Veranstaltungsprogramm

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Sitzungsübersicht
Sitzung
AdH36: Familiengründung und -erweiterung im Kontext (medizinisch) assistierter Reproduktion
Zeit:
Freitag, 26.09.2025:
9:00 - 11:45

Chair der Sitzung: Heike Trappe, Universität Rostock
Chair der Sitzung: Anne-Kristin Kuhnt, Universität Rostock
Chair der Sitzung: Tabea Naujoks, Universität Rostock
Sitzungsthemen:
Meine Vortragssprache ist Deutsch., Meine Vortragssprache ist Englisch.

Zusammenfassung der Sitzung

Der Vortrag "Reconfiguring Reproduction: Social Inequality, Normativity, and Individual Decision-Making in the Context of Assisted Reproductive Technologies in Switzerland" wird auf Englisch gehalten. Alle anderen Vorträge der Veranstaltung sind auf Deutsch.


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Präsentationen

Reproduktionsregime: Ein Ländervergleich reproduktiver Rechte und Restriktionen im Lebensverlauf

Hannah Zagel

Technische Universität Dortmund, Deutschland

Diese Studie macht einen Vorschlag zur theoretischen und empirischen Typologisierung von ‚Reproduktionsregimen‘ entwickelter Wohlfahrtsstaaten, in dem erstmals unterschiedliche Felder der Regulierung von Reproduktion im Lebensverlauf berücksichtigt werden, d.h. von Reproduktionsmedizin, Schwangerschaftsabbruch, Verhütungsmitteln, Sexualerziehung und Schwangerschaftsfürsorge. Bisherige vergleichende Forschung legt meist einen starken Fokus auf rechtliche Bedingungen von Schwangerschaftsabbrüchen, wobei in den letzten Jahren das Interesse an internationalen Unterschieden in der Regulierung von Reproduktionsmedizin gestiegen ist. Breiter angelegte Vergleiche, mit denen ein besseres Verständnis von Ansätzen der Intervention in individuelle reproduktive Prozesse und deren Wandel über die Zeit erlangt werden können, bleiben bisher aus. Neben den genannten Regulierungsfeldern bezieht diese Studie gesellschaftliche Ausprägungen der reproduktiven Gesundheit und Gerechtigkeit ein und berücksichtigt sie empirisch als aggregierte Merkmale zur Klassifizierung der Reproduktionsregime. Den Regimen unterliegen unterschiedliche reproduktionspolitische Motive, wie dem historisch bedeutsamen eugenischen, dem pro-natalistischen, dem partikularistischen und dem an Bedeutung gewinnenden emanzipatorischen Motiv, und unterscheiden sich in deren jeweiligen gesellschaftlichen und politischen Triebkräften. Mithilfe der Dimensionen ‚autonomieunterstützend‘ und ‚partikularistisch‘ arbeite ich vier Regimetypen heraus: einen universalistischen, einen interventionistischen, einen liberalen und einen selektiven Typ. Empirisch nutze ich quantitative Policy-Indikatoren zu 30 Ländern aus der neuen International Reproduction Policy Database (IRPD), mit denen ich die zwei konzeptuellen Dimensionen für die 1990er und 2010er Jahre operationalisiere. Um die Ebene der individuellen Implikationen zu berücksichtigen, beziehe ich aggregierte Daten zum Verbreitungsgrad von Müttersterblichkeit, sexuellen Infektionen bei Jugendlichen und ungewollter Schwangerschaft aus weiteren Quellen (EU; Guttmacher; WHO) für die Länder hinzu. Die Studie leistet sowohl einen Beitrag zur soziologischen Betrachtung sozialer Prozesse des Kinderbekommens und Nicht-Kinderbekommens, als auch für Ländervergleiche mit demografischen Fragestellungen oder Wohlfahrtsstaatsanalysen.



