Veranstaltungsprogramm

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Sitzungsübersicht
Sitzung
AdH43: Im rechten Feld!? Methodologische Herausforderungen und methodische Strategien in der interviewbasierten und ethnographischen Forschung zur Far Right
Zeit:
Freitag, 26.09.2025:
9:00 - 11:45

Chair der Sitzung: Manuela Beyer, Hannah-Arendt Institut an der TU Dresden
Chair der Sitzung: Josephine Starke, Universität Leipzig/Hannah-Arendt-Institut
Sitzungsthemen:
Meine Vortragssprache ist Deutsch.

Zusammenfassung der Sitzung

Alle Vorträge der Veranstaltung werden auf Deutsch gehalten.


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Präsentationen

Unbehagliche Höflichkeiten: Über Weißsein, Privilegien und Implikation in der ethnografischen Forschung in rechten Feldern

Julia Leser

Philipps-Universität Marburg, Deutschland

Der Beitrag nimmt emotionale Herausforderungen und Fragen der Positionalität in der ethnografischen Forschung in rechten Feldern in den Fokus. Die Überlegungen stehen im Zusammenhang mit Forschungen, die ich seit 2018 in Ostdeutschland mit verschiedenen rechtspopulistischen/-extremen Akteuren und Organisationen durchgeführt habe. Im Beitrag setze ich mich mit meinem Unbehagen in dieser Forschung auseinander, das vor allem in Situationen zum Ausdruck kommt, wenn sich rechte Gesprächspartner:innen als höflich, rücksichtsvoll und nett präsentieren – was ich angesichts meiner eigenen Erwartungen und Meinungen über rechte Politik, die ich ins Feld mitbringe, als unangenehm und irritierend empfand. Die Gründe, warum sie – im Gegensatz zu zahlreichen anderen Personen(-gruppen) – nett zu mir waren, sind leider offensichtlich: weil ich – die Forschende – weiß, eine Frau, deutsch-aussehend und -sprechend bin. Diese "unbehagliche Höflichkeit" in der ethnografischen Interaktion dient jedoch auch als analytisches Instrument: Sie gibt Aufschluss darüber, wie sich das Feld konstituiert, wie (und für wen) es zugänglich ist und wie Forschende in die Politik des Feldes verwickelt werden. Anhand von Feldnotizen illustriert der Beitrag, 1) wie Weißsein in ethnografischer Forschung in rechten Feldern als Kategorie abwesend bleibt, sich aber in Form von Unbehagen manifestiert; 2) was dieses Unbehagen bewirkt und wie Weißsein und weiße Privilegien funktionieren; und 3) wie Forschende als "implizierte Subjekte" (Rothberg 2019) in rechten und rassistisch geprägten Feldern agieren. Der Beitrag setzt sich somit mit Fragen der Implikation, Partizipation und Verantwortung von Forschenden auseinander, die ethnografisch in rechten Feldern arbeiten.



Affektive Nähe, reflexive Distanz. Methodologische und ethische Herausforderungen einer ethnographischen Forschung zur neuen rechten Bewegung

Johanna Fröhlich

Universität Basel, Schweiz

Die ethnographische Forschung zur neuen Rechten konfrontiert Forschende mit einer doppelten Herausforderung: Zum einen erfordert das Forschungsinteresse an den impliziten Relevanzsetzungen und alltäglichen Erfahrungsordnungen der Akteur*innen eine affektive Nähe zum Feld. Zum anderen stellt gerade diese Nähe die normative und epistemologische Position der Forschenden immer wieder infrage. Ausgehend von meiner inzwischen abgeschlossenen Dissertation Die leidende Gemeinschaft des Volkes, die auf rekursiv stattfindenden Feldaufenthalten und teilnarrativen Interviews basiert, diskutiert der Beitrag zentrale methodologische und forschungsethische Spannungen in der qualitativen Forschung im rechten Feld. Die Grounded Theory Methodology (GTM) fungiert dabei nicht als bloße Auswertungslogik, sondern als integratives Forschungsdesign, das Offenheit systematisch mit theoretischer Reflexion verbindet. Durch ein leibphänomenologisch erweitertes Kodierparadigma werden affektive und körperlich vermittelte Erfahrungen sowie implizite Erwartungsordnungen analytisch erschließbar gemacht.

