Klimagefühle. Affektive Konturen einer kommenden Gesellschaft (Eine Methodenreflektion)
Marie Rosenkranz
Humboldt-Universität Berlin, Deutschland
In seinem „terrestrischen Manifest“ mahnte Bruno Latour, dass „die neue Universalität …. das Empfinden (sei), dass einem der Boden unter den Füßen wegsackt“ (Latour 2018, 17). Der Klimawandel bedeute auch einen Wandel von Gefühlslagen, für diese allerdings teils noch die Worte, Praktiken und auch die soziale Anerkennung fehlten: „Mit anderen Worten, wir sind bei der Neuausstattung unserer politischen Affekte im Rückstand“ (Latour 2018, 67). Vieles spricht dafür, dass sich angesichts des Klimawandels inzwischen starke Gefühle ergeben. Die neuen Gefühle rund um den Klimawandel werden immer mehr zum Gegenstand der Psychologie (Van Bronswijk und Hausmann 2022), Philosophie (Slaby 2023) und Theologie (Pihkala 2024). Die soziologische Auseinandersetzung steht – trotz erster Beiträge (z.B. Neckel und Hasenfratz 2021) – noch ziemlich am Anfang. Mein Forschungsprojekt setzt hier an und fragt: Welche Gefühle zeigen sich im Umgang mit dem Klimawandel? Untersucht werden ausgedrückte Klimagefühle – Wut, Trauer, Scham und Schuld – anhand der mit ihnen verbundenen sozialen Praktiken und Konflikte. Es geht dabei vor allem um negative Gefühle, für die bereits neue Begriffe gesucht werden – Eco-Anxiety, Eco Distress, Solastalgia (Albrecht 2006) – und um die Frage, ob und wenn ja an welchen Stellen sich auch positive Gefühle, wie Zusammenhalt, Hoffnung und Tatendrang auftun – oder eingefordert werden. Es stehen nicht Gefühle in der Klimabewegung im Zentrum (Hamann u. a. 2024), sondern der Fokus liegt auf verschiedenen Gefühlen abseits organisierter Klimagruppierungen, die latent in der Gesellschaft zirkulieren (Ahmed 2014) und deren soziale Angemessenheit in Gefühlskonflikten ausgehandelt wird. Das Projekt geht von zwei zentralen Stätten des Ausdrucks, der Bearbeitung und der Aushandlung von Klimagefühlen aus: die therapeutische Praxis und der Bildungsbereich. Im Fokus des Vortrags stehen theoretisch-methodologische Überlegungen zum Projektvorhaben.
Waldsterben in deutschen Mittelgebirgen – von Klimafrust bis Baumpflanzlust
Babette Kirchner1, Nicole Kirchhoff2
1Georg-August-Universität Göttingen, Deutschland; 2Universität Bielefeld, Deutschland
‚Die Deutschen‘ pflegen zum Wald als beständigem Sehnsuchts-, Zufluchts- und Rehabilitationsort ein emotionales Verhältnis. Seit der vergangenen Dekade wird die arboretische Gewissheit jedoch erschüttert. Öffentliche Diskurse fokussieren zunehmend die ökologische Transition. Meteorologische Extremereignisse (wie Stürme, Trockenheit) und deren ökologische Folgen werden nicht mehr als singuläre oder lokal stark begrenzte Geschehnisse, sondern als Krankheitsverlauf des ,Patienten Wald‘ gedeutet. Der Klimawandel rückt scheinbar näher. Bäume vertrocknen flächendeckend und knicken bei Stürmen wie Streichhölzer ein. Mit leisem Knistern arbeitet der Borkenkäfer unaufhaltsam unter der Baumrinde. Kilometerweit blickt das menschliche Auge auf kahle Flächen, wo vorher dichter Wald zu finden war.