Soziale Ungleichheiten im Risiko von Infertilität und der Nutzung assistierter Reproduktion

Jasmin Paset-Wittig

Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, Deutschland

Mit dem steigenden Alter bei der Familiengründung steigt das Risiko altersbedingter Fertilitätsprobleme und die Wahrscheinlichkeit das Kinderwünsche unerfüllt bleiben. Als Folge nutzen immer mehr Betroffene die medizinisch assistierte Reproduktion (MAR). Die Frage nach der sozialen Ungleichheit im Risiko von Infertilität sowie im Zugang beziehungsweise in der Nutzung von MAR stand bis lang wenig im Fokus der Forschung. Dabei deuten erste Studien darauf hin, dass das Infertilitätsrisiko sowie die MAR Nutzung über soziale Gruppen sehr unterschiedlich verteilt sind. Allerdings beziehen sich diese Studien überwiegend auf den englischsprachigen Raum.

Der Vortrag schließt an das Konzept „stratified reproduction“ an, wonach bestimmte soziale Gruppen kumulierte Nachteile in der reproduktiven Gesundheit erfahren. Analysiert werden soziale Ungleichheiten im Infertilitätsrisiko sowie in der Nutzung von MAR entlang verschiedener sozialer Dimensionen. Es werden Ergebnisse mehrerer eigener Arbeiten zusammengeführt. Im ersten Teil wird untersucht, inwiefern Personen mit Migrationshintergrund im Vergleich zu Nicht-Migranten benachteiligt. Die Fallstudien sind Deutschland und Australien. Obwohl der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund in vielen Gesellschaften hoch ist und sie eher mehr Kinder bekommen, wurde diese Gruppe in entsprechenden Studien bislang kaum berücksichtigt.

Der zweite Teil des Vortrages analysiert soziale Selektion entlang des Behandlungsverlaufs – vom ersten ärztlichen Beratungsgespräch über einfache Behandlungen (Medikation, Zyklusmonitoring) bis hin zur Nutzung assistierter Reproduktionstechnologien. Als Fallstudie dient hier wiederum Deutschland. Im Kontrast zu einfachen binären Indikatoren der Nutzung medizinischer Hilfe (ja/ nein) betont die Differenzierung verschiedener Behandlungsstufen den Prozesscharakter von Kinderwunschbehandlungen und erlaubt Rückschlüsse darüber, an welchen Passagen es zur Selektion kommt. Dabei werden verschiedene Faktoren berücksichtigt, welche die Lebenssituation (z.B. Kinderzahl, Partnerschaftsstatus, sexuelle Orientierung) und die soziale Lage (Einkommen, Bildungsstand) beschreiben. Anhand der Fallstudien wird deutlich, dass die reproduktive Gesundheit sowie die Reproduktion mittels MAR in Deutschland sozial stratifiziert ist.



Reconfiguring Reproduction: Social Inequality, Normativity, and Individual Decision-Making in the Context of Assisted Reproductive Technologies in Switzerland

Maila Mertens

Universität Zürich, Schweiz

As assisted reproductive technologies (ART) become increasingly normalized, questions of access, acceptance, and social implications move to the center of public and academic debates. This doctoral project examines how ART is perceived, justified, and negotiated in Switzerland - a country shaped by both rapid medical innovation and direct democratic involvement in bioethical regulation. The research draws on original quantitative and experimental survey data to offer an integrated sociological perspective on reproductive decision-making, social imaginaries, and shifting family norms in a context of technological transformation.

The analysis shows how attitudes towards ART are embedded in broader normative frameworks around gender, sexuality, and career. At the same time, it explores how individual reproductive strategies - such as the postponement of parenthood or the uptake of new technologies - are shaped by social inequalities and constrained choices. By tracing the interplay between social norms, institutional structures, and individual agency, the project highlights how technologies that promise to enhance reproductive autonomy may simultaneously reproduce exclusionary boundaries.

This work contributes to the sociology of reproduction by offering a multidimensional account of the sociotechnical reconfiguration of reproduction. It brings together structural and cultural analyses to uncover how reproductive futures are imagined, legitimized, and contested. In doing so, it provides insight into the tensions that arise when personal decisions intersect with collective norms and the politics of access in technologically mediated reproduction.