Zugleich reflektiert der Beitrag die spezifischen Anforderungen ethnographischer Präsenz in einem feindlich gesinnten und durch starke Exklusionsmechanismen strukturierten Feld. Die soziologische Forscher*in erscheint dort häufig als feindliche Beobachterin. Der Zugang zum Feld erforderte daher eine situativ flexible, aber ethisch verantwortete Rollenperformance, die zwischen Nähe und kritischer Selbstverortung oszilliert. Methodologisch plädiert der Beitrag für eine Forschungshaltung, die weder in affirmativer Verstehenwollen noch in bloßer ideologiekritischer Denunziation verharrt, sondern das rechte Feld als komplexe Erfahrungswelt ernst nimmt, ohne seine politischen Implikationen zu nivellieren.

Der Beitrag leistet damit einen doppelten Beitrag: Er zeigt, wie methodologische Offenheit und reflexive Ethik in der qualitativen Forschung zur extremen Rechten produktiv zusammengedacht werden können, und macht Vorschläge für eine kritisch-sensible Forschungspraxis in politisch hochgradig polarisierten Feldern.



"Schmierfinken und Stasi-Spitzel" - methodische Überraschungen im Feld als Ausdruck der Normalisierung der extremen Rechten

Alexander Leistner

Uni Leipzig, Deutschland

Der Vortrag stellt ein Spekrum überraschender Herausforderungen, zäher Aushandlungen und unwahrscheinlich geglückter Feldzugänge in interview- und beobachtungsbasierten Forschungen zur extremen Rechten vor. All diesen sehr unterschiedlichen Erfahrungen ist gemeinsam, dass sie auf je spezifische, sich in methodischen Fragen spiegelnde Art und Weise Ausdruck eines wachsendes Selbstbewusstsein und einer anhaltenden Normalisierung der extremen Rechten sind. Mal kühl und raffiniert sich ausdrückend als lauernde Gewissheit, nicht auf ewig ausgeschlossen und vielleicht ganz bald und zuerst in Ostdeutschland an (Regierungs)Macht beteiligt zu sein. Mal im Glanz einer nahezu popkulturellen Prominenz sich sonnend. Mal in rauer Selbstdemaskierung all dessen, was vielen Menschen - nicht zuletzt auch der Wissenschaft - blühen soll: Abschieben, Abschaffen, Aufräumen, Austrocknen.



Mit Rechten reden - ernsthaft!?’ – Biographieforschung im Kontext der extremen Rechten

Michaela Köttig

Frankfurt University of Applied Sciences, Deutschland

Das Argument, das Biographieforschung im Kontext der extremen Rechten entgegengebracht wird ist, dass rechten Akteur:innen mit diesem Forschungsansatz ein Forum geboten werde, ihre Lebensgeschichten aus ihrer Perspektive darzustellen und damit ein Sprechort für rechte Positionen geöffnet sowie eine verharmlosende und entlastende Perspektive auf die jeweiligen Lebensgeschichten, aber insbesondere auch auf die Erklärung extrem rechter Zugehörigkeit unterstützt werde. Nicht nur aus forschungsethischer, sondern auch aus politischer Haltung heraus, wird ein solches Vorgehen kritisiert.

Die Frage des politischen, wie forschenden Mehrwerts von Biographieforschung kann zurecht gestellt und muss diskutiert werden. In diesem Beitrag wird aufgezeigt, wie Biographieforschung im Kontext der extremen Rechten gestaltet sein muss, damit rechte Positionen nicht unreflektiert reproduziert werden und rechten Akteur:innen ein Forum zur Selbstdarstellung geboten wird. Es wird herausgearbeitet, dass Biographieforschung insbesondere deshalb ein gewinnbringender Zugang ist, weil er genaue Einsichten in Hintergründe sowie gegenwärtige und zukünftige Strategien der extremen Rechten zu rekonstruieren vermag und es anhand der Ergebnisse gelingt, auf einer gesicherten empirischen Basis Gegen- und Präventionsmaßnahmen entwickeln zu können. Mit Hilfe einer methodologischen Verortung und des konkreten Vorgehens im Hinblick auf die Gestaltung der Gesprächsführung und der systematischen und kontrollierten Analyse im Auswertungsprozess wird die Erkenntnisproduktion diskutiert. Forschungsethische Anforderungen und Schutzvorkehrungen im Forschungsprozess sollen ebenfalls angesprochen werden.

