Veranstaltungsprogramm

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Sitzungsübersicht
Sitzung
AdH38: Food worlds in transition
Zeit:
Mittwoch, 24.09.2025:
9:00 - 11:45

Chair der Sitzung: Rainer Diaz-Bone, Universität Luzern
Sitzungsthemen:
Meine Vortragssprache ist Deutsch.

Zusammenfassung der Sitzung

Alle Vorträge der Veranstaltung werden auf Deutsch gehalten.


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Präsentationen

Food-Welten, Agrifood Studies und Qualitäten des Essens. Perspektiven der Ökonomie und Soziologie der Konventionen

Rainer Diaz-Bone

Universität Luzern, Schweiz

Die Ökonomie und der Soziologie der Konventionen (kurz Konventionentheorie) hat seit ihrem Beginn in Frankreich eine große Zahl an Studien vorgelegt, die sich zunächst mit der Struktur und der Dynamik von Lebensmittelbranchen beschäftigen. Im Zentrum steht die Analyse von Qualitätskonzepten (Bewertungslogiken) und institutionellen Logiken der Produktion, Distribution und des Konsums von Nahrung. Der Vortrag führt in die Grundkonzepte der Konventionentheorie ein. Diese kann als ein neopragmatischer Institutionalismus aufgefasst werden, der Teil der neuen neopragmatischen Sozialwissenschaften in Frankreich ist und sich seit den 2000er Jahren internationalisiert hat. Die Konventionentheorie geht insbesondere davon aus, dass die „Qualität“ von Nahrung nicht durch ihre materiellen Eigenschaften (und Vorprodukte) festgelegt ist, sondern als Resultat von Koordinationsprozessen verstanden werden muss, die Qualitätskonventionen so einbringen, dass die pluralen Identitäten und Qualitäten von Produkten erst ermöglicht werden.

Der Vortrag eröffnet den Zugang zu einer breiteren Perspektive an Themen. Dazu zählen regionale, nationale sowie globale Produktionslogiken (Worlds of Production und Global Value Chains), regionale und alternative Vertriebsnetze (alternative Food Networks), Praktiken des Essens, die Vielfalt von Lebensmittelqualitäten und -kategorien (Lebensmittelstandards und Labels) und nicht zuletzt die Differenzierung in und von Lebensmittelmärkten. Lebensmittel sind mit Forschungsfeldern verknüpft, die in den letzten Jahrzehnten immer mehr an Bedeutung gewonnen haben, wie die ökologische Lebensmittelproduktion, Nachhaltigkeit und Klimawandel, Gesundheit und Langlebigkeit sowie Vegetarismus und Veganismus. Gerade die Ökonomie und Soziologie der Konventionen als ein Ansatz der „Agrifood Studies“ ermöglicht die Verbindungen der „Food Studies“ zu diesen neueren Entwicklungen. Der Vortrag soll deutlich machen, dass die konventionentheoretische Fundierung der Analyse von Food Studies und der Agrifood Studies verschiedene Forschungsfelder (wieder) auf einer breiteren institutionentheoretischen Basis integriert, um aktuelle „Food-bezogene“ Problematisierungen soziologisch tiefgreifender angehen zu können. Dafür stellt die Konventionentheorie auch ein neopragmatisches Konzeptsystem sowie eine zugehörige Methodologie zur Verfügung.



Food Worlds in Transition: Vergemeinschaftung der Ernährung

Jana Rückert-John, Tonia Ruppenthal

Hochschule Fulda, Deutschland

Die Gegenwartsgesellschaft und ihre Art und Weise der Ernährung befinden sich einerseits in einem fragilen Zustand, der kontinuierlich Anpassungen und Antizipation von Handlungsweisen, Institutionen und Systemen evoziert. Andererseits erweisen sich Strukturen und Praktiken der Ernährung als wiederständig und relativ stabil. Im öffentlichen Diskurs prallen diese beiden Seiten aufeinander und werden als Krise der Agrar- und Ernährungssysteme beschrieben. Die multiplen Krisen sind auch Ausdruck dafür, dass etablierte Praktiken und Konventionen (Diaz-Bone 2018) erodieren.

Alternativen in und zugleich Lösungsansätze für die Food Worlds werden in Gemeinschaften als Sozialform entlang der gesamten Lebensmittelwertschöpfung, von der Produktion bis hin zur Konsumption, gesehen. Diese Alternativen werden auch als soziale Innovationen nachhaltigen Konsums beschrieben. Ihnen wird das Potenzial zugesprochen, sich im evolutionären Innovationsprozess durchzusetzen und damit nachhaltigere Strukturen der Ernährungssysteme ausbilden zu können. Mit Blick auf die Food Worlds sind es vor allem die Alternative Food Networks (AFN), die hinsichtlich ihrer Alternativität und ihres Transformationspotenzials diskutiert werden. Zugleich geht es in kritischer Perspektive um Grenzen und Konflikte von Transformationsprozessen, die nicht zuletzt die Frage nach dem Transformationsverständnis aufwerfen.

Sozial-ökologische Transformationen der Food Worlds sind komplexe gesellschaftliche Veränderungsprozesse, die nicht trivial sind, denn sie finden immer in einer vorfindlichen Gesellschaft statt, in der mit unterschiedlichen Veränderungsbereitschaften und -möglichkeiten sowie Eigensinnigkeiten von Menschen und institutionellen Akteure zu rechnen ist. Ein Lösungsansatz wird darin gesehen, „kleine Schritte“ der Transformation zu beschreiten und „evolutionäre Nischen“, „Räume für Abweichungen und Abweichungsverstärkungen“ zu schaffen (Nassehi 2024: 207).

