Forschungsdatenmanagement. Versuch, ein trockenes Thema zu beleben.
Bernhard Miller
GESIS, Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften, Mannheim
Forschungsdatenmanagement (FDM) gilt Vielen als trockenes Pflichtprogramm – dabei ist es das unsichtbare Rückgrat moderner soziologischer Forschung. Der Eröffnungsvortrag zum Workshop setzt sich zum Ziel, die Relevanz von FDM lebendig zu illustrieren. Nach einer kurzen Einführung in die Grundlagen von FDM wird dessen zentrale Bedeutung für die Soziologie herausgearbeitet: FDM umfasst alle Prozesse von der Planung, Erhebung, Aufbereitung, Publikation, Archivierung bis zur Nachnutzung von Forschungsdaten über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg. Es schützt vor Datenverlust, sichert wissenschaftliche Integrität durch Reproduzierbarkeit und Transparenz und ist ein zentraler Bestandteil guter wissenschaftlicher Praxis.
Die Relevanz von FDM zeigt sich in vielen Aspekten: Veröffentlichte Forschungsdaten erhöhen die Sichtbarkeit und Zitationsrate, standardisierte Prozesse sparen Zeit und Ressourcen, und ein professionelles FDM ist häufig Voraussetzung für die Drittmittelförderung. In den Sozialwissenschaften ist der Umgang mit sensiblen personenbezogenen Daten besonders herausfordernd, ebenso wie die Vielfalt der Datentypen und die Anforderungen an Anonymisierung und ethische Standards. Langzeitstudien und die Nachnutzung von Daten erfordern nachhaltige Strategien, da nur etwa 20% der Forschungsdaten nach 20 Jahren noch zugänglich sind – ein dramatischer Verlust wissenschaftlicher Ressourcen.
Gleichzeitig werden konkrete Unterstützungsangebote und Werkzeuge vorgestellt – von Repositorien und Datenzentren bis zu Beratungs- und Trainingsangeboten der NFDI und KonsortSWD, die Forschende bei jedem Schritt begleiten. Ziel ist es, FDM als integralen, kreativen und nachhaltigen Bestandteil soziologischer Forschung zu präsentieren – und zu zeigen, dass gutes Datenmanagement nicht nur Pflicht, sondern Chance für bessere, sichtbare und anschlussfähige Forschung ist.
Der Beitrag setzt neben klassischen Präsentationselementen gezielt auf interaktive Methoden, insbesondere durch den Einsatz von Mentimeter, um die Teilnehmenden aktiv einzubinden, deren Meinungen und Erfahrungen abzufragen und so einen lebendigen Austausch zu fördern.
Der Stamp als Unterstützung für strukturiertes Forschungsdatenmanagement
Salome Wagner
DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, Frankfurt am Main
Forschungsdatenmanagement ist essentiell, um gute wissenschaftliche Praxis umzusetzen und spielt in allen Phasen eines Forschungsprojekts eine Rolle. In diesem Beitrag werden die Planung, Umsetzung und Dokumentation des Forschungsdatenmanagement als zentraler Bestandteil eines Forschungsprojekts adressiert (BMBF, 2021). Sowohl Fachgesellschaften, Universitäten und Forschungseinrichtungen als auch Forschungsförderer stellen Anforderungen, Richtlinien und Empfehlungen für den Umgang mit Forschungsdaten bereit (z. B. Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen, 2010; DGfE, GEBF & GFD, 2020). Die konkreten Auflagen zum Datenmanagement und zur Datenmanagementplanung variieren jedoch je nach Förderer bzw. Institution und Fach hinsichtlich des Umfangs und des Inhalts. Dies stellt Wissenschaftler*innen vor neue Herausforderungen bei der Planung und Umsetzung ihrer Forschungsprojekte.
Der adäquate Umgang mit Forschungsdaten beinhaltet neben der Einhaltung ethisch-rechtlicher Standards auch die nachvollziehbare Dokumentation, transparente Beschreibung sowie die Auffindbarkeit der Daten. Um die Potenziale der Daten bestmöglich ausschöpfen zu können, ist außerdem eine langfristige Archivierung und Bereitstellung der Daten für Sekundäranalysen zu empfehlen. Der standardisierte Datenmanagementplan Stamp dient sowohl qualitativ als auch quantitativ Forschenden in den Sozial- und Bildungswissenschaften als Unterstützung bei all diesen Aktivitäten. Der Stamp ist eine Materialsammlung, die Planungs- und Kalkulationshilfen, eine ausfüllbare Datenmanagementplanvorlage und Checklisten sowie weitere Begleitmaterialien zu Ethik und Datenschutz, Urheberrecht, Datenorganisation und -aufbereitung, Datensicherung und -speicherung sowie Datenarchivierung und Datenteilen beinhaltet (Künstler-Sment et al., 2024). In der Ad-hoc Gruppe wird der Stamp im Detail vorgestellt und erklärt, wie er genutzt werden kann und was es für begleitende Unterstützungsangebote gibt. Ziel dieses Beitrags ist es, Forschenden praktische Hinweise für die Planung und Umsetzung eines strukturierten Forschungsdatenmanagements (DDP Bildung & VerbundFDB, 2024) an die Hand zu geben und offene Fragen zu beantworten.
