Die Rolle von Peer-Beziehungen bei Bildungsübergängen von benachteiligten Schüler*innen: Eine qualitative Netzwerkstudie
Markus Gamper, Sarah A. Adjei Otuo
Universität zu Köln, Deutschland
Bildungsübergänge von benachteiligten Personen sind ein komplexes Phänomen, das von verschiedenen Faktoren beeinflusst wird. Während intergenerationale Einflüsse wie Eltern oder Lehrkräfte traditionell im Zentrum der Bildungsforschung stehen, rücken intragenerationale Dynamiken wie Peer-Beziehungen zunehmend in den Fokus. Unsere Studie möchte die Frage beantworten, welche Bedeutung und Einflüsse Peer-Netzwerke auf Bildungsübergänge von benachteiligten Personen haben, insbesondere nach der Grundschule und in der weiterführenden Schule.
Mittels einer qualitativen Netzwerkstudie, finanziert von der Bundesministerin für Bildung und Forschung (BMBF), die eine kombinierte Methode aus leitfadengestützten Interviews und Netzwerkvisualisierungen verwendet, möchten wir die Rolle von Beziehungen bei Bildungsübergängen von benachteiligten Personen untersuchen. Hierfür haben wir 25 Netzwerkinterviews mit benachteiligten Jugendlichen geführt. Wir werden dabei die Netzwerkstruktur und die Beziehungen zwischen den Teilnehmern analysieren, um die Bedeutung von Peer-Unterstützungen und andere Relationen für die Bildungsaufstiegsmobilität zu verstehen.
Unsere Studie greift auf die Theorie des Sozialkapitals zurück, um die Bedeutung von Peer-Unterstützungen und anderen Relationen bei Bildungsübergängen von benachteiligten Personen zu verstehen. Insbesondere ist die Theorie des Sozialkapitals für benachteiligte Personen von Bedeutung, da diese oft weniger kulturelles und ökonomisches Kapital besitzen und daher auf soziale Unterstützungen angewiesen sind, um ihre Bildungsaufstiegsmobilität zu fördern. Durch unsere Studie möchten wir ein tieferes Verständnis für die Rolle von Peer-Unterstützungen bei Bildungsübergängen von benachteiligten Personen gewinnen und diese in einen größeren Kontext stellen.
Eltern, Freunde und Mitschüler: Die Rolle sozialer Bezugsgruppen im Kontext vorzeitiger Ausbildungsbeendigungen
Matthias Siembab
Bundesinstitut für Berufsbildung, Deutschland
Eine abgeschlossene Berufsausbildung ist für junge Menschen in Deutschland entscheidend für einen gelingenden Übergang von der Schule in den Beruf. Vorzeitige Ausbildungsbeendigungen (Ausbildungsabbrüche oder -wechsel) können demnach negative Folgen für die weiteren Erwerbs- und Lebensverläufe haben. In der Forschung zu den Ursachen vorzeitiger Beendigungen werden soziale Kontexte bisher nur selten berücksichtigt – trotz ihrer Bedeutung u.a. bei der Berufswahl. Dieser Beitrag untersucht daher, welche Rolle soziale Bezugsgruppen für die Entscheidung junger Menschen spielen, die berufliche Erstausbildung vorzeitig zu beenden. Im Fokus stehen sowohl inter- als auch intragenerationale Bezugsgruppen: Eltern, Freunde und Mitschüler in der Berufsschule. Konkret werden zwei Forschungsfragen untersucht: (1) Welche Bezugsgruppen sind mit der Abbruchentscheidung verbunden? (2) Und wie beeinflussen sie den Entscheidungsprozess? Dabei wird unter Rückgriff auf soziologische und sozialpsychologische Theorien zwischen normativen und komparativen Funktionen von Bezugsgruppen unterschieden (Kelley 1968), die Lernerfahrungen prägen und sich auf die Abbruchentscheidung auswirken können (Lent et al. 2002). Anhand von Längsschnittdaten der NEPS-Startkohorte 4 lassen sich zwei zentrale Ergebnisse festhalten: (a) Eltern und Freunde haben eine normative Funktion; Auszubildende schließen mit höherer Wahrscheinlichkeit erfolgreich ab, wenn sie glauben, dass ihre Eltern und Freunde dies von ihnen erwarten. (b) Sowohl Mitschüler als auch Eltern haben eine komparative Funktion; wenn Auszubildende hohe Karriereambitionen bei ihren Mitschülern wahrnehmen, könnte dies einschüchternd wirken und das Risiko