Elterliche Transitionen dies- und jenseits des IVF-Labors: eine fallkontrastive ethnografische Analyse

Peter Hofmann

Johannes Gutenberg-Universität (JGU) Mainz

Reproduktionsmedizinische Angebote, aber auch Zeugungstechniken außerhalb des Labors gehen ganz unterschiedliche Verflechtungen mit sozialen Konstellationen der Familienbildung und ihren Bezugsproblemen ein. Die Forschung zum Elternwerden und seinen Transitionsprozessen ist dabei häufig fallspezifisch ausgerichtet und konzentriert sich auf bestimmte Konstellationen und Settings, darunter u. a. Heteropaare in reproduktionsmedizinischer Behandlung, geschlechtsgleiche Paare und Inseminationsfamilien, Co-Parenting, Fälle mit Beteiligung von Tragemutterschaft, bis hin zu Abtreibung und Kindsverlust. Damit geht eine Art feldimmanente ‚Typenbildung’ einher, etwa indem fallspezifische Studien die Unterscheidungen, die ihren Fall jeweils konstituieren, zunächst voraussetzen müssen und unter Umständen sogar ungewollt essenzialisieren. Wenn Studien sich beispielsweise auf Fälle reproduktionsmedizinischer Unterstützung konzentrieren, im Gegensatz zum sog. natürlichen Weg, besteht die Tendenz, die Unterscheidung zwischen natürlich und künstlich ein Stück weit zu replizieren, statt sie zu problematisieren.

Der Vortrag wird dafür plädieren, dass es zum theoretischen Verständnis der empirischen Pluralität von Familienbildungsprozessen unabdingbar ist, konzeptuell über eine solche Typenbildung hinauszugehen, theoretisch übergreifende Fragen zu stellen und an bereits vorhandene Begriffe, wie etwa das Konzept des „doing family“, anzuschließen, diese aber auch zu irritieren und weiterzudenken. Er argumentiert, dass dies neben fallspezifischen Studien verstärkt systematischer Quervergleiche zwischen unterschiedlichen Praktiken und soziotechnischen Konstellationen der Familienherstellung bedarf. Dies soll exploriert werden, indem ausgewählte ethnografische Fallvignetten auf den ersten Blick ganz unterschiedlicher Szenarien des Kinderkriegens aufeinander bezogen und kontrastiert werden. Die Frage wird sein, welche Dimensionen sich eignen, um aus dem Vergleich dieser Zeugungsarrangements, etwa hinsichtlich ihrer Verteilung von Agency oder ihrer Selbst- und Fremdtypisierungen, theoretisch fruchtbare Schlüsse ziehen zu können. Nicht zuletzt soll dies dazu dienen, einer fall- und methodenübergreifenden Diskussion Raum zu geben und zur kollaborativen Begriffsbildung einzuladen.



Elternwerdung schwuler Paare durch transnationale Leihmutterschaft: Reproduktives Handeln im Kontext von Zeitlichkeit

Julia Teschlade

Humboldt-Universität Berlin, Deutschland

In Deutschland gibt es bisher kaum Forschung zu schwulen Paaren, die ihren Kinderwunsch mithilfe einer sogenannten Leihmutterschaft im Ausland verwirklichen. Ihre Perspektive bleibt häufig unsichtbar – auch deshalb, weil ihr Wunsch, eine Familie mit Kindern zu gründen, heteronormative Annahmen über Geschlecht, Sexualitäten und Familie irritiert. Zudem ist Leihmutterschaft in Deutschland verboten und gilt als gesellschaftlich hoch umstrittene sowie kontrovers diskutierte reproduktive Praxis.

In diesem Beitrag widme ich mich – unter Berücksichtigung einer intersektionalen Perspektive auf Reproduktionsverhältnisse – der Frage, wie sich diese Paare trotz gesellschaftlicher Kontroversen für eine Leihmutterschaft entschieden haben. Basierend auf teil-narrativen Interviews mit schwulen Paaren rekonstruiere ich deren Motive, Deutungen und Erfahrungen im Prozess ihrer Elternwerdung, der im Kontext transnationaler Reproduktionsmärkte stattfindet.

Einen Schwerpunkt lege ich hier auf die Analyse zeitlicher Dimensionen: Mich interessiert, welche (heteronormativen) Vorstellungen eines guten Lebens und (angemessener) Zeitlichkeit sich in ihren Praktiken abbilden. Dabei fokussiere ich drei Aspekte: erstens den Wunsch, eine Familie mit Kindern zu gründen; zweitens die auf diesem Weg getroffenen reproduktiven Entscheidungen; sowie drittens die Strategien, mit denen die Paare versuchen, die kommerziellen Aspekte ihrer Elternwerdung abzumildern und wie sie mit den rechtlichen, politischen und soziokulturellen Rahmenbedingungen umgehen.

