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AdH18: Das Unbehagen der Modernisierungsverlierer:innen. Wie Abwertungserfahrungen und symbolische Grenzziehungen den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden
Sitzungsthemen: Meine Vortragssprache ist Deutsch.
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Zusammenfassung der Sitzung | |
Alle Vorträge der Veranstaltung werden auf Deutsch gehalten. | |
Präsentationen | |
Multidimensionaler sozialstruktureller Wandel und Zugehörigkeit: Soziale Identifikation im Kontext sozialstruktureller Veränderungen Goethe-Universität Frankfurt, Deutschland Die Bildungsexpansion, die zunehmende Erwerbsbeteiligung von Frauen, Migration, und die Transformation des Arbeitsmarktes haben in den letzten Jahrzehnten zu einem tiefgreifenden sozialstruktureIlen Wandel in Deutschland geführt. Dieser Wandel ist jedoch bislang nur unvollständig erfasst, da sich viele Analysen auf eine oder zwei Dimensionen sozialer Ungleichheit beschränken. Zudem ist wenig darüber bekannt, inwieweit objektive Veränderungen in sozialstrukturellen Gruppenpositionen in subjektiven Wahrnehmungen von Zugehörigkeit und Status reflektiert werden. Dieser Beitrag verbindet zwei Analyseperspektiven, um Zusammenhänge zwischen sozialstrukturellem Wandel und sozialer Identifikation sichtbar zu machen: eine makrostrukturelle Beschreibung multidimensionalen sozialen Wandels und eine mikroanalytische Untersuchung subjektiver Wahrnehmungsmuster bedeutsamer multidimensionaler sozialstruktureller Gruppen. Im ersten Schritt wird auf Basis von Mikrozensus-Daten (1980-2020) der sozialstrukturelle Wandel in Deutschland aus multidimensionaler Perspektive analysiert. Im Fokus steht die Verschränkung von Geschlecht, Staatsbürgerschaft, Bildung und Einkommen. Ziel ist es, sowohl Gruppen mit markanten Strukturveränderungen zu identifizieren als auch sozial bedeutsame Kontraste, etwa zwischen deutschen und ausländischen Männern und Frauen im unteren Bildungs- und Einkommensbereich, herauszuarbeiten. Im zweiten Schritt wird untersucht, wie diese multidimensionalen Gruppenzugehörigkeiten auf subjektiver Ebene wahrgenommen und bewertet werden. Hierzu wird ein im Winter 2023/24 durchgeführtes Conjoint-Experiment herangezogen, in dem die Identifikation mit unterschiedlich multidimensionalen Personenprofilen sowie die Zuschreibung sozialer Statuspositionen erfasst wurden. Die Profile variierten u.a. systematisch nach den Dimensionen Geschlecht, Herkunft, Bildung und Einkommen. Untersucht wird, mit welchen Statusdimensionen sich Personen mit unterschiedlichen sozialstrukturellen Hintergründen identifizieren und welchen Status sie den multidimensionalen Profilen zuweisen. Der Fokus liegt darauf, inwieweit sich Identifikations- und Statuszuweisungsmuster zeigen, die mit den in der Makroanalyse identifizierten, sozialstrukturellen Verschiebungen korrespondieren. Politische Konfliktpotentiale? Milieulogiken des Zusammenhangs von relativer Benachteiligung mit Einstellungen zu Meritokratie und Zuwanderung Universität Bremen/FGZ, Deutschland Die These eines den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährdenden Konflikts zwischen Gewinner:innen und Verlierer:innen der Modernisierung wird in Deutschland kontrovers diskutiert. Dabei wird oftmals argumentiert, dass die relative Benachteiligung der Modernisierungsverlierer:innen mit Ressentiments gegenüber Migrierten und Wohlfahrtschauvinismus verknüpft ist. In der Debatte vernachlässigt wird dabei jedoch zumeist die Heterogenität sozialer Großgruppen auf der gesellschaftlichen Mesoebene. Der Vortrag nimmt diese sozialen Großgruppen in den Blick und argumentiert, dass bisherige Gruppenkonzepte, wie die Oesch-Berufsklassen oder die Sinus-Milieus®, theoretisch und empirisch unzureichend sind. Es wird ein neues, mit öffentlich verfügbaren Umfragedaten replizierbares Modell sozialer Milieus, die BRISC-Milieus, vorgestellt. Diese unterscheiden sich in sozioökonomischem Status sowie