Exemplarisch verweisen wir auf die beiden Mittelgebirgsregionen Harz und Sauerland. In Ersterem sind mittlerweile ca. 90% der Fichten abgestorben, bei Letzterem ist die Rede vom Ende ihrer „200jährigen Ära“. Rund um das Mittelgebirge als Wirtschafts-, Tourismus- und Lebensraum ringen diverse Akteursgruppen um Deutungshoheit bezüglich kausaler Zusammenhänge, Zukunftsszenarien und Handlungserfordernisse (retten, renaturieren oder in Ruhe lassen). Auffällig ist an den zahlreichen Positionen zum sog. Waldsterben eine ‚bunte‘ Mischung an Klimagefühlen. Für kränkelnde Wälder wird Mitleid empfunden, auch von Verlustangst um Naherholungsgebiete oder Sorge um wegbrechende Holzerträge wird gesprochen. Wütend, frustriert und fassungslos werden (menschengemachte) Ursachen gesucht bzw. wird Schuld zugeschrieben. Aber auch Hoffnung keimt: Optimistisch werden Bäume gespendet, fürsorglich Setzlinge gepflanzt und stolz auf gemeinsame Pflanzaktionen zurück geblickt. Dabei stellt sich die Frage, welche Klimagefühle im Mittelgebirge die richtigen und wichtigen sind und ob man im Klimaaktivismus überhaupt nüchtern-emotionslos sein darf.
Wenn der ‚Patient Wald‘ stirbt, dann stirbt auch eine gesellschaftlich tief verankerte Identifikationsfigur. Vorstellen möchten wir explorativ-empirische Tiefenbohrungen, bei denen wir multimethodisch Daten zu Mensch-Natur-Verhältnissen erheben, d.h. mit diversen ‚Waldakteuren‘ sprechen sowie Bild- und Textdaten von ‚Waldexpert*innen‘ analysieren, um affektiv-emotionale Deutungen zur sozial-ökologischen Transition zu rekonstruieren.
Men, Forests, and Change: Affect in Climate Change Related Decision-Making in Forestry
Anna Saave
Universität Freiburg, Deutschland
This paper explores the role of affect in climate change-related decision-making in forestry, based on an empirical study conducted with young forestry professionals in Germany. Forestry, as a profession, is closely tied to strong professional identities: foresters often view themselves as stewards of the forest and as (lone) heroes fulfilling a duty to balance ecological care with the economic yield of forest resources.
These self-conceptions are increasingly challenged by new environmental scenarios and management dilemmas induced by climate change. Climate change generates complexities that result in ‘impossible’ or, at minimum, deeply ambivalent decisions in forestry: for example, which native tree species can still be planted in a warming climate when none seem viable? How can forests be managed to retain sufficient water for ecosystems and communities while still providing timber resources?
Understanding these climate change-induced complexities in decision-making requires close attention to the role of affect – both as portrayed emotion and reported feeling. As traditional ideals of ‘win-win’ outcomes—balancing profit and preservation—become harder to achieve, affective responses emerge more prominently. These are partly rooted in professional traditions, where foresters draw legitimacy from inherited management models and long-established norms—norms that are now losing their effectiveness under new environmental pressures.
This study is part of a broader research project investigating how masculinities in forestry shape decision-making processes. Accordingly, the role of affect is interpreted through the lens of changing masculinities in the profession. The empirical investigation engages with young foresters who are self-selected members of eco-oriented forestry associations and active participants in related debates—individuals presumed to be both acutely aware of the climate crisis and entering a profession whose traditional paradigms are increasingly under scrutiny.
In this context, the paper examines which emotions and feelings come to the fore in current climate-related decision-making in forestry. It further analyzes how their emergence shapes the interventions chosen for climate adaptation and influences broader cultural practices within professional forestry.
