Sitzung | |
AdH16: Das Leben liegt in den Zwischenräumen. Soziologische Konzeptionen des Dazwischens
Sitzungsthemen: Meine Vortragssprache ist Deutsch.
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Zusammenfassung der Sitzung | |
Alle Vorträge der Veranstaltung werden auf Deutsch gehalten. | |
Präsentationen | |
Kooperation im Zwischenraum: Translationsprozesse zwischen spezialisierten Organisationen in der Biomedizin Leibniz Center for Science and Society (LCSS), Universität Hannover Forschungs- und Entwicklungsprozesse in der Biomedizin zeichnen sich durch die Kooperation von Akteur:innen mit unterschiedlichen Spezialisierungen aus. In unserer Studie untersuchen wir, wie Mitglieder spezialisierter Organisationen – Universitäten, Universitätskliniken, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen – in Translationsprozessen von der Grundlagenforschung zur Medikamentenentwicklung organisationale und disziplinäre Grenzen überbrücken. Unser qualitatives Forschungsdesign kombiniert Perspektiven sowie Erhebungs- und Auswertungsmethoden, um eine umfassende Betrachtung von Translationsprozessen zu ermöglichen (z.B. Merriam 2009). Unsere Fallstudie zur Entwicklung eines radiochemischen Krebsmedikaments zeigt, dass unterschiedliche Arten von Zwischenräumen (z.B. Furnari 2014) zwischen den Organisationen für die Translation wesentlich sind: die Akteurskonstellation einer Forschungsgruppe (sozialer/kognitiver Zwischenraum), Meta- und Boundary-Spanning Organisationen (organisationaler Zwischenraum), infrastrukturell-physische Verbindungen (Zugang/Transport), Boundary-Spanner-Persönlichkeiten, die Fachgebiete überbrücken, sowie rechtliche Regulierungen, die klinische Anwendungsmöglichkeiten eröffnen. Diese Zwischenräume fördern den interorganisational-interdisziplinären Kollaborationsprozess und halten zugleich notwendige Spezialisierungen aufrecht. Diese empirischen Einsichten verweisen in sozialtheoretischer Perspektive auf die Dualität des Zwischenraums: Er ist nicht nur ein Ort der Durchlässigkeit, sondern hält zugleich Spezialisierung und Grenzüberschreitung in produktiver Spannung. Unser Beitrag versteht den Zwischenraum damit nicht nur als Möglichkeitsraum, sondern als Vermittlungsinstanz und boundary space (z.B. List et al. 2025). Literatur Furnari, S. (2014). Interstitial Spaces: Microinteraction Settings and the Genesis of New Practices Between Institutional Fields. Acad. Manag. Rev., 39(4), 439–462. List, H., Kristensen, D. B., & Graumann, O. (2025). “The highest decision-making level” – Multidisciplinary team meetings as boundary spaces. Social Science & Medicine, 371, 117886. Merriam, S. B. (2009). Qualitative research: A Guide to Design and Implementation. Jossey-Bass. Zwischen Krise und Genesung – Geschlechtervorstellungen in professionellen Orientierungen in der Psychosomatik Institut for Sozialforschung, Frankfurt am Main Stationäre psychiatrische Einrichtungen sind Räume des Dazwischens. Menschen suchen sie aufgrund von psychischen Krisenerfahrungen auf und bleiben einige Wochen dort. Sie werden durch verschiedene Professionen mit dem Ziel behandelt, den Zwischenraum wieder verlassen zu können und ihren Alltag (wieder) möglichst selbstständig zu bewältigen. Insbesondere im Bezug auf bezahlte Erwerbsarbeit, aber auch unbezahlte Sorgearbeit, wird dabei deutlich, dass der Zwischenraum der Klinik potenziell der Raum einer doppelten Transition ist: Einerseits ist es ein Behandlungsort, in dem nicht nur ein vorheriger Zustand der Gesundheit hergestellt, sondern häufig in der frühen Sozialisation erworbene Verhaltensmuster verändert werden sollen. Andererseits ist die psychiatrische Klinik für viele Behandelte ein Raum der biografischen Transition, da gemeinsam erarbeitet wird, wie nach Verlassen der Klinik entscheidende Veränderungen wie etwa ein Arbeitsplatzwechsel oder eine Veränderung des familiären Zusammenlebens umgesetzt werden. Im Beitrag zeige ich, dass insbesondere für die zweite Form der Transition implizite Geschlechtervorstellungen der