Innovationen der Wohnungsversorgung in verfestigten Machtstrukturen: eine infrastrukturelle Perspektive
Cordula Kropp
Universität Stuttgart, Deutschland
Lange galten Infrastrukturen als funktionale, aber weitgehend unsichtbare Weichensteller gesellschaftlicher Entwicklungen. Die Mehrfachkrisen der Gegenwart haben jedoch zu einer so grundsätzlichen Problematisierung geführt, dass die mit ihnen verankerten Entwicklungskorridore und Normalitäten in vielen Bereichen hinterfragt und neu verhandelt werden (Foundational Economy Collective 2019; Betz et al. 2023; Kropp 2023; Coutard & Florentin 2024). Während diesbezüglich die Infrastrukturen der Energie-, Wasser- oder Mobilitätsversorgung viel Aufmerksamkeit erhalten, gerät die Wohnraumversorgung als zentrale Infrastruktur insbesondere städtischer Lebens- und Teilhabechancen erst langsam in den Blick (zu Emgassen 2022; O’Sullivan et al. 2022; Novy et al. 2024). Jenseits dieser Ansätze lassen die wissenschaftliche und auch die politische Befassung mit der Wohnungskrise wenig Bewegung erkennen, wirken wie eingesperrt in überkommene Denkgehäuse.
Vor diesem Hintergrund beleuchtet der Beitrag auf der Suche nach kollektiver Handlungs- und damit Veränderungsfähigkeit (agency) die materiellen und institutionellen Arrangements: Welche transformativen Handlungsmöglichkeiten werden im Wohnungsbau verhandelt? Anhand eines aufschlussreichen Vergleichs der in der Bauwirtschaft angestrebten Innovationen und jener des Commoning in zivilgesellschaftlichen Bau-Initiativen wird durch eine qualitative Untersuchung (Dokumente und Interviews) in beiden Bereichen die Infrastrukturierung dieser Arrangements erkennbar. Die Auswertung zeigt die Bedeutung verfestigter Machtstrukturen, insbesondere in den institutionell verankerten Produktions- und Bewertungspraktiken im Wohnungsbau in Deutschland (Umbau und Neubau; die Immobilienwirtschaft wird hier weitgehend ausgeklammert). Dem Beitrag liegt ein ausführlicheres, zur Veröffentlichung eingereichtes Manuskript zugrunde.
Wohnraumversorgung als Infrastruktur: theoretische Implikationen
Lisa Vollmer
Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung, Deutschland
In der wirtschafts- und planungswissenschaftlichen Infrastrukturforschung wird Wohnraumversorgung nur selten als Infrastruktur benannt und teilweise sogar explizit ausgeklammert. Allerdings teilt sie viele technische und institutionelle Merkmale anderer Infrastrukturen, z.B. lange Lebensdauer, räumliche Immobilität, notwendig hohe Investitionskosten und einen gewissen Zwang zur zentralen Planung. Neben solchen Merkmalen werden Güter als Infrastruktur benannt, die für wirtschaftliches Wachstum oder gesellschaftliche Wohlfahrt als notwendig erachtet werden und die effizienter kollektiv – und das heißt zum Entstehungszeitpunkt des Begriffs in der Mitte des 20. Jahrhunderts meist staatlich – bereitgestellt werden können. Es ist also zu vermuten, dass sich der häufige Ausschluss der Wohnraumversorgung aus dem Spektrum der Infrastrukturen weniger aus kategorischer Schärfe, als aus der empirischen Realität ihrer marktnahen Organisation ergibt. Dieser Ausschluss ist umso erstaunlicher, als Ansätze der soziotechnische Infrastrukturforschung breite Anwendung in der Stadtforschung finden. Denn mit diesen Ansätzen sind die durch institutionelle und materielle Strukturen hervorgebrachten Pfadabhängigkeiten einmal geschaffener Infrastrukturen zu konzeptualisieren sowie räumliche und soziale Effekte ihrer Verortung, institutionellen Organisation und Verteilung zu fassen.
So verwundert es nicht, dass in jüngster Zeit die Wohnraumversorgung in deutschsprachigen wie internationalen Debatten häufiger als Infrastruktur gedacht wurde. Dies geschieht meist verbunden mit dem normativen Anspruch öffentliche Investitionen in die Wohnraumversorgung zu begründen. Aus dieser Logik heraus wird nur ein Teil der Wohnraumversorgung – im öffentlichen Eigentum oder kollektiv organisierte – als Infrastruktur verstanden. Andere Neukonzeptionierungen von Wohnraumversorgung als Infrastruktur betonen dagegen den Mehrwert das gesamte Wohnungssystem als Infrastruktur zu denken.