einer vorzeitigen Beendigung – zugunsten eines Wechsels in einen anderen Ausbildungsberuf – erhöhen. Überdies scheinen Eltern mit einem höheren beruflichen Status die Auszubildenden zu ermutigen, einen anspruchsvolleren Berufsweg (z.B. ein Studium) einzuschlagen. Um erfolgreiche Abschlüsse zu fördern könnte es von Vorteil sein, auch Akteure zu adressieren, die zwar nicht direkt für die Berufsbildung verantwortlich sind, aber als wichtige Bezugsgruppen für die Auszubildenden fungieren. Des Weiteren könnte es hilfreich sein, in Berufsschulen ein Lernumfeld zu schaffen, in dem die eigenen Leistungen der Auszubildenden im Vordergrund stehen und weniger der Vergleich mit anderen.
Der Einfluss älterer Geschwister auf die idealistischen Bildungsaspirationen jüngerer Geschwister in Migrantenfamilien: Die Rolle von Sprachpraktiken unter Geschwistern
Marion Fischer-Neumann1, Thomas Zimmermann2, Laura Froehlich3
1Universität Duisburg-Essen; 2Goethe-Universität Frankfurt; 3FernUniversität in Hagen
Older Siblings’ Educational Impact on Younger Sibling’s Idealistic Educational Aspirations in Migrant Families: The Role of Sibling Language Practices
This study investigates the association between older siblings’ educational attainment and younger siblings’ idealistic educational aspirations in migrant families, with particular attention to the moderating role of inter-sibling language practices at home. Grounded in the Wisconsin model of status attainment (Sewell et al., 1969) and prior research on the role of significant others—such as parents, peers, and classmates—in shaping educational aspirations (Kretschmer & Roth, 2021; Zimmermann, 2018), we explore how the language used between siblings—heritage language (L1) and host country language (L2)—relates to the transmission of educational orientations. While national and international studies highlight the relevance of older siblings in the educational trajectories of migrant families (Nicoletti & Rabe, 2019; Kohlmeier & Fischer-Neumann, 2024), the conditions under which these intra-familial associations emerge remain insufficiently understood. Language use serves as an indicator of social proximity, cultural affiliation, and access to educational resources. Communication in L2 may facilitate access to system-related knowledge, resources, and academic support (Strobel & Seuring, 2016; Sorenson Duncan & Paradis, 2020), whereas L1 may foster trust, cultural identity, and the transmission of educational values (Panicacci, 2023; Tseng & Fuligni, 2000). We examine whether the relationship between older siblings’ educational attainment and younger siblings’ aspirations varies by language patterns used at home (German only; mostly German, sometimes the other language; mostly the other language, sometimes German; only the other language). Drawing on data from the NEPS Starting Cohort 2 (n = 1,924 students with a migration background), we apply multivariate linear probability models including relevant controls for GPA, age, gender, socioeconomic background, country of origin, and parent-child language practices. This study adds to research on educational stratification and intra-family dynamics in migrant contexts by illuminating how everyday sibling interactions shape inter-sibling processes and educational aspirations.
Peer-inspired: Der Beitrag von Ressourcen aus dem Peer-Netzwerk zum Zustandekommen und Gelingen von Bildungsaufstiegen
Thomas Spiegler
Theologische Hochschule Friedensau, Deutschland
Im Kontext von Bildungsaufstiegen werden in der bildungssoziologischen Forschung verschiedene Effekte des sozialen Kapitals diskutiert. Zum einen die geringeren Ressourcen innerhalb der Familie und die Auswirkungen, die dies auf die Bildungsentscheidungen und die Bewältigung eines Studiums hat, zum anderen die unterstützende Rolle, die Peers außerhalb der Kernfamilie zukommen kann.