Behandler*innen eine entscheidende Rolle einnehmen. Diese wirken – so meine These – transitionshemmend: sowohl für die Patient*innen, als auch für das gesellschaftliche Geschlechterverhältnis. Im Beitrag werden erste Ergebnisse einer Dissertation vorgestellt, die im Rahmen des DFG-Projekts „Psychotherapeutische Behandlung arbeitsbezogenen Leidens in Deutschland“ verfasst wird. Die Dissertation basiert auf der Auswertung von Gruppendiskussionen und Interviews mit Ärzt*innen, Psychotherapeut*innen, Sozialarbeiter*innen, Komplementärtherapeut*innen und Pflegekräften in vier psychosomatischen Akutkliniken. Die Fachkräfte nehmen eine entscheidende Funktion für den Übergang zwischen Klinik und Alltag ein, da sie qua Profession Akteur*innen des Dazwischens und Gestalter*innen von Transitionen sind. Der Beitrag arbeitet heraus, welche Bedeutung Geschlecht als Strukturkategorie in den Orientierungen der Fachkräfte einnimmt und wie sie die Gestaltung von biografischen Transitionen – beispielsweise bezüglich der beruflichen Selbstverwirklichung oder der Fürsorgeverantwortung der Patient*innen – im Zwischenraum der Klinik prägt. Transition in Geschlossenheit, Leben im Dilemma. Die Erkundung des Jugendgefängnisses als polymorpher Zwischenraum. freiberuflich, Deutschland Jugendgefängnisse sind ebenso geschlossene wie vorübergehende Orte. Im Strafvollzug für junge Menschen richtet sich niemand auf Dauer ein, die Perspektiven der Inhaftierten sind eher kurzfristig. Insofern lässt sich der Ort als zeit-räumlicher Zwischenraum untersuchen und mit dem Konzept des ›Gefüges‹, wie es Gilles Deleuze und Félix Guattari in ihrem gemeinsam verfassten Buch Tausend Plateaus (1980) entwickelt haben, als ein dynamisches Zusammenspiel unterschiedlicher Entitäten denken und in steter Bewegung. Vor diesem Hintergrund versucht der Vortrag, Einsichten, Fragen, Auswürfe aus vorhandenem empirischem Material in die Ad-hoc-Gruppe einzubringen und so zur Theoretisierung des soziologischen Gegenstands Zwischenraum beizutragen. Das Interesse folgt unter anderem Fragen der Ermöglichung im Dazwischen. Darüber hinaus ist das Jugendgefängnis ein klassischer Zwischenraum, in dem sich bewegen zu können allerdings nicht nur – wie im Call beschrieben – eine gewisse „Offenheit“ voraussetzt, mit „Ungeplantem umzugehen und Vorläufiges hinzunehmen“, sondern der ebenso mit der Notwendigkeit verbunden ist, mit vielfältigen Dilemmata umzugehen, die sich unter den Inhaftierten als zwischenräumliche Gefüge auffalten lassen. In diesem Setting, das maßgeblich von Parametern wie Enge und Mangel bestimmt ist, interessiert mich die Option einer anderen Bewegung. Ausgangspunkt der Untersuchung sind Aussagen Inhaftierter über ihr Leben in einem höchst ambivalenten Dazwischen: nicht mehr Kind sein und noch nicht erwachsen, bestraft und erzogen, der Freiheit beraubt, um in Freiheit leben zu können. Es geht um die zeit-räumliche Erschließung eines in seiner Geschlossenheit polymorphen Raums. Jenseits der Feldlogik: Künstlerisch-intervenierende Praktiken zwischen Kunst und Aktivismus SFB 1512 Intervenierende Künste, Freie Universität Berlin Praktiken an der Schnittstelle von Kunst und Aktivismus haben Konjunktur und sind umstrittener Gegenstand akademischer Debatten. Dies zeigt sich im öffentlichen Diskurs zur gesellschaftlichen Rolle der Künste sowie unterschiedlichen theoretischen Positionierungen zum Verhältnis von Kunst und Politik: Während radikaldemokratische Ansätze eine wechselseitige Durchdringung des Ästhetischen und Politischen betonen (Rancière 2008; Mouffe 2008), hebt die Feldtheorie (Kastner 2015; 2013), die Konflikthaftigkeit und Differenz zwischen den Feldern hervor. Phänomene wie die Jahresaktion 2023 des Kollektivs Lebenslaute, das klassische Musik mit zivilem Ungehorsam verbindet, oder das Projekt OderHive, eine Kooperation zwischen dem Musikkollektiv FrauVonDa und dem Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei, entziehen sich solchen Zuordnungen. Die beteiligten Künstler*innen, Aktivist*innen und