärtigkeit digitaler Daten kann aber auch zum Problem avancieren, und in „invisibility work“ (Petersson & Backman 2021: 1271) münden. Dieser Beitrag widmet sich aus einer digitalisierungssoziologischen Perspektive der Aushandlung von und dem Umgang mit digitalen Technologien, die in der intensivmedizinischen Versorgung eingesetzt werden. Er nimmt empirisch eine digitale Technologie, den „Palliativmodus“ am Vitalparametermonitor letal erkrankter Patient:innen in den Blick; ein Modus, der die Alarmierungen stummschaltet und Signalfarben des Monitors dimmt. Als eine Art „second-order solutionism“ (Nachtwey & Seidl 2024: 107) hegt diese Software Funktionen des Monitors ein, für die er ursprünglich entwickelt wurde. Angehörige können sich so auf das Abschiednehmen konzentrieren, ohne, dass visuelle und akustische Impulse auf Basis digital verarbeiteter und dargestellter Körperdaten die Aufmerksamkeit auf die digitale Technologie lenken. Mithilfe einer organisationssensiblen, soziomateriellen Linse nach Cooren (2020) fragt der Beitrag nach der Art und Weise, wie sich die Rekonfiguration des Sterbens auf der Intensivstation entlang des Palliativmodus materialisiert. Der Datenkorpus wurde ethnografisch über einen Zeitraum von 20 Monaten gebildet, insgesamt wurde über 200 Stunden beobachtet und interviewt, woraus mehr als 500 Seiten Feldprotokoll- und Interviewmaterial entstanden sind. Die Ergebnisse zeigen, dass die Rekonfiguration des Sterbens mithilfe des Palliativmodus sich zum einen auf die Angehörigen beziehen; dadurch, dass die Funktion der digitalen Technologie reguliert wird, findet auch eine vermittelte Regulierung und Steuerung der Aufmerksamkeit der Angehörigen statt. Sie erleben eine Trennung von Körper und Technologie, was eine Konzentration auf den Patienten erlaubt. Umgekehrt zeigt sich die Rekonfiguration des Sterbens im Hinblick auf die Pflegekräfte: Sie erkennen durch den Palliativmodus, dass sie keine kurativen Maßnahmen, keine Auslösung möglicher Notfälle vornehmen müssen und damit ihre Aufmerksamkeit vom Patienten weggelenkt werden darf. |