kulturellen Werten in den Dimensionen der Modernisierungs- und Kollektivorientierung. Mit Hilfe des Social Cohesion Panels und latenter Klassenanalyse werden quantitativ acht Milieus für Deutschland identifiziert. Im Anschluss wird gefragt, inwieweit sich milieuspezifische Logiken des Zusammenhangs relativer Benachteiligung mit sozioökonomischen Einstellungen zur Meritokratie und kulturellen Einstellungen zu Immigration ergeben und zwischen welchen Milieus Konfliktpotentiale bestehen. Dabei zeigt sich mit Blick auf diesen Zusammenhang erstens eine nach Status und Werten differenzierte Konfliktlinie zwischen sozialen Milieus, aber auch eine erhebliche Heterogenität von sozialen Milieus in den oberen und unteren Statuslagen. Diese lässt sich vor allem durch deren unterschiedliche Wertorientierung erklären. Dabei spielt die in bisherigen Ansätzen nicht berücksichtigte, von persönlichem Erfolg zum Wohlergehen Anderer reichende Wertedimension der Kollektivorientierung eine besondere Rolle. Milieuspezifische kulturelle und ökonomische Abwertungserfahrungen und Gefährdungen des gesellschaftlichen Zusammenhalts 1SOFI/FGZ, Göttingen; 2Universität Bremen/FGZ In der aktuellen Diskussion über Prozesse der gesellschaftlichen Spaltung und Bedrohung des gesellschaftlichen Zusammenhalts, wie sie sich im Aufstieg des Rechtsextremismus, dem Erstarken nationalistischer Appelle oder einem Rückgang des Demokratievertrauens zeigen, wird intensiv über die Rolle des sozialen Status als möglichem Erklärungsfaktor debattiert. Es sind vor allem kulturelle und ökonomische Abwertungserfahrungen und Statusverluste im Lebensverlauf, die ein Gefühl des „Zurückgelassen Werdens“ erzeugen können. Die Frage ist, inwiefern diese Statusverluste zu einer Gefährdung des gesellschaftlichen Zusammenhalts durch Abgrenzungsmechanismen in Bezug auf andere soziale Gruppen führen können. Der Vortrag geht zunächst auf die individuelle Ebene ein, die zeigt, wie Erfahrungen, die Individuen in ihrem Lebensverlauf machen, ihren Blick auf Gesellschaft und damit auch ihre Einstellungen und Praktiken prägen. Im Anschluss zeigen wir auf, inwiefern sich bestimmte Abwertungserfahrungen und damit einhergehende symbolische Grenzziehungen in einzelnen sozialen Milieus bündeln. Empirische Grundlage des Vortrags ist eine vom BMBF geförderte umfangreiche qualitative Panelstudie, in der wir in fünf Regionen Deutschlands mit 90 Personen aus unterschiedlichen Milieus seit 2020 wiederholt ausführliche Interviews führen. Die Wiederholungsbefragungen erlauben uns, die Praktiken und die Haltungen der Teilnehmenden über längere Zeit zu beobachten. Wir können zum Beispiel Reaktionen auf gesellschaftliche Transformationen und Krisen analysieren. Dabei betrachten wir das Zusammenspiel von persönlichen Lebensbereichen und gesellschaftlichen Bedingungen. Uns interessiert, wie Arbeits- und Lebenserfahrungen, aber auch soziale, politische und wirtschaftliche Entwicklungen Orientierungen und Praktiken der Befragten prägen und verändern. Mehr als nur arm? Das „politische Bewusstsein“ marginalisierter Menschen Berlin Immer wieder wird in der Politik und Öffentlichkeit über die (politische) Handlungsfähigkeit marginalisierter Menschen diskutiert. Dabei dominiert ein Blick, der von ihrer Anomie ausgeht und häufig mit einer Abwertung der „Unterklassen“ als nicht organisier- und politikfähig einher geht. In diesem Beitrag überprüfe ich diese These anhand aktuellen empirischen Materials. Durch die Analyse von Interviews mit marginalisierten Menschen kann ich ein differenzierteres Bild zeichnen. Zwar ist das Bewusstsein der Befragten in ein dichotomes Gesellschaftsbild und ein individuelles Leistungsbewusstsein gespalten, woraus sich keine einheitliche Politik- bzw. Handlungsfähigkeit ableiten lässt, doch haben die Gespräche deutlich gezeigt, dass sich durchaus Formen von individuellen Aktivitäten und informeller Solidarität finden lassen, auf die eine Politisierung marginalisierter Menschen aufbauen kann. |