Wissenschaftler*innen agieren bewusst in Zwischenräumen, um auf komplexe Krisenlagen zu reagieren, neue Formen des Miteinanders zu erproben oder sich Repressionen zu entziehen. Solche Praktiken sind situativ, prozess- und ereignishaft – auch wenn strukturelle Bedingungen wie Förderlogiken weiterhin eine zentrale Rolle spielen. In meiner Forschung analysiere ich mittels Situationsanalyse (Clarke, Washburn, und Friese 2022) solche Konstellationen anhand zweier ethnographischer Fallstudien (Lebenslaute, FrauVonDa) und begreife sie als künstlerisch-intervenierende Praktiken. Im Anschluss an praxistheoretische Ansätze (Reckwitz 2003), die blinden Flecken der Feldtheorie unter anderem mit einer „flachen Ontologie“ (Schatzki 2016) begegnen, ermöglicht dies eine Analyse jenseits feldspezifischer Grenzziehungen mit einem Fokus auf Materialitäten, Affekte, verkörpertes Wissen und situative Relationalitäten. Ein Verständnis von Praktiken als Folgepraktiken (Hillebrandt 2014) macht die spezifische Historizität und Relationalität künstlerisch-intervenierender Praktiken sichtbar. Diese Analyse trägt zu einem erweiterten Verständnis künstlerisch-aktivistischer Praxis jenseits feldspezifischer Logiken bei. Anhand konkreter Praktiken wird deutlich, wie spezifisches Praxiswissen, etablierte Formen (etwa basisdemokratische Prinzipien oder performative Ästhetiken) und konkrete Vollzugssituationen ineinandergreifen – und wie in diesem Spannungsfeld transformatives Potenzial entsteht. Zwischen Gegenwart und Zukunft: Ein zeit-räumliches Befragen des Dazwischen des klimawandelbedingten Raumverlusts Goethe-Universität Frankfurt am Main / SFB1604, Deutschland Irgendwie stecken wir mitten in der Klimakrise. Das 1,5 Grad-Ziel ist letztes Jahr öffentlich fast unbemerkt überschritten worden, nachdem es lang als erhobener Zeigefinger und Referenzpunkt politischer Entscheidungen diente. Das Feuer in Los Angeles, die große Überschwemmung in Valencia, die abrutschenden Dörfer in der Schweiz. Drei ganz unterschiedliche Orte, in denen prognostizierte Klimawandelfolgen reale Gegenwart geworden sind. Ist hier die Vorläufigkeit der Antizipation von der Gegenwart eingeholt worden? Diese Frage stellt sich vor der Ungleichzeitigkeit der Zeitlichkeiten der Klimakrise. Denn: Die Klimakrise ist immer noch eine Krise, die als Kommende begriffen, bearbeitet, behandelt wird. Besonders deutlich wird die Verhandlung der Gegenwart des Zukünftigen in der Frage von drohendem Raumverlust verhandelt: The future is now liest man auf den Pappschildern der Demonstrant:innen. Für die Ad-hoc Gruppe möchte ich das Phänomen des kommenden Verlusts von bewohntem Raum durch Klimawandelfolgen nutzen, um das Dazwischen auf dessen Verortung und Wirkmächtigkeit zu befragen. Im Gegensatz zu Hitze oder Stürmen ist der Raumverlust durch Meeresspiegelanstieg recht eindeutig zu bestimmen. Die Zahl 2050 markiert dabei einen Zeithorizont: einerseits als Zielmarke für den Vollzug der Klimaneutralität; anderseits als Startpunkt der apokalyptischen Folgen. Ein auf diese Prognosen gerichtetes Handeln realisiert diese schrittweise; oder versucht sie als Bedrohung sukzessive als „vergangenen Zukunft“ (Koselleck) verfallen zu lassen. Im Phänomen des klimawandelbedingten Raumverlusts wird die zeitliche und räumliche Dimension der Figur des Übergangs und der Vorläufigkeit zusammengezogen: Im Hinblick auf die Eindeutigkeit der Prognosen stellt sich die Frage, ob die Gegenwart zur Zwischenphase eines Danach wird? Wie verändert die Prognose die Gegenwart, indem sie Verhältnisse verändert, um die Zukunftsprognosen zu verändern? Kann hier noch von einem Dazwischen gesprochen werden? Oder ist die fast revolutionär anvisierte ‚Umbauphase‘ der Gesellschaft als kommendes Dazwischen für ein besseres ‚Danach‘ zu betrachten? Ziel meines Beitrags ist es, die Figur des Dazwischen von Klimawandelprognosen des drohenden Verlusts zu denken und erste Überlegungen aufzustellen. Dafür nutze Material aus meiner ethnografischen Feldforschung entlang der US-amerikanischen Ostküste. |