Sitzung | |
AdH21: Die Transformation der Zivilgesellschaft: Politisierung, Polarisierung und sozialer Zusammenhalt
Sitzungsthemen: Meine Vortragssprache ist Deutsch.
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Zusammenfassung der Sitzung | |
Alle Vorträge der Veranstaltung werden auf Deutsch gehalten. | |
Präsentationen | |
Der „Zement der Zivilgesellschaft“ im Wandel? Interaktionsnetzwerke in zwei deutschen Mittelstädten vor, während und nach dem langen Sommer der Migration 1Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM); 2Universität Kopenhagen In europäischen Gesellschaften wird angesichts multipler Krisen die Veränderung gesellschaftlicher Konfliktstrukturen sowie die Akzentuierung sozialer Grenzziehungsprozesse beobachtet. Ergänzend zu umfangreichen vorliegenden Studien zu Konfliktdynamiken auf der Mikro- und Makroebene nimmt das Paper die Meso-Ebene zivilgesellschaftlicher Netzwerke in den Blick, die weitaus weniger empirisch erforscht ist. Mario Diani versteht diese Netzwerke metaphorisch als „Zement der Zivilgesellschaft“, der in der Bindekraft oder Porosität seiner Strukturen Hinweise zu Kohäsion oder Fragmentierung von Gemeinwesen gibt. Ausgangspunkt des Papers ist die Annahme, dass Krisenereignisse einer Politisierung der Zivilgesellschaft insgesamt Vorschub leisten, die sich wiederum in einer Veränderung der interorganisationalen Netzwerkstrukturen ausdrückt. Vor diesem Hintergrund untersuchen wir exemplarisch die Netzwerkstrukturen der Zivilgesellschaft in zwei deutschen Mittelstädten zu drei Zeitpunkten: vor, während und nach dem langen Sommer der Migration 2015/2016. Unsere Analyse nimmt die Perspektive relationaler Felder ein. Wir verwenden digitale Kommunikationsdaten, um die Interaktionen zwischen allen Akteuren zu erfassen, die an lokalen migrationsbezogenen Protesten beteiligt sind, unabhängig von ihrer politischen Orientierung und dem Organisationstyp (Initiative, Verein, Partei, Kirche etc.). Die aus diesen Interaktionsmustern resultierenden Netzwerke können sowohl unterstützende als auch antagonistische Beziehungen abbilden. Auf Basis netzwerkanalytischer Methoden, insbesondere von MRQAP-Regressionen, finden wir unterschiedliche Muster der Veränderung und Stabilität von unterstützenden und antagonistischen Verbindungen infolge der migrationsbezogenen Protestwelle. Interaktionen während der Protestwelle schlagen sich insbesondere in einer Intensivierung antagonistischer Netzwerkwerkstrukturen nach dieser Welle nieder, während unterstützende Netzwerke vor allem durch bereits vor der akuten Mobilisierung existierende Verbindungen erklärt werden können. Die Analyse leistet damit einen theoretischen Beitrag zu den relationalen Folgen von Protestwellen sowie methodische Vorschläge für netzwerkanalytische Zugänge zur Untersuchung der Folgen zivilgesellschaftlicher Politisierung. Die Politisierung traditioneller Zivilgesellschaft: Konzept, Dynamiken und erste Befunde Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, Deutschland In den letzten Jahren haben Konflikte um Themen wie Migration, nationale Souveränität, Pluralismus, Identität und Klimaschutz die politische Konfliktlandschaft grundlegend verändert. Während diese Transformation umfassend im Kontext von Parteien und Protestbewegungen untersucht wurde, wirkt sie zunehmend auch auf Räume, die bislang als unpolitisch galten: ‚Traditionelle‘ Zivilgesellschaft. Organisationen wie Sportvereine, Chöre, Jugendgruppen oder Wohlfahrtsverbände sehen sich vermehrt mit polarisierenden Themen konfrontiert. Ich bezeichne dieses Phänomen als Politisierung traditioneller zivilgesellschaftlicher Organisationen (TZOs): Vereine, die sich in den Handlungsfeldern Freizeit oder soziale Dienste verorten, werden zu Arenen politischer Konflikte, die außerhalb ihrer ursprünglichen Mission liegen. Empirisch lässt sich beobachten, wie TZOs sich aktiv in der Geflüchtetenhilfe oder Klimaschutz engagieren oder positionieren sich in ihrer Satzung und Kommunikation zu Antirassismus oder Vielfalt. Andere vermeiden eine Positionierung und setzen auf Strategien der De-Politisierung. Wie Organisationen auf diese Konflikte reagieren, ob und wie sie Debatten intern verhandeln und aktiv werden, ist bislang kaum erforscht. Während Zivilgesellschaft in der politischen Theorie traditionell als stabilisierende Kraft gilt, die sozialen Zusammenhalt, demokratische Normen und Teilhabe fördert, muss diese Rolle im Kontext neuer politischer Konflikte kritisch hinterfragt werden. Ob und wie sich die Akteure positionieren hat weitreichende Folgen für ihre Funktion als Brückenbauer und soziale Integrierer. Der Konferenzbeitrag stellt einen theoretischen Analyserahmen zur Politisierung von TZOs vor, und präsentiert unterschiedliche Ausprägungen von Politisierung anhand empirischer Beispiele im Handlungsfeld Sport. Darüber hinaus werden erste Hypothesen