Forschungsdatenzentren (FDZ): Ihre Angebote und Services
Friederike Schlücker
LIfBi - Leibniz-Institut für Bildungsverläufe e.V., Deutschland
In der soziologischen Forschung spielen personenbezogene Mikrodaten aus Bereichen wie Arbeit, Bildung, Migration, Politik und Familie eine zentrale Rolle. Detaillierte Forschungsdaten mit hohem Informationsgehalt sind für Forschende besonders wertvoll, aber gleichzeitig auch sehr sensibel und erfordern besondere Sicherheitsvorkehrungen bei der Bereitstellung und Nutzung. Forschungsdatenzentren (FDZ) ermöglichen den Zugang zu solchen Daten – etwa von Individuen, Haushalten oder Unternehmen – unter strengen datenschutzrechtlichen Bedingungen.
Derzeit bilden 39 FDZ ein dezentrales Netzwerk innerhalb von KonsortSWD (https://www.konsortswd.de/angebote/forschende/alle-datenzentren/). Sie fungieren als datenschutzkonforme Schnittstellen zwischen Datengebern und Datennutzenden. Der RatSWD sichert dabei die Qualität in Bezug auf die Datenaufbereitung, -management, -dokumentation und -bereitstellung.
Der Beitrag gibt einen Einblick in die vielfältige Datenangebot der FDZ zur Sekundärnutzung, zeigt Suchstrategien und Tools, mit denen Forschende passende Datensätze finden können, und erläutert anschaulich, wie der Datenzugang praktisch funktioniert. Darüber hinaus werden die unterstützenden Services der FDZ – etwa Beratung, Schulungen und ausführliche Dokumentationen – vorgestellt. Auch Forschende, die ihre selbst erhobenen Daten zur Nachnutzung bereitstellen möchten, erhalten konkrete Hinweise zur Archivierung.
Das Netzwerk der FDZ unterstützt mit seinen Angeboten verlässlich die empirische Forschung durch den strukturierten Zugang zu qualitätsgesicherten Daten und begleitende Serviceangebote.
RDCnet - Ein Netzwerk gesicherter Datenzugangsstellen
Neil Murray
SOEP am DIW, Berlin
Für viele sozial-, wirtschafts- und verhaltenswissenschaftliche Fragestellungen sind sensible Mikrodaten von zentraler Bedeutung. Der Zugang zu solchen Daten ist jedoch aus datenschutzrechtlichen Gründen mit erheblichen Regulierungen verbunden: Sie dürfen ausschließlich in geschützten Umgebungen – etwa an dedizierten Gastwissenschaftsarbeitsplätzen (GWAP) – analysiert werden und sind in der Regel nur vor Ort am datenerhebenden Forschungsdatenzentrum (FDZ) verfügbar. Diese Lösung gewährleistet zwar ein hohes Maß an Datensicherheit, führt jedoch aufgrund der notwendigen physischen Präsenz an den jeweiligen Standorten zu erheblichen zeitlichen und finanziellen Belastungen bei den Forschenden. Besonders Forschende mit eingeschränkter Mobilität oder ohne institutionelle Anbindung sind dadurch in ihrer wissenschaftlichen Arbeit und beim Zugang zu sensiblen Forschungsdaten benachteiligt.
Das RDCnet setzt genau an dieser Problematik an. Ziel ist es, durch den Aufbau eines nationalen Netzwerks gesicherter Arbeitsplätze den Zugang zu sensiblen Forschungsdaten flexibler und zugleich sicher zu gestalten. Die Grundlage bildet ein multilateraler Kooperationsvertrag zwischen teilnehmenden FDZ, der einheitliche technische und organisatorische Mindeststandards sowie administrative und prozessuale Rahmenbedingungen definiert. Diese garantieren, dass Datenzugriffe an allen Standorten der Kooperationspartner unter gleichen Sicherheitsbedingungen erfolgen. Aus technischer Sicht verbleiben die Daten dabei jederzeit physisch auf den Servern der datenbereitstellenden FDZ. Dies wird gewährleistet, indem der Zugriff ausschließlich über kryptographisch gesicherte Remote-Desktop-Verbindungen erfolgt.
