Veranstaltungsprogramm

Eine Übersicht aller Sessions/Sitzungen dieser Veranstaltung.
Bitte wählen Sie einen Ort oder ein Datum aus, um nur die betreffenden Sitzungen anzuzeigen. Wählen Sie eine Sitzung aus, um zur Detailanzeige zu gelangen.

 
 
Sitzungsübersicht
Sitzung
AdH15: Das Ende der Vielfalt? Organisationstheoretische Erklärungen für den Rückzug von Diversity
Zeit:
Freitag, 26.09.2025:
9:00 - 11:45

Chair der Sitzung: Maja Apelt, Universität Potsdam
Chair der Sitzung: Julia Gruhlich, Universität Göttingen
Chair der Sitzung: Matthias Schneider, FU Berlin
Sitzungsthemen:
Meine Vortragssprache ist Deutsch.

Zusammenfassung der Sitzung

Alle Vorträge der Veranstaltung werden auf Deutsch gehalten.


Zeige Hilfe zu 'Vergrößern oder verkleinern Sie den Text der Zusammenfassung' an
Präsentationen

Aufstieg und Fall von Diversity-Politiken – (organisations)soziologische Erklärungsversuche

Birgitt Riegraf

Universität Paderborn, Deutschland

Vor allem international agierende Organisationen setzten bis vor kurzem Diversity-Politiken in der Regel mit dem Argument um, dass divers „aufgestellte“ Organisationen ihre jeweiligen Ziele besser erreichen und umsetzen könnten. Bis vor wenigen Monaten schien es so, als ob zukünftig kein Unternehmen, keine Universität, keine Pflegeeinrichtung oder keine Behörde mehr ohne Diversity-Maßnahmen auskommen würde. In einer immensen Geschwindigkeit hat sich der Wind völlig gedreht: Allerspätestens seit dem Politikwechsel in den USA stehen die Implementation von Diversity-Programmen, die Einrichtung von Diversity-Beauftragten oder Diversity-Stabsstellen in Organisationen öffentlich unter verstärktem Rechtfertigungs- und Legitimationsdruck. Immer nachdrücklicher werden Bedenken gegenüber Diversity-Politiken mit folgenden Argumenten geäußert: Diversity-Politiken und -Maßnahmen seien ungerecht und zudem dysfunktional, da diese „Bürokratiemonster“ erschaffen, die eine dynamische Organisationsentwicklung behindern oder gar ersticken würden (vgl. hierzu: Leopoldina, S. 20–22).

Dieser Wandel der Perspektive auf Diversity-Politiken und der Argumentationsmuster gegenüber Diversity-Maßnahmen ist erklärungsbedürftig. In dem Vortrag wird folgenden Fragen anhand von (organisations-)soziologischen Erklärungsansätzen nachgegangen:

Wie ist dieser schnelle Wandel der Perspektive auf Diversity-Politiken zu erklären? Was genau verbirgt sich hinter den Bedenken gegenüber den eingeleiteten Diversity-Politiken? Was sagt dieser Argumentationswandel gegenüber Diversity-Politiken über ihre bisherige Ausgestaltung, Reichweite und Wirksamkeit in Organisationen aus? Was sagt es über die jeweiligen Organisationen aus, da sie sehr unterschiedlich auf diesen „Stimmungswandel“ reagieren?

Gerald Haug/Thomas Krieg/Marietta Auer/Andreas Barner/Franziska Broer/Udo Di Fabio/Dieter Engels/Peter Gruss/Franziska Hornig/Waltraud Kreutz-Gers/Wilhelm Krull/Stefan Kühl/Michael Stückradt/Andreas Voßkuhle (2025): Mehr Freiheit – Weniger Regulierung. Vorschläge für die Entbürokratisierung des Wissenschaftssystems. Diskussion Nr. 36, Leopoldina https://levana.leopoldina.org/servlets/MCRFileNodeServlet/leopoldina_derivate_01049/2025_Leopoldina_Diskussion_36_Entbuerokratisierung_de.pdf



Diversität in der Männlichkeitsfalle – Wie Organisationen an der Androzentrik ihrer Strukturen scheitern

Julia Gruhlich1, Nina Hossain2

1Universität Göttingen, Deutschland; 2Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit, Deutschland

Viele Organisationen sind weiterhin durch traditionelle Männlichkeitsnormen geprägt: Hierarchien, Vollzeitstellen und marktwirtschaftliche Profitorientierung basieren strukturell auf der Auslagerung von Carearbeit und der Abwertung weiblich konnotierter Arbeits- und Führungsstile. Diese tief verankerten Muster wurden durch organisationale Diversity-Programme bislang kaum verändert. Die Abwicklung und Beendigung von Diversity-Politik (DEI & DiM), wie sie aktuell in vielen US-Unternehmen sichtbar wird, vollzieht sich mit solcher Leichtigkeit, weil sich Diversity-Programme in einer dreifachen ‚Männlichkeitsfalle‘ verfangen haben:

1. Scheinvielfalt

Diversity-Maßnahmen wurden vielfach in Organisationen umgesetzt, ohne deren androzentrische Strukturen grundsätzlich zu hinterfragen. Statt strukturelle Machtverhältnisse zu verändern, beschränkten sich viele Programme auf symbolische Repräsentationspolitik – während Hierarchien, männlich dominierte Entscheidungslogiken und exkludierende Arbeitskulturen weitgehend bestehen blieben.

