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AdH28: Energietransitionen. Versuche dezidiert sozio-technischer Perspektivierung
Sitzungsthemen: Meine Vortragssprache ist Deutsch.
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Zusammenfassung der Sitzung | |
Alle Vorträge der Veranstaltung werden auf Deutsch gehalten. | |
Präsentationen | |
Energiewende unter Legitimationsdruck – Mentalitäten von Beschäftigten im Braunkohlerevier und im Automobilsektor Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen (SOFI), Deutschland Das gesellschaftliche ‚Großziel‘ der ökologischen Transformation stellt die deutsche Gesellschaft auf allen Ebenen und in allen gesellschaftlichen Teilsystemen vor erhebliche Herausforderungen und birgt ebensolches Konfliktpotenzial. In wirtschaftsstruktureller Hinsicht befindet sich vor allem die hiesige (Groß-)Industrie in einem Umbruch mit ungewissem Ausgang – auch wenn sich Industrieverbände durchaus zu den avisierten Nachhaltigkeitszielen bekennen, ist mancherorts die Sorge vor einer „Deindustrialisierung“ groß. Es ist evident, dass die ökologische Transformation weitreichenden Einfluss auf die Produkte und Produktionsmodelle der für das nachkriegsdeutsche Wachstums- und Wohlstandsmodell paradigmatischen Industrien der Automobil- und fossilen Energiewirtschaft hat. Dieser Wandel nötigt den betroffenen Branchen und Regionen, in denen diese Industrien und Unternehmen schwerpunktmäßig angesiedelt sind, sowie den dort lebenden und beschäftigten Menschen eine große Anpassungsleistung ab und stellt bislang sicher geglaubte Zukunftsperspektiven infrage. In unserem Beitrag argumentieren wir, dass die ökologische Transformation für viele Beschäftigte in den betroffenen Branchen und Unternehmen sowohl diskursiv wie konkret-praktisch zu einem Problem geworden ist: Transition wird nicht nur mit neuen (materiellen) Unsicherheiten und Zukunftssorgen, sondern auch mit einem starken gesellschaftlichen Anerkennungsverlust in Verbindung gebracht. Dies trifft vor allem auf Angehörige unterer und mittlerer Erwerbsklassen und Sozialmilieus in den genannten Schlüsselindustrien und Regionen zu. Daraus resultiert eine Distanzierung dieser Milieus von dem Prozess der Dekarbonisierung der Industrie, was das gesellschaftliche Leitprojekt der Energiewende zunehmend unter Legitimationsdruck setzt. Dieses Argument wird auf Grundlage qualitativen empirischen Materials entfaltet, welches wir zwischen 2021 und 2024 in dem von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Projekt „Mentalitäten des Umbruchs“ u.a. in der Automobilbranche im Großraum Stuttgart sowie auf in der rheinischen Braunkohleindustrie erhoben haben. Es erlaubt einen Zugang zu den Erfahrungen, Erwartungen und Orientierungen – den Mentalitäten – von Erwerbstätigen im Transformationsprozess. Quartiersenergiesysteme als Soziale Orte: Synthese sozialer und technischer Infrastrukturen Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen (SOFI), Deutschland Im Zuge sozial-ökologischer Transitionsprozesse entstehen vielerorts Initiativen und Netzwerke, die unter Rückgriff auf lokale Ressourcen innovative Antworten auf zentrale Herausforderungen gesellschaftlichen Wandels formulieren. Im Kontext der Energiewende ist etwa auf die Ausweitung finanzieller und sozialer Partizipationsmöglichkeiten durch Bürgerenergiegenossenschaften zu verweisen, die neue Räume für Kooperation, Identifikation und gesellschaftliche Aushandlungsprozesse geschaffen haben. Die fortschreitende Digitalisierung lokaler Energieinfrastrukturen, beispielsweise durch Community-Portale oder plattformbasierten Energiehandel auf Haushaltsebene, könnte nun die Entstehung neuer lokaler Netzwerke und Kooperationsformen begünstigen sowie Veränderungen sozialer Dynamiken und Rollen durch das Zusammenwirken menschlicher und nicht-menschlicher Akteure anstoßen. Dabei stellt sich die Frage, inwiefern dies mit kohäsiven oder exkludierenden und konflikthaften Effekten einhergeht. Der Beitrag knüpft an aktuelle umwelt- und transformationssoziologische Debatten an, die lokale Auseinandersetzungen um die Gestaltung der