Diese evolutionären Nischen sind Gegenstand des DFG-Projektverbunds „Shaping Future Society“, in welchem sich das Teilprojekt Ernährung mit Formen der Vergemeinschaftung als Zukunftsoptionen beschäftigt. Im Zentrum des Vortrags stehen Fragen nach Potenzialen, Chancen und Herausforderungen sowie Grenzen von Praktiken der Vergemeinschaftung der Ernährung sowie implizite und explizite Inklusions- und Exklusionsprozesse der Gemeinschaften.



Naturverhältnisse in der sozialökologischen Transformation der Ernährung zwischen Technofix und Communityfix

Martin Winter, Désirée Janowsky

Hochschule Fulda, Deutschland

Die sozialökologische Krise zeigt: Ernährung ist ein zentrales Feld gesellschaftlicher Auseinandersetzung um Zukunft, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Der Beitrag untersucht alternative Ernährungspraktiken als Ausdruck konflikthafter Lösungswege der Klimakatastrophe. Mithilfe der Soziologie der Konventionen (Boltanski und Thévenot 2011, 2014) wird analysiert, wie Kritik und Abweichung vom hegemonialen Ernährungsregime gerechtfertigt werden und wie dadurch Lebensmittel bewertet werden. Zwei Rechtfertigungsordnungen bzw. Ethiken stehen dabei im Fokus, die unterschiedliche Naturverhältnisse und Modi gesellschaftlicher Legitimation von Ernährungspraxen umfassen: die Ethik der Gemeinschaft und die Ethik der Solution. Die zentrale These lautet, dass beide in einem „Kampf um den Modus der Vergesellschaftung der Natur“ (Eder 1988) stehen: Die Ethik der Gemeinschaft (Rose 1996; van Dyk 2019; van Dyk und Haubner 2021) zeigt sich z. B. in Solidarischer Landwirtschaft, Urban Gardening oder Food Sharing. Hier wird Natur als Subjekt kollektiver Sorge gefasst und durch Vergemeinschaftung auf postkapitalistische Logiken Bezug genommen. Dagegen steht die Ethik der Solution (Guthman und Butler 2023; Laux, 2024; Nachtwey und Seidl 2024), die sich etwa in Innovationen der „Proteinwende“ – pflanzliche oder kultivierte Fleischalternativen – ausdrückt. Natur erscheint hier als optimierbares Objekt rational-technischer Problemlösungen, die gesellschaftliche Krisen durch disruptive Innovation adressieren wollen. Anhand aktueller Forschungen und Webseiten zentraler Akteur*innen werden diese beiden Rechtfertigungsordnungen sowie die ihnen zugrunde liegenden Naturverhältnisse dargestellt. Dabei wird deutlich: Beide Praktiken können gesellschaftliche Transformation anstoßen, bleiben jedoch an hegemoniale Ordnungen anschlussfähig oder riskieren, regressiven Tendenzen zu dienen. Die Gegenüberstellung beider Ethiken dient somit nicht nur der analytischen Unterscheidung konkurrierender Ansätze, sondern eröffnet auch ein kritisches Verständnis dafür, wie Krisenbewältigung im Spannungsfeld von Communityfix und Technofix verhandelt wird.



Ein Geschmack von Wandel: Hawker Center als Spiegel urbaner Dynamiken

Linda Hering

Humbold-Universität zu Berlin, Deutschland

Ernährungssicherung stellt urbane Räume vor besondere Herausforderungen. Demografischer Wandel, klimatische Veränderungen, geopolitische Krisen und Migration erhöhen den Druck auf lokale Akteure, Ernährungssysteme resilient und nachhaltig zu gestalten. Wie dies gelingt, hängt u. a. von Infrastruktur, sozialräumlicher Organisation, wirtschaftlicher Einbindung und politischer Handlungsfähigkeit ab.

Singapur gilt als Paradebeispiel im Hinblick auf die Integration von Ernährungspolitik in die Stadtplanung. Eine Schlüsselrolle spielt dabei die staatlich geförderte Außer-Haus-Verpflegung in den sogenannten Hawker Centern–öffentlichen Essensmärkten mit zahlreichen Einzelständen und gemeinschaftlich genutzten Sitzbereichen. Diese Zentren sichern die tägliche Versorgung, sind Ausdruck nationaler Identität und eröffnen ökonomische Perspektiven: für ältere Menschen mit geringer formaler Bildung ebenso wie für junge, gut ausgebildete Personen. Der demografische Wandel führt jedoch zu strukturellem Anpassungsdruck, da viele traditionelle Betreiber:innen in den Ruhestand gehen.

Der Beitrag untersucht mithilfe eines Mixed-Methods-Ansatzes, wie Transformationsprozesse–etwa demografischer Wandel, neue Arbeitsverständnisse und veränderte Medienpraktiken–zu Spannungen im sozialräumlichen Arrangement der Hawker-Ökonomie führen. Diese stellt eine lokalspezifische Variante urbaner Refiguration dar. Besonders deutlich treten generationale Unterschiede zutage: im Verständnis erfolgreicher Betriebsführung, in der Bewertung von Unterstützungsangeboten und im Umgang mit Regulierung. Während ältere Betreiber:innen ihre Tätigkeit retrospektiv als körperlich belastend und selbstausbeuterisch schildern und einen ruhigen Ruhestand anstreben, formulieren jüngere Akteure unternehmerische Ziele, die auf Expansion und Selbstverwirklichung zielen.

Neue Akteure wie Gewerkschaften und privatwirtschaftliche Unternehmen, die dann Social-Enterprise-Hawker Center managen, unterstützen die Lokalregierung bei der anstehenden Transition. Die Analyse zeigt, wie Ernährungssysteme nicht nur infrastrukturell, sondern auch kulturell neu verhandelt werden – und damit grundsätzliche Fragen zur Zukunft urbaner Ernährung aufwerfen.



 
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