Im Mittelpunkt des Beitrags steht die Frage nach dem Einfluss von Peers auf das Zustandekommen von Bildungsaufstiegen. Die Daten stammen aus einer umfangreichen qualitativen Studie zu den Bedingungen und Ressourcen von Bildungsaufstiegen. Die Untersuchung, bei der 58 first-generation students in biografisch orientierten, offenen Interviews ausführlich ihre Bildungsgeschichte erzählten, wurde in Kooperation mit der Studienstiftung des deutschen Volkes mit Förderung durch Mittel des BMBF durchgeführt.
Die Analyse präsentiert am empirischen Material verschiedene Wege, auf denen Zugang zu rele-vanten Peers zustande kommt und nimmt in den Blick, welche Funktion (z.B. Motivator, Role Model, Ideengeber, Buddy …) die Peers dabei einnehmen oder zugeschrieben bekommen. Im Mittel-punkt steht dabei die Entscheidung für ein Studium. Es wird analysiert, auf welche Art und Weise Peers dazu beitragen, die für einen erfolgreichen Bildungsaufstieg erforderlichen Bedingungen her-zustellen und für welche Gruppe von first-generation students sie besonders relevant erscheinen.
Die theoretische Rahmung bilden Theorien, die soziales Kapital als eine Ressource in Bildungsprozessen verstehen (Coleman 1988), die eingebettet ist in Netzwerke und durch die Bindungen in diesen Netzwerken zugänglich wird (Lin 2001). Soziales Kapital ist transformierbar in andere Kapi-talformen und die Netzwerke, über die es zugänglich ist, sind das Produkt von Arbeit (Bourdieu 1983; 2017).
Dieser Beitrag schärft den Blick darauf, wie auf soziales Peer-Kapital zugegriffen wird und wie sich konkret der Transformationsprozess vollzieht, der Ressourcen aus dem sozialen Netzwerk in kulturelles Kapital umwandelt.
Zwischen Anpassung, Abgrenzung und sozialer Positionierung: Peers als Taktgeber:innen am Esstisch?
Jane Lia Jürgens
Ruhr-Universität Bochum, Deutschland
Der Beitrag untersucht intragenerationale Dynamiken beim Übergang an die Hochschule mit Fokus auf die Rolle von Peers für die Reproduktion und Transformation von Ernährungspraktiken. Im Rahmen eines qualitativen Längsschnitts (Sommersemester 2023 bis Wintersemester 2024/25) des laufenden Dissertationsprojektes wurden an einer Universität in Nordrhein-Westfalen Erstsemesterstudierende pro Semester interviewt, um Übergangserfahrungen zu rekonstruieren. Ernährungspraktiken – als alltägliche, oft unbewusste Handlungsmuster – können als Indikatoren für Selbst- und Weltverhältnisse dienen. Sie sind schichtspezifisch geprägt (Bourdieu, 1979; Täubig, 2016) und spiegeln soziale Ungleichheiten wider, insbesondere im Spannungsfeld familiärer Prägungen und institutioneller Strukturen.
Die Ergebnisse zeigen, dass Peers im Übergang verschiedene Funktionen erfüllen: Innerfamiliale Peers – vor allem ältere Geschwister – agieren als stabilisierende Orientierungspunkte (z. B. durch geteiltes Wissen und biografische Vorbilder). Außerfamiliale Peers leisten einen wichtigen Beitrag zur sozialen Integration und zur Aneignung neuer Praktiken. Mobilitätsbedingte Kontexte (z. B. Umzug) eröffnen Räume für neue Peerkonstellationen, in denen Ernährungsweisen verändert und teils in Herkunftskontexte zurückgespiegelt werden. Studierende, die am Hochschulort aufwachsen, greifen stärker auf bestehende Netzwerke zurück, was neue Peerbeziehungen einschränkt.