Forschende können sensible Daten standortnäher und ressourcenschonender analysieren. Der Reiseaufwand reduziert sich erheblich, Zugangshürden sinken, und die Nutzung sensibler Daten wird nachhaltiger und inklusiver gestaltet. Gleichzeitig profitieren auch die FDZ: Sie können ihre Daten an weiteren Standorten verfügbar machen und damit eine breitere Nutzendengruppe erreichen. Zudem erhalten sie selbst die Möglichkeit, über ihre eigenen GWAP auf die Daten anderer Kooperationspartner zuzugreifen
Das Forschungsdatenmanagement-Portfolio von QualidataNet – ein Angebot für qualitativ Forschende
Kati Mozygemba
Universität Bremen, Deutschland
Forschungsdatenmanagement (FDM) will Forschende im Umgang mit ihren Forschungsdaten unterstützen. Es ist mittlerweile fester Bestandteil der Forschungspraxis und bietet zahlreiche Angebote. Diese sind allerdings häufig generisch angelegt und die Besonderheiten qualitativer Forschung, die z.B. in der Offenheit des Forschungsprozesses, der Sensibilität und Verweisungsdichte sowie in der Heterogenität der Materialien begründet sind, werden kaum berücksichtigt. Das führt dazu, dass FDM-Vorlagen und -instrumente in der Praxis nicht passen und Forschende Schwierigkeiten in der Anwendung haben.
Um diese Lücke zu schließen, entwickelt QualidataNet – das Netzwerk für qualitative Daten (www.qualidatanet.org) ein Forschungsdatenmanagement-Portfolio für die qualitative Forschung. QualidataNet ist ein Service, der im Rahmen der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur in Deutschland im Konsortium für die Sozial-, Verhaltens-, Bildungs- und Wirtschaftsdaten (KonsortSWD-NFDI4society) entwickelt und betrieben wird.
Der Beitrag geht auf Besonderheiten des FDM qualitativer Daten ein und zeigt Möglichkeiten auf, diese in der Praxis zu adressieren. Deutlich wird, dass neben Lösungen, die der Offenheit und Heterogenität qualitativer Daten Rechnung tragen, die Flexibilität der Instrumente, ethische Reflexionskompetenz sowie datensatz- und projektspezifische Aspekte zentral sind, um qualitativ Forschende dabei zu unterstützen, FAIRe Forschungsdaten zu generieren, die nachhaltig genutzt werden können.
Forum4MICA - das Online-Forum rund um Forschungsdaten
Martina Baumann
LIfBi - Leibniz-Institut für Bildungsverläufe e.V., Deutschland
Durch die wachsenden Anforderungen an das Forschungsdatenmanagement (FDM) ist es von zentraler Bedeutung, nutzerfreundliche Services zu etablieren, die nicht nur die Informationssuche für Forschende erleichtern, sondern gleichzeitig auch eine Entlastung für die Mitarbeitenden an den Forschungsdatenzentren (FDZ) darstellen. Das Forum4MICA (Making Information Commonly Available, www.lifbi.forum.de) ist ein solcher Service. Konkret handelt es sich dabei um eine offene Diskussions- und Informationsplattform zum Datenangebot der vom Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten (RatSWD) akkreditierten FDZs. Aber auch originäre Themen des FDM sind im Forum vertreten, z. B. durch die Einbeziehung des Verbunds Forschungsdaten Bildung.
Seit dem Start des Forum4MICA im Februar 2023 haben mehr als 15 Datenanbieter (insb. FDZ) ihre Bereitschaft erklärt, sich als Partner aktiv mit ihrer jeweiligen Expertise am Austausch zu beteiligen. Über 500 registrierte Nutzerinnen und Nutzer verdeutlichen die bislang überaus positive Resonanz. Vor diesem Hintergrund erwarten wir, dass das Forum in den kommenden Jahren weiter an Bekanntheit gewinnt und sich zu einem beständig wachsenden Wissensarchiv entwickelt.
Anders als bei klassischen FAQs setzt das Forum auf eine dynamische Interaktion mit den Forschenden. Dadurch werden zum einen tatsächlich relevante Themen adressiert und eine gewisse Aktualität der Auskünfte gewährleistet. Zum anderen müssen aufgrund der Transparenz eines Online-Forums ständig wiederkehrende Fragen nicht jedes Mal neu beantwortet werden. Letztlich ist auch die Hürde niedriger, da das Recherchieren und Lesen von Beiträgen ohne jegliche Registrierung möglich ist. Das Forum4MICA ersetzt die klassische Datendokumentation nicht, kann diese aber sinnvoll ergänzen.
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