Veranstaltungsprogramm

Sitzung
AdH44: In Transition: Trans*geschlechtliche Körperlichkeiten im gesellschaftlichen Kontext
Zeit:
Freitag, 26.09.2025:
9:00 - 11:45

Chair der Sitzung: Utan Schirmer, Alice-Salomon-Hochschule Berlin
Chair der Sitzung: Jannis Ruhnau, Universität Bielefeld
Sitzungsthemen:
Meine Vortragssprache ist Deutsch.

Zusammenfassung der Sitzung

Alle Vorträge der Veranstaltung werden auf Deutsch gehalten.


Präsentationen

Undoing Gender Transitions: Die Schwierigkeit, Geschlecht an trans(itionierenden) Körpern festzumachen

Louka Maju Goetzke

Goethe-Universität Frankfurt, Deutschland

Verschiebungen in der geschlechterdifferenzierenden Ordnung ermöglichen zunehmend Darstellungs- und Ausdrucksformen, die binäre Geschlechterkategorien transzendieren. Vor diesem Hintergrund eruiert der Vortrag Möglichkeiten uneindeutiger Geschlechtlichkeit im Verhältnis zur differentiellen Relevanz von Geschlechtszugehörigkeit. Er zeigt auf, mit welchen Differenzierungen trans(itionierende) Körperlichkeiten relational hervorgebracht und bestimmt werden, welche Weisen, Geschlecht zu (er)leben, dabei erschwert oder verunmöglicht werden und welche Art von Ambiguität ermöglicht oder problematisiert wird.

Grundlage der Ausführungen sind das Material und die Ergebnisse einer empirischen Studie dazu, wie das Phänomen der Geschlechtstransitionen aktuell zustande kommt und abgegrenzt wird: Wie konstituieren sich Geschlechtstransitionen und werden als Transitionen evident? Wie und wodurch wird Doing Gender zu Doing Gender Transition? Wie werden die Grenzen des Phänomens definiert und was wird durch die Grenzziehungen ausgeschlossen? Wie begrenzen sie die Möglichkeit, zu transitionieren, und prägen gegenwärtige Geschlechterverhältnisse?

Ein zentrales Ergebnis ist, dass die gesellschaftliche Forderung nach geschlechtlicher Eindeutigkeit bestehen bleibt, auch wenn Geschlechtergrenzen unschärfer werden. Es scheint keineswegs weniger wichtig, einem bestimmten Geschlecht anzugehören. Eine genauere Betrachtung der Konstitution der Geschlechtergrenze zeigt, dass sie Stellen unterschiedlicher Passierbarkeit aufweist. Der Vortrag arbeitet die Natur/Kultur-Unterscheidung als integralen Bestandteil der Geschlechterunterscheidung heraus, der bedingt, dass die Annahme einer dauerhaften Gegebenheit und Kategorisierbarkeit in eines von zwei Geschlechtern neben der Pluralisierung von Darstellungsformen fortbesteht. Der Rekurs auf Natürlichkeit findet dabei nicht trotz, sondern gerade wegen dieser Pluralisierung und einer Nivellierung von Geschlechterunterschieden statt. Er argumentiert, dass die in Alltagswissen diffundierte sexualwissenschaftliche Unterscheidung von Sex und Gender – wie in ihr angelegt – geschlechtliche Mobilität hemmt, Ambiguität verbesondert und Uneindeutigkeit verunmöglicht. Diese Analyse leistet einen Beitrag zu einem differenzierteren Verständnis von Geschlechtstransitionen, sowie zur Diskussion um die Relevanz und den Wandel der Geschlechterdifferenz.



Genitalflüssigkeiten und Geschlecht: Sozio-materielle Herstellungs- und Werdensprozesse von trans* Körperlichkeiten