Besonders für First Generation Studierende fungieren Peers als zentrale Bezugspunkte zur Bewältigung habitueller Unsicherheiten. Ernährungspraktiken erweisen sich als Feld sozialer Aushandlung und symbolischer (Re-)Positionierung: Sie markieren Prozesse der Distinktion, Assimilation oder Reproduktion milieuspezifischer Orientierungen. Dabei übernehmen sie eine doppelte Funktion – als Mittel der Vergemeinschaftung (z. B. gemeinsames Kochen) wie auch der Abgrenzung (z. B. bewusste Distanzierung von herkunftsfamiliären Mustern).
Literatur:
Bourdieu, P. (1979). Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Täubig, V. (2016). Essen im Erziehungs- und Bildungsalltag erforschen. In: Täubig, V. (Hrsg.), Essen im Erziehungs- und Bildungsalltag. Weinheim/Basel: Beltz Juventa, S. 212-232.
Zwischen Freundschaften und Peer-Netzwerken: Die Rolle enger Freundschaften im diversen Freundschaftsumfeld für den Bildungsaufstieg
Juan Deininger
Universität Hamburg, Deutschland
Trotz der starken sozialen Selektion im deutschen Schulsystem und der daraus resultierenden sozialen Homogenität von Schulklassen bleibt der soziale Hintergrund von Freund:innen und Peers ein zentraler Einflussfaktor für Bildungsentscheidungen. Theoretische Konzepte wie das Wisconsin Model of Status Attainment erklären dies damit, dass Peers Normen und Erwartungen formen, welche die Bildungsentscheidungen des Einzelnen beeinflussen. Demgegenüber betonen Bridging-Ties-Theorien den Einfluss einzelner, enger Freundschaften auf den Bildungsaufstieg in tertiäre Bildung.
Während sich für beide Ansätze eigene empirische Belege finden, ist unklar, inwieweit Bridging-Effekte enger Freundschaften (strong ties) und die soziale Zusammensetzung des erweiterten Peer-Netzwerks (weak ties) gemeinsam Bildungsübergänge beeinflussen. So könnte etwa der Einfluss enger Freundschaften zu Personen mit höherem SES (Bridging-Ties) in Gruppen mit überwiegend niedrigem SES stärker wirken, während dieser Effekt in sozioökonomisch privilegierteren Peergroups abnimmt. Ebenso denkbar ist eine gegenseitige Verstärkung des Effekts, wenn sowohl enge Freundschaften als auch die Peergroup einen hohen SES aufweisen. Vermittelt werden diese Effekte vermutlich durch die Bildungsaspiration von Freund:innen und Peers.
Unklar bleibt zudem, welche Rolle (inter-)ethnisch-migrantische Netzwerke für Bildungsübergänge spielen. Besonders für Bildungsaufsteiger:innen mit Migrationshintergrund – bei denen eine Loslösung vom sozialen und ethnischen Herkunftsmilieu als zentrale Bedingung für Aufstieg diskutiert wird – scheint die ethnische Heterogenität der Peergroup besonders relevant.
Daraus ergibt sich folgende Forschungsfrage: Inwieweit beeinflussen enge Freundschaften in sozial und ethnisch heterogenen bzw. homogenen Peergroups Bildungsentscheidungen für tertiäre Bildung?
Die Analyse basiert auf CILS4EU-DE-Daten und erfasst die soziale sowie ethnische Heterogenität enger und erweiterter Freundschaften ab der 9. Klasse. Die Panelstruktur erlaubt es, Veränderungen in Peer-Kontexten sowie Übergänge in tertiäre Bildung nachzuverfolgen. Zur Beantwortung der Forschungsfrage werden Logit-Modelle eingesetzt, mit denen sowohl Mediationen als auch Moderationseffekte geschätzt werden.
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