Pioniergefühle als Coping-Strategie in der Klimakrise
Melissa Büttner
Friedrich-Schiller Universität Jena, Deutschland
Die Klimakrise stellt moderne Subjekte affektiv vor große Herausforderungen. Neben Zukunftsängsten und Ökotrauer machen sich auch Gefühle von Schuld und Scham ob der eignen Involviertheit in ökologische Destruktion breit. Diese stehen oftmals in Konflikt mit bestehenden affirmativen Gefühlsstrukturen, die sich um die ökologisch destruktiven Alltagspraxen gebildet haben. Dies wird besonders sichtbar am Auto und der alltäglichen Praxis des Autofahrens, was sich in der Debatte um SUV-Scham spiegelt. Anhand eigenem empirischem Material zeigt der Vortrag auf, dass durch den individuellen Umstieg auf E-Autos vermeintliche Auto-Scham durch ein anderes emotionales Narrativ überlagert werden: Pioniergefühle. Gemeint ist damit der Stolz und die Selbstzufriedenheit mit dem eigenen Handeln, welches Gewissheit gibt, nun das Richtige zu tun und aktiv zur Lösung der Klimakrise beizutragen; ja sogar ein*e Vorreiter*in eines Wandels in die richtige Richtung zu sein.
Pioniergefühle sind kein zufälliges Phänomen, sondern die emotionale Entsprechung einer Gesellschaft, die die Klimakrise durch ökologische Modernisierung und individuelle Responsibilisierung zu lösen sucht. Ferner sind sie ein Fühlen, das anschlussfähig an viele bürgerliche Dispositionen des Fühlens – insbesondere bürgerliche Kälte und Modernisierungsoptimismus – ist. Auch sind Pioniergefühle kein exklusiv automobiles Phänomen, sondern lassen sich auch bezüglich anderer Alltagspraktiken und Konsumentscheidungen finden, etwa im Falle von eigenen PV-Anlagen oder dem Einbau einer Wärmepumpe im Eigenheim. Sie sind somit ein Gefüge von Empfindungen, das einen spezifischen emotionalen Bearbeitungsmodus der Klimakrise darstellt, welche allerdings in bisherigen einschlägigen Texten hierzu bisher kaum thematisiert ist.
Die Analyse von Pioniergefühlen endet mit einer Diskussion der Ambivalenz bezüglich der Implikationen des Phänomens: Bieten Pioniergefühle eine Möglichkeit, Klimasorgen und Zukunftsängste zumindest bedingt zuzulassen oder sind sie letztlich Teil von Verdrängungsmechanismen und kollektiver affektiver Derealisierung? Und welchen Beitrag leisten Pioniergefühle zur Aufrechterhaltung nicht-nachhaltiger Alltagspraxen und Gesellschaftsstrukturen und ermöglichen deren emotionales Greenwashing?
Verdrängte Angst, verleugnete Schuldgefühle, hartnäckige Normalität? Was ist falsch am gesellschaftlichen Empfinden der Klimakrise?
Leo Schwarz
Friedrich-Schiller-Universität Jena, Deutschland
Im soziologischen Diskurs wird zuletzt häufig auf die gesteigerte Affektivität der zeitgenössischen Gesellschaft hingewiesen. Paradoxerweise bringen in Bezug auf die Klimakrise sozialwissenschaftliche und psychologische Studien in jüngerer Zeit eine gegenläufige Diagnose in Stellung: Gerade die eigentümliche Abwesenheit angemessener Empfindungen im Angesicht der drohenden Katastrophe rückt ins Zentrum des Interesses. Dabei geht es um bestimmte Formen der Abwehr, die gegenüber den affektiven und kognitiven Aspekten der Klimakrise wirksam werden. Neben Beiträgen, die verschiedene Repertoires von Abwehrmechanismen im klassisch psychoanalytischen und verhaltenspsychologischen Sinn behandeln, gibt es eine Reihe von Arbeiten, die bestimmte Formen affektiver und kognitiver Indifferenz und Abwehr ins Zentrum klimabezogener Zeitdiagnosen stellen. Ihnen gilt das Interesse meines Vortrags.