zur Erklärung organisationaler Varianz entwickelt. Als zentrale erklärende Variablen werden sowohl organisationsinterne Merkmale (wie Größe, Governance-Strukturen, Organisationskultur, Mitgliederbasis) als auch kontextuelle Faktoren (wie sozialräumliche Lage, lokale Konflikte) angeführt. Politische zivilgesellschaftliche Akteure in kommunalen Bildungslandschaften: Ganz anders? Deutsches Jugendinstitut Sollte die These einer zunehmenden Politisierung der organisierten Zivilgesellschaft (Schubert u.a. 2023; Grande 2018) zutreffen, dann ist dies für den Bildungsbereich, der in den zurückliegenden Jahrzehnten verstärkt die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen gesucht hat, eine Herausforderung. Die Mitwirkung von Vertreter*innen politischer Parteien und Bewegungen, aber auch die Durchführung von Projekten insbesondere an Schulen gilt als problematisch, da letztere sich einerseits einer weltanschaulichen Neutralität verpflichtet sehen, andererseits natürlich auch Orte politischer Bildung sind. Das legt die Annahme nah, dass es sich bei zivilgesellschaftlichen Organisationen, die in kommunalen Bildungslandschaften aktiv sind, nicht um Organisationen handelt, die ihrem eigenen Selbstverständnis nach politisch sind. Wir zeigen, dass dies zwar durchaus auf die Mehrheit, aber bei weitem nicht auf alle zivilgesellschaftlichen Organisationen zutrifft. Wir zeigen zudem, inwiefern sich bildungsaktive zivilgesellschaftliche Organisationen, die eine Weltanschauung oder politische Haltung in der Öffentlichkeit vertreten, von jenen bildungsaktiven Zusammenschlüssen der organisierten Zivilgesellschaft unterscheiden, die keine politische Selbstbeschreibung aufweisen. Unterscheiden sich beispielsweise die Bildungsziele, anvisierten Zielgruppen und vorgehalten Angebote? Erste Auswertungen zeigen, dass Organisationen mit einem politischen Selbstverständnis häufiger das Ziel einer vielfältigen Bildungsangebotslandschaft verfolgen und (damit einhergehend) häufiger Angebote zur frühkindlichen Bildung konzipieren und umsetzen. Entlang dieser und weitere Differenzkategorien unternehmen wir den Versuch, die spezifischen Konturen jener bildungsaktiven zivilgesellschaftlichen Organisationen herauszuarbeiten, die sich selbst als politisch beschreiben. Empirische Grundlage des Beitrags sind quantitative Befragungsdaten des BMBF-Projekts ZivilKoop (2019-2022). Im Anschluss an die Grounded Theory Methodologie (Strauss & Corbin 1996) werden die erzielten Befunde zudem unter Rückgriff auf bestehende Theorieangebote gedeutet und einer theoretisch informierten Einordnung unterzogen. Zusammenhalt fordert - Zur staatlichen Mobilisierung von Zivilgesellschaft Universität Halle-Wittenberg Polarisierungserzählungen und die kollektive Sorge um sozialen Zusammenhalt sind im öffentlichen Diskurs omnipräsent. Wir sehen darin auch ein Zeichen des Wandels von Staatlichkeit (vgl. Zimmer 2024), der eng mit dem Wandel hin zu einem aktivierenden Staat verbunden ist (vgl. Behrens et al. 2005; Schimank & Volkmann 2017; van Dyk & Misbach 2016; Bröckling 2002). Damit einher geht auch die Entwicklung von Engagementpolitik in den vergangenen zwanzig Jahren, die in Form staatlicher Programme eine Stärkung der Zivilgesellschaft zum Ziel hat (Grande 2022; Olk et. al. 2010). Jahrzehntelang konnte ein Umbau der staatlichen Verantwortung für die Bereitstellung von öffentlichen Infrastrukturen insbesondere im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge beobachtet werden. Vor dem Hintergrund dieser Debatte um eine demografisch getriebene Verschlankung staatlicher Strukturen (Kersten et al. 2012) und einer zunehmenden ‚Indienstnahme‘ oder ‚Responsibilisierung‘ zivilgesellschaftlicher Akteure (v. Dyk/ Haubner 2023; Haubner/ v. Dyk 2019) lässt sich die Politisierung von Zivilgesellschaft auf der Makro-Ebene der Engagementpolitik systematisch beobachten: Anhand von Bundesförderprogrammen wie bspw. der Städtebauförderung „Sozialer Zusammenhalt“ (und noch erwarteten neuen Dokumenten zur Verteilung des Sondervermögens Infrastruktur GG Art.143h) zeigen wir mithilfe einer Analyse diskursiver Artikulation (Laclau/ Mouffe 2020; Jergus 2014), dass Polarisierungserzählungen und die Sorge um sozialen oder wahlweise gesellschaftlichen Zusammenhalt - wesentlicher diskursiver Treiber einer zivilgesellschaftlichen Beteiligung darstellt. Wir liefern damit einen Beitrag zur Analyse gesellschaftlichen Wandels, indem wir herausstellen, wie die Politisierung der Zivilgesellschaft im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge staatlicherseits (förderpolitisch) durch die Füllung, Platzierung und Verwendung der Begriffe „Zusammenhalt“ und „Polarisierung“ vorangetrieben, aber auch verschleiert wird. Oder anders gesagt: Wie Versäumnisse auf politischer Ebene an die Zivilgesellschaft herangetragen werden, als eine Form der Politisierung dieser. |