Ell Rutkat

Universität Bielefeld, Deutschland

Basierend auf narrativen, erlebensbezogenen Interviews nimmt dieser Beitrag in den Blick, wie trans* Personen ihre Körper, Genitalien und Genitalflüssigkeiten erleben. Mit Hilfe von neomaterialistischen Perspektiven (im Anschluss an Karen Barad) wird am Beispiel von verschiedenen (sexuellen) Praktiken mit Genitalflüssigkeiten beschreibbar, wie sich Körper durch kontinuierliche Intra-Aktionen materialisieren. Durch das Zusammenspiel von körperlicher Materie, hegemonialen und alternativen Bedeutungen von Geschlecht und (sexuellen) Praktiken mit Squirt- und anderen Genitalflüssigkeiten konstituieren sich Körper ständig aufs Neue und auf neue Art und Weise. Eine solch neomaterialistische Konzeption von Körpern als intra-aktives und prozessuales Werden wird nicht nur queertheoretischen Forderungen gerecht, Körper und Geschlecht aus hegemonialen Fixierungen und Naturalisierungen zu lösen, sondern ist angebunden an die Alltagsrealitäten, das Erleben und die konkreten Erfahrungen von trans* Personen. Denn ein solches Körperverständnis trägt dem Umstand Rechnung, dass sich Geschlecht und damit einhergehend auch Körper in den alltäglichen Erfahrungen von trans* Menschen von Situation zu Situation unterschiedlich konstituieren können.



Stärke spüren, Muskeln sehen: trans und nichtbinäre Körper im Kraftsport

Jannis Ruhnau

Universität Bielefeld, Deutschland

Kraftsport gilt als Praxis, die darauf zielt, den Körper zu formen, was in sozialwissenschaftlichen Forschungen häufig im Rahmen von Selbstoptimierungspraktiken diskutiert wird. Einhergehend mit sich zuspitzenden Individualisierungsprozessen im Spätkapitalismus erscheint das verkörperte Selbst im Kraftsport als Projekt, das gemäß neoliberalen Anforderungen be- und erarbeitet wird. Auch Untersuchungen über die Bedeutung von Kraftsport für trans und nichtbinäre Personen fokussieren insbesondere Aspekte der Körperformung und Selbstoptimierung. Kraftsport gilt hier als spezifisch geschlechtsaffirmierende Praxis, die insbesondere trans Männern dabei helfen könne, den Körper Geschlechternormen entsprechend zu modifizieren.

Demgegenüber verschiebt mein Beitrag mittels Interviewmaterial mit kraftsporttreibenden trans und nichtbinären Personen den Fokus auf erzählte Körperwahrnehmungen. Die Forschungsperspektive kombiniert eine phänomenologische Betrachtung mit Subjektivierungsforschung und verflechtet narrative Interviews mit ihren diskursiven Sprechbedingungen. In den Interviews zeigt sich Kraftsport als Körperpraxis, die es den Befragten ermöglicht, an der eigenen Körperwahrnehmung zu arbeiten. Meine Interviewten erzählen, wie sie üben, sich selbst auf neue Weisen zu sehen und zu spüren. Dabei entstehende Wahrnehmungsweisen sind eingebunden in Diskurse der Communities, in denen sie sich bewegen. So hilft achtsamer Kraftsport Interviewpartner*in Daniele, sich selbst in einer Reihe mit fetten Models aus Queer Magazinen zu sehen. Bei Niko hingegen scheint das Sprechen über das Spüren des Körpers im Kraftsport mit Erlebnissen in einer transmaskulinen Gruppe zu korrespondieren: Hier wie dort bleibt das Körpergefühl eine offene Frage. In den Interviews aktualisieren sich Diskursfragmente feministischer Körperpolitiken, trans Narrativen und Therapeutisierung als interaktive Sprechbedingungen. Durch die Perspektivverschiebung auf die erzählten Körperwahrnehmungen zeigt sich die Formung des Körpers von kraftsporttreibenden trans und nichtbinären Personen als Formung des eigenen Sehens und Spürens. Sie stellt Vertrautheit und Selbstwirksamkeit dort her, wo sie trans und nichtbinären Personen gesellschaftlich oft verstellt werden: am eigenen Körper.



Die Un_Durchlässigkeit des Körpers: Gesundheit im Kontext von trans Unterdrückung

Mael Boenig

Universität Kassel, Deutschland

Viele der dominierenden Erzählungen über Gesundheit orientieren sich an Differenzen zwischen gesund und krank, zwischen psychisch und physisch sowie zwischen innen und außen. Solche dualistischen Konstruktionen finden sich auch in Debatten über die Lebensbedingungen von uns trans und nichtbinären Menschen und deren Auswirkungen auf unsere Gesundheit. Das Gender-Minority-Stress-Modell bietet einen bedeutsamen Erklärungsrahmen, um das Zusammenwirken von schützenden und belastenden Faktoren auf die Gesundheit im Kontext von trans Unterdrückung zu analysieren (Hornstein 2021). Als theoretisches Modell bringt es dabei dualistische Trennungen nicht nur zwischen schützend und belastend, sondern ebenso zwischen innen und außen, zwischen Individuum und Gesellschaft oder zwischen trans Unterdrückung und Transpositivität hervor.