Dabei widme ich mich Texten von Kari Norgaard, Stephan Lessenich, Alenka Zupančič und Tadzio Müller. Bei diesen Arbeiten handelt es sich um überaus vielgestaltige Diagnosen, die auf unterschiedlicher theoretischer und empirischer Grundlage zu durchaus unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Gemeinsam ist ihnen aber ein bestimmtes theoretisches Muster, das den gesellschaftlichen Umgang mit der Klimakrise durch unterschiedliche sozial bedingte kognitive und affektive Defekte zu erklären sucht.
In meinem Vortrag möchte ich mehrere exemplarische Varianten des Arguments auf ihre Plausibilität und Haltbarkeit hin befragen. Dabei soll auch auf eine Reihe von Unschärfen, Kurzschlüssen und Uneindeutigkeiten hingewiesen werden. Insbesondere versuche ich zu explizieren, was die Theorien eigentlich erklären können und in welcher Hinsicht sie einen Beitrag zum sozialwissenschaftlichen Verständnis der gesellschaftlichen Klimakrise leisten können. Schließlich argumentiere ich für eine deutlich abgeschwächte Fassung des theoretischen Musters sowie seines Erklärungsanspruchs.
„Letzten Endes blieb mir nur wieder mal schockiert anzuerkennen, dass (…) wir am Arsch sind“ – Agency-Konstruktionen, Ohnmachtsgefühle und andere Emotionen im Zusammenhang mit Biodiversität. Eine methodische Annäherung an nachhaltige Transitionen im Alltag mit Reflective Diaries.
Kerstin Botsch
Umweltministerium BW / Nationalpark Schwarzwald
In diesem Beitrag möchte ich anhand von Tagebuchdaten aus einem laufenden Forschungsprojekt zur sozial-ökologischen Transformationsforschung zeigen, inwiefern Tagebücher („Reflective Diaries“) als fruchtbares Instrument in der Transformationsforschung genutzt werden können, um Emotionen zu verstehen, die durch Transformationsherausforderungen (z. B. Biodiversitätsverlust) hervorgerufen werden. Zudem möchte ich die Rolle der Reflexion über solche Erlebnisse im Alltag für Handlungsmotivationen des Einzelnen beleuchten, sein Verhalten zu verändern oder sich sozial zu mobilisieren.
In meinem Beitrag verfolge ich zwei Ziele: Erstens möchte ich die Reflective Diaries als eine transformative Forschungsmethode der Nachhaltigkeitsforschung etablieren und die vielfältigen Analysemöglichkeiten aufzeigen. Zweitens möchte ich anhand empirischer Diary-Beispiele aufzeigen, inwiefern Emotionen im Zusammenhang mit der Klimakrise und dem Artensterben durch Agency-Konstruktionen versprachlicht werden, die die wahrgenommene Handlungs(un)fähigkeit von Individuen verdeutlichen (vgl. Helfferich 2012). Emotionen und sprachliche Agency-Handlungscharakterisierungen sind nicht nur einfach subjektive Reaktionen auf Verlustantizipation und negative Zukunftserwartungen (Reckwitz 2024: 431). Sie werden hier auch als soziale und kulturelle Konstrukte verstanden. Diese sind eng verbunden mit sozial geteilten Normen, Werten und auch Moralvorstellungen (Sauer 2023).
Erste Ergebnisse deuten zwar darauf hin, dass der Verlust von Biodiversität von vielen Tagebuchschreibenden negativ erlebt und als emotional belastend wahrgenommen wird. Die Frage, ob die Signale emotional-moralischer Zugehörigkeit als identitätsstiftendes Moment für soziale Mobilisierung ausreichen, muss dennoch gewagt werden. Aus den Tagebuchdaten geht auch nicht eindeutig hervor, ob der dramatische Rückgang der Biodiversität überhaupt als gesellschaftlich relevanter „Verlust“ bewertet wird, um mit Reckwitz (2024) zu sprechen. Dies hätte weitreichende Konsequenzen für die Nachhaltigkeitsforschung.
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