Der Beitrag beleuchtet die Gründe für den häufigen Ausschluss der Wohnraumversorgung aus der Kategorie Infrastruktur, argumentiert, warum sie dennoch als solche betrachtet werden sollte, zeichnet neuere Konzeptualisierungen von Wohnraumversorgung als Infrastruktur nach und entwickelt theoretische Implikationen, die sich aus einer solchen Konzeptionierung ergeben.
Kleingärten als soziale Infrastrukturen im Grünen: Zur Aushandlung städtischer Differenz
Nina Schuster
TU Dortmund, Deutschland
Seit ihrer Entstehung im 19. Jahrhundert hat sich die Funktion und Nutzung von Kleingärten stetig gewandelt – von der Subsistenzsicherung zur Zier- und Freizeitoase hin zur aktuell zunehmenden Hinwendung zu naturnah gestalteten Gärten und Hobbygemüseanbau. Und obwohl Gartenvereine erhebliche Flächen großstädtischer Grünräume nutzen, beschäftigt sich die soziologische Forschung eher selten mit Gärten, weil sie sie eher mit ökologischen Aspekten assoziiert. Demgegenüber betrachte ich in meinem Vortrag Kleingärten als unterschätzte soziale Infrastrukturen in Städten, die einen Beitrag zum städtischen sozialen Miteinander und zur Aushandlung von Differenz leisten. Die alltäglichen sozialen Praktiken der Vereinsmitglieder und Räume in den Vereinen geben Hinweise darauf, inwiefern die materiellen und raumbezogenen Arrangements dieser gemeinschaftlich ausgestalteten städtischen Begegnungs- und Aushandlungsräume Begegnung, sozialen Konflikt und Austausch ermöglichen. Indem die Gartenvereine unterschiedliche Menschen im gärtnerischen und Vereinstun zusammenbringen, tragen sie zu Begegnungen und Austausch über Differenzen hinweg bei. Dies macht sie zu wichtigen Mikroöffentlichkeiten, in denen in alltäglichen Praktiken Ressourcen ausgetauscht, geteilt und vermehrt werden. In Zeiten gesellschaftlicher Polarisierungs- und Vereinzelungsprozesse können sie daher einen Beitrag zur lebendigen Ausgestaltung gesellschaftlicher Transformationsprozesse leisten.
Allerdings sind Stadtentwicklungsprozesse durch Machtungleichgewichte geprägt: Kleingärten sind als historische Errungenschaften häufig hart erkämpft worden. In Zeiten einer finanzialisierungsgetriebenen Stadtentwicklung werden sie in den innerstädtischen Bereichen wachsender Großstädte wieder häufig zur Disposition gestellt. Nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass bis heute vor allem Mieter_innen Parzellen pachten, ist das Recht auf Stadt und auf Zentralität der weniger ressourcenstarken Bewohner_innen gefährdet. Dabei steht nicht nur der individuelle Zugang zu innerstädtischen Parzellen zur Disposition, sondern auch der Verlust einer durch Differenz geprägten, gemeinschaftlich ausgerichteten städtischen Mikroöffentlichkeit.
Infrastrukturen der Solidarität, Commoning und alltägliche Politiken
Helge Schwiertz
Universität Hamburg, Deutschland
In der anthropologischen und soziologischen Debatte zu Infrastrukturen ist deren soziale und politische Dimension hervorgehoben worden, wobei vor allem stadtplanerische und staatliche Politiken thematisiert werden. Welche Bedeutung haben Infrastrukturen aber auch für eine Organisierung sozialer Transformationen, die bei sozialen Bewegungen ansetzt? Dieser Frage gehe ich nach, indem ich nicht nur soziale Konflikte um Infrastrukturen untersuche, sondern vielmehr, wie durch Infrastrukturen Konflikte ausgetragen und soziale Alternativen erprobt werden. Hierzu verknüpfe ich die Literatur zu sozialen Bewegungen und Infrastrukturen. Bezüglich ersterer hebe ich die Bedeutung materieller Gefüge und langfristiger Netzwerke hervor. Dabei schließe ich an Alberto Meluccis Unterscheidung von Latenz und Sichtbarkeit an, um zu unterstreichen, wie der nachhaltige Aufbau von Infrastrukturen Momente der Mobilisierung ermöglicht, aber auch selbst politisch wirksam werden kann. Zum anderen arbeite ich bezüglich der Infrastruktur-Debatte die ‚weiche‘ Dimension von sozialen Beziehungsweisen heraus, wobei ich u.a. von AbdelMaliq Simones Konzept von „people as infrastructur“ ausgehe.