Verortet in der sozialkonstruktivistischen Biografieforschung wird der Zugang als gegenstandsangemessenes methodisches Vorgehen angesehen, um Fragen nach der Übernahme rechter Orientierungen und Handlungsmuster in Lebensgeschichten rekonstruieren zu können. Biographien werden nicht als subjektive Lebensverläufe betrachtet, sondern als soziale Gebilde, die im Wechselverhältnis zwischen Gesellschaft und Individuum entstehen. Der damit verbundene Einbezug gesellschaftlicher Bedingungen ermöglicht es, Erkenntnisse über die gesellschaftliche Situiertheit der Entstehungskontexte extrem rechter Erscheinungsformen zu erlangen, die über den Einzelfall weit hinausweisen, aber über dessen Analyse generiert werden.



Forschen in einem herausfordernden Feld: Reflexionen über Emotionen in der Forschung zur radikalen Rechten

Christoph Hedtke

Fachhochschule Erfurt, Deutschland

Feministische Forscher:innen wiesen seit Jahrzehnten auf die Bedeutung von Reflexivität und Emotionen im Forschungsprozess hin. Zwar wurden Emotionen zunehmend Untersuchungsgegenstand, doch die emotionalen Erfahrungen der Forschenden finden weiterhin nur wenig Beachtung. Dabei wirken sie sich direkt auf Aspekte unserer Forschung aus: Wie bewegen wir uns im Feld? Wie stellen wir Fragen und interpretieren Aussagen? Wie gehen wir mit aufkommenden Emotionen um und welche Auswirkungen haben sie auf künftige Forschungsprojekte?

All diese Fragen erlangen vor dem Hintergrund gestiegener Demokratie- und Wissenschaftsfeindlichkeit sowie radikal rechten Mobilisierungs- und Politikerfolgen besondere Relevanz. Denn empirische Forschung zur radikalen Rechten heißt häufig auch Forschung mit rechten Akteur:innen sowie Forschung in Kontexten, die von radikal Rechten geprägt sind. Und das stellt uns vor vielseitige Herausforderungen, die direkt oder indirekt aus der inhärenten Gewalt rechtsextremer Ideologien und der Distanz der Forschenden zum Forschungsgegenstand resultieren. Auch wenn in den letzten Jahren einige Publikationen zu methodischen und ethischen Fragen in der Forschung zur extremen Rechten erschienen (Vaughan et al. 2024; Ashe et al. 2021; Toscano 2019), bleiben Diskussionen über emotionale Aspekte meist die Ausnahme (Norocel/Segers 2025; Gelashvili/Gagnon 2024; Diefenbach 2023; Spissinger/Leser 2021; Pasieka 2019).

Vor diesem Hintergrund widmet sich der Vortrag den Emotionen sowie den damit verbundenen zahlreichen persönlichen und methodischen Herausforderungen in der Forschung in oder zu radikal rechten Kontexten. Der Vortrag basiert empirisch auf qualitativen Interviews (2023-2024) mit Forschenden aus Deutschland, die sich direkt oder indirekt mit dem facettenreichen Spektrum der radikalen Rechten, ihren Einstellungen, Handlungen oder deren gewaltsamen Konsequenzen auseinandersetzen. Ziel des Beitrages ist zunächst ein Bewusstsein für die emotionalen Herausforderungen und deren Folgen zu schaffen und Impulse zu geben, wie langfristig methodisch gute und reflexive Forschung in diesem Bereich ermöglicht und gleichzeitig die physische und psychische Integrität der Forschenden geschützt werden kann (Hedtke 2025; Hedtke/Beurskens 2025).



 
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