Veranstaltungsprogramm

Eine Übersicht aller Sessions/Sitzungen dieser Veranstaltung.
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Sitzungsübersicht
Sitzung
AdH33: Ernährungsbewegungen in gesellschaftlichen Transitionsprozessen: Für und Wider von Ernährungsgerechtigkeit?
Zeit:
Freitag, 26.09.2025:
9:00 - 11:45

Chair der Sitzung: Birgit Peuker, Heidelberg University
Chair der Sitzung: Renata Motta
Chair der Sitzung: Lea Zentgraf, FU Berlin
Sitzungsthemen:
Meine Vortragssprache ist Deutsch.

Zusammenfassung der Sitzung

Alle Vorträge der Veranstaltung werden auf Deutsch gehalten.


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Präsentationen

Bauernproteste in Deutschland: Einbettung und Transformation eines ländlichen autoritären Populismus

Janna Luisa Pieper1, Felix Anderl2

1Georg-August Universität Göttingen, Deutschland; 2Philipps Universität Marburg

Im Winter 2023/2024 entlud sich auf deutschen Straßen eine Menge Wut. Die organisierten Kundgebungen von bäuerlichen Organisationen erhielten enorme mediale und politische Aufmerksamkeit. Dies lässt sich zum einen auf deren disruptive Protestrepertoires und Mobilisierungsdynamiken unter Einsatz von Landmaschinen zurückführen. Zum anderen geriet zunehmend deren – in einigen Teilen zu beobachtende – rechte Schlagseite ins öffentliche Interesse. Häufig wurde von einer „rechten Unterwanderung“ oder „rechten Vereinnahmung“ der Landwirtschaftsproteste gesprochen. Diese Perspektive ist wichtig, insbesondere vor dem Hintergrund der teilweise gewaltvollen Aktionen und Umsturzfantasien, die auf manchen Protesten artikuliert wurden. Jedoch schafften es rechtspopulistische Akteure so, den Diskurs über landwirtschaftliche Probleme auf ihre Agenda zu verengen. Unklar blieb dabei häufig, was neben dem protestauslösenden Moment der Subventionskürzungen beim Agrardiesel, die Intensität der bäuerlichen Mobilisierung und Emotionalität ausgelöst hat. Was waren die darunterliegenden Agenden, Anliegen und Probleme der Teilnehmenden?

Die deutschen Bauernproteste erhielten viel Aufmerksamkeit und wurden bereits mit Blick auf deren Bedeutung für das Landwirtschaftssystem untersucht. Eine umfängliche soziologische Theoretisierung der Mobilisierungsdynamik und der dahinterliegenden Sozialstrukturen, Frames, politischer und emotionaler Bedeutungsmuster blieb bisher aus. In der kritischen Forschung zu Landwirtschaftsprotesten und in anderen geografischen Kontexten wurde das Konzept des ländlichen autoritären Populismus herausgearbeitet. In diesem Beitrag wenden wir das Konzept auf die Proteste in Deutschland an und untersuchen damit die politische und soziologische Zusammensetzung der Landwirtschaftsbewegung. Kann die Anschlussfähigkeit zu rechtsextremen Narrativen darüber erklärt werden? Wie wir empirisch verdeutlichen, kann ländlich autoritärer Populismus zwar die emotionale und inhaltliche Ausprägung der Proteste gut fassen, das Konzept sollte jedoch nicht zur Essenz erklärt werden. Vielmehr mobilisieren wir eine emergente Perspektive auf ländlich autoritären Populismus: Wir leiten seine (transnationale) Einbettung und seine (temporale) Transformation her: Damit zeigen wir sowohl die Wege in den ländlich geprägten autoritären Populismus als auch potentiell aus ihm heraus.



Für eine andere Agrar- und Gesellschaftspolitik – Vergleich zweier agrarpolitischer Proteste in Deutschland.

Renata Motta, Birgit Peuker, Lea Loretta Zentgraf, Judith Müller

Heidelberg University, Deutschland

Die Agrar- und Ernährungsbewegungen in Deutschland sind sehr heterogen, was die Bauernproteste zu Beginn des Jahres 2024 deutlich gemacht haben. Zu Beginn des Jahres fanden im Januar zwei große Protestaktionen statt. Im Rahmen der vom Deutschen Bauernverband organisierten „Aktionswoche zu Agrardiesel und Kfz-Steuerbefreiung“ wurde am 15.01.2024 die "Kundgebung von Landwirtschaft und Transportgewerbe" durchgeführt. Des weiteren fand am 20.01.2024 die vom Bündnis „Meine Landwirtschaft“ organisierte Demonstration "Wir haben es satt!" statt, zu der seit 2011 jährlich aufgerufen wird. Diese beiden Protestveranstaltungen können zwei sehr unterschiedlichen agrarpolitischen Bewegungen in Deutschland zugeordnet werden. Im Vortrag werden die empirischen Ergebnisse von Befragungen vorgestellt, die auf den zwei Protestveranstaltungen erhoben wurden. Die Protestumfragen wurden nach dem Konzept von Klandermans et al. (2011) von der Forschungsgruppe „Food for Justice“ an der Universität Heidelberg durchgeführt.