sozial-ökologischen Transformation als konfliktreiche, aber auch gestaltungsfähige Prozesse begreifen (Eversberg et al. 2024). Zur Analyse neuer sozio-technischer Akteurskonstellationen wird das Konzept der Sozialen Orte (Kersten et al. 2022) herangezogen und weiterentwickelt. Es ermöglicht, digitalisierte Energieinfrastrukturen als Arenen zu begreifen, in denen technische und soziale Infrastrukturen ineinandergreifen, während zentrale Konzepte wie Gemeinwohl, Gestaltung und sozio-technische Innovation verhandelt werden. Empirisch stützt sich die Arbeit auf eine laufende qualitative Fallstudie (2025–2029) im Energiequartier „Helleheide“ in Oldenburg, durchgeführt im Rahmen des Forschungsprojekts „Transformation des Energiesystems Niedersachsen (TEN.efzn)“. Dort werden dezentrale und digitalisierte Energiepraktiken in einem Reallabor-Kontext erprobt. Mittels Akteurs-Netzwerk-Analysen, Dokumentenstudien und leitfadengestützter Interviews mit Vertreter:innen aus Zivilgesellschaft, Verwaltung und Wirtschaft werden Spannungsverhältnisse, Kooperationsformen und kollektive Vorstellungen gemeinwohlorientierter Energieversorgung untersucht. Dynamiken von Akteurskonstellationen in lokalen, digitalisierten, dezentralen Energieinfrastrukturen als Räume des Experimentierens Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Germany Transitionsprozesse von lokalen Energieinfrastrukturen umfassen ein komplexes und konstantes Zusammenspiel von Interaktionen zwischen Akteuren, Technologien und Organisationen. Die Konzeptualisierung, Entwicklung und Implementierung von neuen Energieinfrastrukturen welche sich durch mehr Dezentralisierung, Digitalisierung und Nachhaltigkeit auszeichnen sollen, wirken sich auf bestehende Identitäten und Rollen von Akteuren, sowie Machtverhältnisse und Abhängigkeiten zwischen ihnen aus. Veränderte Verhältnisse und Handlungsmöglichkeiten werden geschaffen, müssen reflektiert und ausgehandelt werden. Lokale Kontexte wie Nachbarschaften und Gemeinschaften sind Räume des Experimentierens in denen solche Aushandlungsprozesse zwischen Akteuren stattfinden, neue Beziehungen, Formen der Kooperation und Konflikte entstehen und Konstellationen von Akteuren etabliert werden. Eine sozio-technische Perspektive auf diese vielschichtigen Spannungsverhältnisse ermöglicht es die Dynamiken innerhalb von Transitionsprozessen systematisch zu erfassen und besser zu verstehen. Basierend auf empirischer Forschung zu Konstellationen von Akteuren in verschiedenen lokalen Kontexten (NL, ES, AUS) wurde eine Typologie von zentralen Clustern von Beziehungen zwischen Akteuren in Transitionsprozessen soziotechnischer Systeme entwickelt. Vier Cluster von Beziehungen sind hierbei dominant: Materialitäts-Beziehungen, Erwartungs-Beziehungen, Macht-Beziehungen und Datafizierungs-Beziehungen. Materialitäts-Beziehungen beschreiben Interaktionen zwischen Akteuren und physischen (technischen) Infrastrukturen in deren täglichem Umfeld und Praktiken. Formen von Antizipation, Erwartungsbildung in Äußerungen und Verhalten von einzelnen oder Gruppen von Akteuren, werden unter Erwartungs-Beziehungen gefasst. Macht-Beziehungen beschreiben Arten von Machtausübung, -verhältnisse und Abhängigkeiten zwischen Akteuren. Formen von zunehmend digitalisierten Infrastrukturen und daten-basierten Plattformen für Energiemanagement werden durch Datafizierungs-Beziehungen beschrieben. Diese Cluster von Beziehungen sind eng miteinander verwoben, konstituieren sich ständig gegenseitig, können sich verstärken oder widersprechen. Deren Analyse liefert neue Erkenntnisse und ein umfassenderes Verständnis über den dynamischen Charakter von Akteurskonstellationen innerhalb von Transitionsprozessen soziotechnischer Systeme. Akteure an Systemschnittstellen: Strategisches Handeln und Ressourcen in Kopplungsprozessen Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Deutschland Der Übergang zu nachhaltigen Energiesystemen erfordert die Integration vormals getrennter Sektoren. Diese Verknüpfung von Bereichen wie Energie und Mobilität, Power-to-Heat oder die Verbindung von Energie und Industrie kann auch als