Abschließend stelle ich Überlegungen an, inwiefern aus diesen Rekonstruktionen Rückschlüsse auf verantwortungsvolles reproduktives Handeln und kollaborative reproduktive Praktiken gezogen werden können. Dies ist von hoher Relevanz für eine gesellschaftspolitische Debatte darüber, wie wir in Zukunft Familie denken und gestalten wollen – und welche Rolle dabei unterstützende Andere spielen können und dürfen. Der Beitrag liefert empirisch fundierte Einblicke in die Komplexität der Leihmutterschaft und deren Bedeutung für die zukünftige Debatte über Familie und reproduktive Rechte.

Teschlade, J. (2024): "Wie kommt man an so ein Kind?" Über die Elternwerdung schwuler Paare durch Leihmutterschaft. In: I. Marcinski-Michel & C. Wiesemann (Hg.): Reproduktion und das gute Leben. Intersektionale Perspektiven. Bielefeld: transcript, S. 195-218.



LGBTQ+-Familien zwischen rechtlichen Ungleichheiten, Normalisierung und Kämpfen um Anerkennung

Julia Teschlade2, Mona Motakef1, Christine Wimbauer2

1TU Dortmund, Deutschland; 2HU Berlin

Planen LGBTQ+-Personen – also lesbian, gay, bisexual, trans* und queere Personen – gemeinsam leibliche Elternschaft zu realisieren, sind sie häufig auf reproduktionsmedizinische Verfahren wie heterologe Insemination, In-vitro-Fertilisation oder die in Deutschland verbotene Tragemutterschaft angewiesen. Im Recht zeichnen sich in Deutschland Tendenzen der Gleichstellung ab, die sich als ambivalent erweisen: Zwar werden Anerkennungsdefizite gleichgeschlechtlicher Lebensformen abgebaut, etwa mit der „Ehe für alle“ (2017) und dem Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) (2024), jedoch werden auch neue Ausschlüsse produziert. In unserem Vortrag präsentieren wir Befunde einer qualitativen Studie mit LGBTQ+-Familien, die wir im DFG-Projekt „Ambivalente Anerkennung. Doing reproduction und doing family jenseits der heterosexuellen Normalfamilie“ (MO 3194/2-1, PE 2612/2-1, WI 2142/7-1) durchgeführt haben. Die Studie basiert auf 19 Einzel-, Paar- und Familieninterviews und ist im Forschungsstil der Grounded Theory verfasst. Wir fragen, wie und mit welchen Reproduktionstechnologien werden Kinderwünsche realisiert (doing reproduction)? Auf welche rechtlichen Hürden stoßen die Familien in ihrem Alltag und wie gehen sie damit um (doing family, doing normality)? LGBTQ+-Personen wurde lange Zeit abgesprochen, dass sie Familien gründen. Vor diesem Hintergrund zeigen wir, dass sie sich häufig erst als reproduktiv verstehen müssen. Wir zeichnen dann ihre langen und steinigen Wege in die Elternschaft nach und stellen auf Grundlage ihrer rechtlichen Ungleichheiten dar, wie diese im Familienalltag zum Tragen kommen. Weiter diskutieren wir, dass sie sich häufig vor der Aufgabe sehen, die Normalität ihrer Familie zu behaupten. Wir diskutieren dies als eine Antwort auf Diskriminierung und stellen Strategien dar, wie sie Normalität herstellen (müssen). Schließlich richten wir den Blick auf ihren Kampf um Anerkennung und diskutieren, ob neue Selbstverständlichkeiten an Bedeutung gewinnen können. Deutlich wird, dass sie auch auf (heterosexuelle) Familiennormen zurückgreifen. Damit verändern sie gleichzeitig die rechtlichen und gesellschaftlichen Normalvorstellungen darüber, was Elternschaft und Familie ist und sein kann.

Teschlade, Julia, Mona Motakef und Christine Wimbauer (2025): Auf dem Weg zur Normalität? LGBTQ+-Familien und ihr Kampf um Anerkennung. Frankfurt a. Main /New York: Campus, i.E..



 
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