Nach der Vorstellung von Ansätzen kritischer Agrar- und Umweltsoziologie, die den Rahmen der Untersuchung bilden, wird das unterschiedliche soziodemografische Profil der Protestierenden, insbesondere hinsichtlich Einkommen und Bildungsgrad erörtert. Zudem wird die unterschiedliche politische Ausrichtung der Proteste diskutiert, die sich in der deutlich gegensätzlichen Positionierung auf der Links-Rechts-Skala sowie in den Wahlabsichten zeigt. Trotz dieser Gegensätze lassen sich in den agrarpolitischen Einstellungen auch Gemeinsamkeiten feststellen, insbesondere hinsichtlich der Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft, faire Erzeugerpreise und den Zugang zu Boden. Eine ähnliche Bewertung erfolgt hinsichtlich der Bedrohung der Landwirtschaft durch den Klimawandel und die Bürokratisierung. Diese Gemeinsamkeiten werden jedoch durch affektive Polarisierungen (Herold et al. 2023) und Triggerpunkte (Mau 2023), insbesondere in Bezug auf Umweltthemen und die Ökologiebewegung, überlagert.

Herold, Maik et al. (2023): Polarisierung in Deutschland und Europa. Mercator Forum Migration und Demokratie (MIDEM), Dresden.

Klandermans, Bert et al. (2011). Manual for Data Collection on Protest Demonstrations: Caught in the Act of Protest: Contextualizing Contestation (CCC). Amsterdam and Antwerpen.

Mau, Steffen et al. (2023): Triggerpunkte. Berlin: Suhrkamp. 



Die Konstruktion von Werten durch Bauernproteste: Eine soziologische Perspektive auf Bewertungsprozesse in der Transformation von Ernährungssystemen

Rike Stotten

Universität Innsbruck, Österreich

Die aktuellen Krisen europäischer und globaler Ernährungssysteme machen eine umfassende, nachhaltige Transformation notwendig. Dabei rücken Werte als zentrale Orientierungsmuster für gesellschaftliche Aushandlungen und politische Entscheidungen verstärkt in den Fokus. Doch wie entstehen diese Werte, wer bringt sie hervor, und durch welche Prozesse gewinnen sie Bedeutung? Besonders Bauern*bewegungen, die vermehrt im öffentlichen Raum sichtbar sind, gestalten aktiv gesellschaftliche Diskurse darüber, was als „nachhaltig“ gilt – und sind somit zentrale Akteure in der Bewertung und Neuausrichtung von Ernährungssystemen.

Der Vortrag widmet sich der Frage, wie Werte in bäuerlichen Protestbewegungen konstruiert und verhandelt werden. Im Zentrum steht die Analyse von Bewertungsprozessen, die in Spannungsfeldern zwischen politischen Zielsetzungen, ökonomischem Druck und ökologischen Ansprüchen entstehen. Aus einer soziologischen Perspektive werden diese Bewegungen nicht nur als Reaktion auf agrarpolitische Entwicklungen verstanden, sondern als produktive Orte, an denen normative Leitbilder sichtbar werden und neue Bedeutungszuschreibungen ihren Ausdruck finden.

Theoretisch greift der Beitrag auf Perspektiven der Konventionentheorie, Akteur-Netzwerk-Theorie sowie kritischer Diskursanalyse zurück, um zu zeigen, wie soziale Ordnungen, Legitimität und Nachhaltigkeitsvorstellungen in konkreten Praxiszusammenhängen entstehen. Durch diesen Zugang wird deutlich, dass Werte nicht feststehend, sondern umkämpft und kontextabhängig sind – und dass Protestbewegungen eine zentrale Rolle bei deren Aushandlung spielen. Der Vortrag versteht sich als Beitrag zur soziologischen Debatte um nachhaltige Transformationen, politische Teilhabe und die Rolle sozialer Bewegungen im Ernährungssystem.



Bauern, Aktivisten, Foodies: Chancen und Grenzen gegenhegemonialer Vernetzung in der kritischen Agrarszene.