Empirisch beziehe ich mich auf eine qualitative Fallstudie, die im Rahmen des Forschungsprojekts „Enacting Citizenship and Solidarity in Europe ‚from Below‘“ in Hamburg-Wilhelmsburg durchgeführt wurde. Im Mittelpunkt stehen zwei lokale Initiativen, deren Politiken im Alltag ansetzen, die auf ein Commoning sozialer Probleme und Lösungsansätze abzielen, und die transversale Infrastrukturen der Solidarität im Stadtteil aufbauen. Dies ist erstens eine Selbstorganisierung geflüchteter Frauen, die geprägt ist von Erfahrungen mit der Architektur von Flüchtlingslagern, die Fremdbestimmung, Ungewissheit, Isolation und zugleich ein Ausgeliefertsein erzeugt. In ihren selbstorganisierten Räumen werden demgegenüber soziale Gefüge hergestellt, die durch Care-Infrastrukturen geprägt sind und eine größere Selbstbestimmung ermöglichen. In der zweiten Initiative ergeben sich materielle Anstoßpunkte etwa aus Briefen vom Jobcenter, der Ausländerbehörde oder Vermieter:innen sowie bevorstehenden Behördengängen. Hier werden ebenfalls solidarische Infrastrukturen eingerichtet, durch die Einzelne nicht isoliert hierarchischen Organisationen sozialer Infrastruktur (Ämter, Wohnungskonzerne) begegnen müssen.
Kollektive Infrastrukturen im Spannungsfeld von Commoning und Community-Kapitalismus
Silke van Dyk
Friedrich-Schiller-Universität Jena, Deutschland
Die Gegenwart ist reich an sozialen, ökonomischen und ökologischen Krisen, deren Folgen sich lokal manifestieren. Seit den 2010er-Jahren belasten vielerorts zudem drastische Austeritätspolitiken die öffentlichen Haushalte auf kommunaler Ebene – mit gravierenden Folgen für die Daseinsvorsorge und städtische Infrastrukturen. Zugleich sind Städte aber auch zu Orten des Widerstands und zu Laboren alternativer Sorgearrangements und Infrastrukturen geworden. Besonders einflussreich war diese Dynamik in Spanien: In fast allen Großstädten gewannen 2015 lokale Anti-Austeritätsbündnisse die Wahlen und es entstand eine Dynamik kommunaler Politik, die sich in Opposition zum (Zentral-)Staat stellte und als ‚neuer Munizipalismus‘ diskutiert wird. Das bekannteste Beispiel ist das Bewegungsbündnis Barcelona en Comú, das Barcelona zum Aushängeschild für eine progressive Stadtpolitik gemacht hat: Ziel war die Verknüpfung eines neuen Sozialmodells mit einer radikaldemokratischen Politik öffentlich-zivilgesellschaftlicher Koproduktion im Geiste der Commons, die als „becoming common of the public“ (Castro 2018) sowie als Dynamik „from welfare to commonfare“ (Subirats & Gomà 2020) beschrieben worden ist. In diesem Sinne ist Barcelona zum Leuchtturm einer radikaldemokratischen Neuverhandlung des Öffentlichen geworden, die am Fundament der Gesellschaft, an den (städtischen) Infrastrukturen ansetzt.
Der Vortrag beleuchtet – ausgehend vom Fallbeispiel Barcelona – die Herausforderungen einer Politik kollektiver Infrastrukturen, die unter gegebenen strukturellen Bedingungen, Krisendynamiken und Machtverhältnissen stets Gefahr läuft, von einer Politik des Commoning in eine Politik der Kooptation zivilgesellschaftlicher Akteure und Beiträge umzuschlagen. Tatsächlich war der Ruf nach den Ressourcen von Gemeinschaften und Nachbarschaften selten so laut wie unter Bedingungen radikaler Austerität. Um dieses Spannungsfeld von Demokratisierung und Ausbeutung auszuleuchten, wird auf die Diagnose des Community Kapitalismus (van Dyk & Haubner 2021) zurückgegriffen. Aus dieser Perspektive wird das Outsourcing sozialer Aufgaben an die Zivilgesellschaft im Modus der passiven Subsidiarität und Rechtlosigkeit problematisiert, systematisch von einem Insourcing der Zivilgesellschaft im Sinne der Co-Governance und Mitverwaltung abgrenzt und nach kritischen Übergängen fragt.
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