Kopplung sozio-technischer Systeme begriffen werden. Diese umfassen die Gesamtheit von Technologien, Akteuren und Institutionen, die gemeinsam ein gesellschaftliches Bedürfnis erfüllen. Während den technischen Herausforderungen an Systemschnittstellen bereits viel Aufmerksamkeit gewidmet wurde, bleibt die Rolle der Akteure in den komplexen Multi-System-Interaktionen (MSI) oft unklar. Breiter Konsens herrscht darüber, dass spezifischen Akteuren bei Systemkopplungen eine zentrale Funktion zukommt, sie werden in der Literatur als „inter-systemic intermediaries“ oder „system entanglers“ bezeichnet. Die Verbindung von Systemen erfordert von ihnen sowohl Wissen und Netzwerke aus verschiedenen technologischen Bereichen als auch die Fähigkeit, teils widersprüchliche institutionelle Strukturen zu vermitteln. Der Beitrag zeigt, wie die systemverbindenden Akteure technologische Schnittstellen aushandeln und dabei Machtverhältnisse und Ressourcen nutzen, um verschiedene strategische Handlungsfelder (SAF) miteinander zu verbinden. Der Ansatz der Strategischen Handlungsfelder von Fligstein und McAdam beschreibt das Handeln von Akteuren in einem spezifischen Kontext, in dem sie in einem Wettbewerb um Ressourcen und Einfluss stehen. Der konzeptionelle Beitrag verknüpft damit bestehende theoretische Perspektiven zu strategischen Handlungsfeldern und Ressourcenansätzen systematisch und entwickelt ein analytisches Rahmenkonzept, das die Kopplung sozio-technischer Systeme erklärbar macht. Auf diese Weise wird die Grundlage für ein besseres konzeptionelles und praktisches Verständnis der Systemkopplung als Schlüssel einer nachhaltigen Energietransition geschaffen. Review der sozio-technisch-ökologischen Spezifika von Offshore-Wind in der Energietransition Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Deutschland Mit der notwendigen Beschleunigung der Energietransition wird Offshore-Windenergie eine wachsende Bedeutung zugeschrieben. So soll die installierte Stromleistung in Deutschland von aktuell knapp 10 GW aus Offshore-Wind bis 2045 auf 70 GW ausbaut werden. Bisherige Studien legen nahe, dass sich Offshore-Wind fundamental von anderen erneuerbaren Energietechnologien unterscheidet. Anders als Onshore-Wind- und Solarenergie ist Offshore-Wind zum Beispiel mit einem zentralisierten Energiesystem vereinbar und die Branche wird von fossilen Großunternehmen dominiert (MacKinnon et al., 2019; Mäkitie et al., 2019). Die spezifischen Charakteristika von Offshore-Wind und ihre Wirkung auf die bestehenden Dynamiken der Energietransition werden in diesem Beitrag aus einer sozio-technischen Perspektive untersucht. Sozio-technische Systeme aggregieren das Zusammenspiel von Technologien, Akteurskonstellationen und institutionellen Strukturen (Geels et al., 2016). Außerdem definieren die ökologischen Grenzen den Rahmen dieser sozio-technischen Prozesse. Die wechselseitigen Relationen der vier Dimensionen verursachen ko-evolutionäre Prozesse, die zu veränderten sozio-technisch-ökologischen Konfigurationen führen. Der vorliegende Beitrag basiert auf einem systematischen Literaturreview von rund 100 peer-reviewten Forschungsartikeln. Die Ergebnisse zeigen, dass die technologischen Unsicherheiten - wie etwa die Art der Fundamente oder die optimale Größe der Anlagen – das finanzielle Risiko für das Betreiben der Windparks erhöhen. Dementsprechend spielen im Hinblick auf die Akteure vor allem große multinationale Firmen eine wichtige Rolle, die diese finanziellen Risiken tragen können und die technologische Expertise innehaben. Die Unternehmen interagieren mit den regionalen Behörden sowie mit der lokalen Fischerei um die begrenzten Flächen auf See. Institutionelle, zum Teil neu implementierte Regulationen wie die Ausschreibungsverfahren der Flächen und die Überzeugungen der Anwohnenden wirken sich auf den regionalen Ausbau von Offshore-Windenergie aus. Ökologische Aspekte werden beispielsweise beim Gründen der Fundamente bedeutsam, wenn technologische Lösungen als Reaktion auf ökologische Bedenken entstehen. Auf Basis der Ergebnisse wird eine Agenda für künftige Forschung abgeleitet. |