Dorothea Elena Schoppek

Technische Universität Darmstadt

Das globale industrialisierte Agrar- und Ernährungssystem ist nicht nur für rund ein Viertel der weltweiten Treibhausgasemissionen und einen dramatischen Verlust der biologischen Vielfalt verantwortlich, sondern auch für verschiedene Formen der menschlichen Fehlernährung. Trotz dieser Bandbreite an guten Gründen für einen grundlegenden Wandel befinden wir uns mitten in einem Konflikt über die Zukunft unserer Nahrungsmittelproduktion. Weder sind alle überhaupt an einer Transformation interessiert, noch besteht Einigkeit über den Umfang und die Richtung einer möglichen gemeinsamen Agenda. Die massiven Bauernproteste 2023/2024 sind ein besonders sichtbarer Ausdruck dieses Transformationskonfliktes.

Der Vortrag befasst sich mit diesem Transformationskonflikt im deutschen Agrarsystem als einer Hegemoniekrise, in der sich Weltbilder und Deutungsangebote differenzieren, Normalitäten in Frage gestellt werden und routinierte Steuerungsmodi unwirksam werden. In einer solchen Situation kommt es zum Machtkampf zwischen verschiedenen Akteurskonstellation und deren Zukunftsvorstellungen und materiellen Interessen. Ich analysiere die Chancen und Grenzen von strategischem Handeln und Bündnisbildung zwischen unterschiedlichen gegenhegemonialen Akteuren, die sich für eine weitereichende sozial-ökologische Transformation der (deutschen) Landwirtschaft einsetzen. Dabei fokussiere ich neben der Einordnung isolierter Transformationsstrategien insbesondere auf deren Komplementarität. Konkret frage ich, welche Potenziale es für strategische Bündnisse zwischen bäuerlichen Akteuren, einer städtischen Ernährungsbewegung und Klimaktivist:innen gibt und welche Konfliktlinien dafür überwunden werden müssten.



Transitionen urbaner Ernährungssysteme: Ernährungsräte als Arenen der Demokratisierung?

Philipp Degens1,2, Simone Schiller-Merkens1

1Universität Witten-Herdecke, Deutschland; 2Universität Hamburg, Deutschland

Angesichts wachsender Herausforderungen in der Ernährungspolitik und gesellschaftlicher Forderungen nach mehr Ernährungsgerechtigkeit gewinnen Ernährungsbewegungen und alternative Organisationen wie Ernährungsräte zunehmend an Bedeutung. Solche Organisationen vereinen lokale Akteure, um urbane Ernährungspolitiken demokratisch mitzugestalten und zu einer nachhaltigen Transition beizutragen. Anhand einer Fallstudie des Ernährungsrats Köln untersuchen wir, wie eine solche Organisation als demokratischer Raum fungiert und u.a. Zivilgesellschaft, landwirtschaftliche Produzent:innen und kommunale Akteure zusammenbringt. Konkret analysieren wir, wie die Beteiligten mit Konflikten und widersprüchlichen Interessen umgehen und wie dies aus demokratietheoretischer Perspektive zu bewerten ist.

Empirisch im Fokus steht die Analyse des Kölner Aktionsplans „Essbare Stadt“, welcher vom Ernährungsrat initiiert und unter breiter Bürger:innenbeteiligung entwickelt wurde, ehe die Stadt ihn mit seinen Zielen im Jahr 2020 beschloss. Derzeit versuchen die Initiator:innen, eine Fortschreibung des Aktionsplans für die Periode 2025-2030 zu erwirken. Dazu fanden verschiedene Beteiligungsformate und ein intensiver Austausch in Kleingruppen statt, wodurch aktualisierte Forderungen an die Stadt formuliert werden konnten.

Mittels Interviews, teilnehmender Beobachtung und Dokumentenanalysen analysieren wir, wie dieser partizipative Prozess gestaltet ist. Dabei stellen wir deliberative und agonistische Demokratietheorien gegenüber, um die Funktionsweise sowie die spezifischen Schwierigkeiten der Beteiligungsformate zu erörtern. Einerseits identifizieren wir Herausforderungen hinsichtlich der Repräsentation und Inklusivität und beleuchten Widersprüche der konkreten Beteiligungsverfahren. Andererseits blicken wir auf Konflikte, die sich aus unterschiedlichen ideellen Vorstellungen, materiellen Interessen und kulturellen Praktiken der Beteiligten ergeben, sowie auf die von den Beteiligten gewählten Mechanismen der Konfliktlösung. Zur Illustration dienen kontrovers geführte Debatten um eine mögliche Bevorzugung ökologischer Landwirtschaft, welche manche Beteiligte fordern, andere dezidiert ablehnen. Wir zeigen, dass die Teilnahme an urbanen Ernährungsbewegungen nicht nur auf Konsens, sondern auch auf dem Umgang mit Differenzen basiert.



 
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