In meiner Forschung zu Lebensgeschichten von trans und nichtbinären Menschen habe ich subjektive Vorstellungen von Gesundheit untersucht. Dabei wurde deutlich, dass die Biograph_innen vielschichtige Theorien entwerfen, in denen nicht solche dualistischen Gegensätze im Vordergrund stehen, sondern das Vorhandensein von Un_Gleichzeitigkeiten. Dies betrifft auch die Thematisierung von (trans) Körperlichkeiten. Schließlich bildet die Oberfläche unserer Körper eine schützende Grenze zwischen innen und außen, zwischen uns und den anderen und zwischen Selbst- und Welterleben. Sie markiert damit zugleich die Durchlässigkeit zwischen den im Inneren und Äußeren verorteten Schutz- und Belastungsfaktoren für unsere Gesundheit. Der un_durchlässige Körper kann Schauplatz und zugleich Bearbeitungsfläche von erfahrenden transfeindlichen Diskriminierungen und deren gesundheitlichen Auswirkungen sein.

Mit Beispielen aus meiner empirischen Forschung werde ich nachzeichnen, dass die Biograph_innen die Un_Durchlässigkeit des Körpers als bedeutsam für die Verarbeitung von trans Unterdrückung thematisieren. Aufgrund der vorherrschenden cisnormativen Anforderungen müssen wir uns als trans und nichtbinäre Menschen immer wieder zu diesen ins Verhältnis setzen und Strategien im Umgang mit trans Unterdrückung entwickeln. Infolgedessen entwerfen die Biograph_innen Vorstellungen von Gesundheit als individuelle und kollektive Herausforderung, die multidimensional zu be- und verarbeiten ist.



Forschung zu trans* Körperlichkeiten im gesellschaftlichen Wandel: ein Kommentar

Utan Schirmer

Alice-Salomon-Hochschule Berlin, Deutschland

Trans* Körperlichkeiten stehen geradezu klassisch für ‚Transitionen‘ im Sinne geschlechtlicher Übergänge. In Transition – d.h. in unabgeschlossenen Prozessen des Wandels befindlich – sind aber auch die gesellschaftlichen Bedingungen ihrer Lebbarkeit, die Weisen, wie sie konstituiert, gestaltet und erfahren werden, sowie Perspektiven und Ansätze ihrer empirischen Rekonstruktion. So rückten frühe soziologische Studien zu trans* Körperlichkeiten u.a. die sie begrenzenden Zwangswirkungen des medizinisch-juridischen Regimes der Transsexualität im Kontext der ‚westlichen‘, naturalisierten, strikt binären Geschlechterordnung in den Blick. Im Zuge radikaler trans*aktivistischer Anfechtungen dieses Regimes wurde zunehmend das Ermöglichungspotential kollektiver, subkultureller Praktiken rekonstruierbar, die vielfältige, nicht binär beschränkte trans* Körperlichkeiten konstituieren und (inter-)subjektiv als ‚wirklich‘ erfahrbar machen. Heute sind trans* Körperlichkeiten und Praxen weit über subkulturelle Kontexte hinaus sicht- und lebbarer geworden, sehen sich jedoch mit Restaurierungsbestrebungen einer strikt binären Geschlechterordnung bis hin zur Auslöschung jeder Möglichkeit transgeschlechtlicher Existenz konfrontiert.

Der Kommentar greift ausgewählte Aspekte der empirisch fundierten Beiträge des Panels auf und beleuchtet sie unter dem Gesichtspunkt, inwiefern die Forschungsperspektiven und Erkenntnisse auf Prozesse des gesellschaftlichen Wandels hinsichtlich der Konstitution und des Erlebens von trans* Körperlichkeiten verweisen. Das Aufzeigen von möglichen Verbindungslinien zwischen den Beiträgen dient auch als Überleitung zur anschließenden gemeinsamen Diskussion.