2. Strukturerhaltung

Männlichkeitsvorstellungen wurden in Diversity-Maßnahmen kaum strukturell adressiert, sondern individualisiert: als „toxisch“ problematisiert oder als „Allies“ idealisiert. Bei Sexismusfällen tendieren Organisationen zur Externalisierung des Problems, indem sie Betroffene an Coaching- oder Therapieangebote verweisen, statt die eigenen diskriminierenden Strukturen zu hinterfragen.

3. Tech-Bias

Die Digitalisierung und der Einsatz von KI verstärken die Abhängigkeit von männlich dominierten Tech-Unternehmen, deren Biases sich in den Technologien widerspiegeln. Technik wird als Lösung präsentiert, während Diversity nur dann berücksichtigt wird, wenn sie ökonomisch profitabel ist, etwa durch Produkte für Frauen oder Menschen mit körperlichen Einschränkungen.

Wir veranschaulichen unsere Thesen anhand empirischer Beispiele aus der Gaming-Industrie. Diskutiert werden soll, ob es sich bei dem gegenwärtigen Abbau von organisationalen Antidiskriminierungs-, Inklusions- und Gleichstellungspolitiken lediglich um eine rhetorische Regression handelt oder tatsächlich ein struktureller Backlash in Organisationen zu beobachten ist und wie dieser mit männlicher Identitätspolitik verbunden ist.



Problematisierungsweisen von Diversität in Profit- und Non-Profit- Organisationen: Was bedeutet Diversity und welchen Nutzen sollen Diversity-Strategien haben (können)?

Andrea Dorothea Bührmann, Jördis Grabow

Universität Göttingen, Deutschland

Seit einigen Jahrzehnten hat sich die explizite Bearbeitung von Vielfalt in Organisationen ausgehend von den USA scheinbar unaufhaltsam verbreitet: Immer mehr Organisationen insb. des Globalen Nordens haben nicht nur im Profit-, sondern eben auch im Non-Profit-Bereich Diversitätsstrategien konzipiert und als ‚Diversity, Equity, Inclusion‘ und neuerdings auch als ‚Belonging-Programme‘ (DEIB) implementiert. DEIB-Programme sind dabei zum einen (begeistert) begrüßt und zum anderen teils (vehement) kritisiert worden: Es ging nicht nur – im Sinne immanenter Kritiken – um die Frage nach dem Diversitätsverständnis und deren z.B. potentiell essentialisierenden Konsequenzen. Vielmehr sind DEIB-Programme auch im Sinne von Standpunktkritiken kritisiert worden: Dabei stand und steht die Frage nach dem Nutzen im Zentrum: Nutzen DEIB-Programme vor allem der individuellen Persönlichkeitsentfaltung von Organisationsmitgliedern und schützen sie diese etwa vor Diskriminierungen? Oder aber: Dienen Diversitätsprogramme der ‚bloß‘ effektiveren Ausnutzung der Organisationsmitglieder, weil nun die ‚ganze Person‘ als potentielle Ressource für die Organisation gedacht wird, statt diskriminierende Strukturen zu bekämpfen. Diese Debatten erfahren aktuell eine neue Wendung: Denn in den USA schon verstärkt und vermehrt auch in anderen Regionen des Globalen Nordens werden DEIB-Programme kritisiert und auch schon abgeschafft, da sie privilegierend wirkten und so das meritokratische Ideal verletzten und zugleich diskriminierende Effekte für Angehörige nicht diskriminierter sozialer Gruppen implizierten. Diese neue agonale Situation möchte ich in meinem Beitrag normalismustheoretisch einordnen und versuchen, an empirischen Beispielen zu illustrieren. Dabei gilt es nicht von Evolutionen, Fortschritten und Teleologien auszugehen, sondern sowohl Übergänge, Schwellen, Herkünfte und Diskontinuitäten als auch Regelmäßigkeiten, Regeln und Gemeinsamkeiten und Kontinuitäten zu beobachten, statt sie im Sinne eines Entweder-Oder zu betrachten. Den erkenntnistheoretischen Ausgangspunkt des Beitrages bildet das Programm der reflexiven Forschung. (Bührmann 2024)

Bührmann, Andrea D. (2024). Reflexive Diversity Research – an Introduction, Cambridge



Die Individualisierung von Verantwortung für Zugänglichkeit an Hochschulen: wenn Nachteilsausgleiche Nachteile nicht ausgleichen

Yvonne Wechuli

Universität Kassel, Deutschland

Barrierefreiheit stellt eine zentrale Forderung von Behindertenrechtsbewegungen weltweit dar. In Kontrast zu verrechtlichten und bürokratisierten Auffassungen von Barrierefreiheit greift der Beitrag auf das sich neu formierende Feld der “critical access studies” (Hamraie 2017: 13) zurück. Aus dieser Perspektive lässt sich fragen, warum durch (Forderungen nach) Barrierefreiheit in der architektonischen und technologischen Gestaltung bisher keine inklusive Gesellschaft verwirklicht werden konnte.

Hochschulen – wie viele andere Organisationen auch – reagieren auf fehlende Barrierefreiheit bzw. persistierende, allgegenwärtige Barrieren in an Bedürfnissen nichtbehinderter Menschen ausgerichteten, gebauten Umwelten i.d.R. mit der Einrichtung formalisierter Verfahren zur Beantragung von Nachteilsausgleichen. Obwohl auf diesem Wege angemessene Vorkehrungen im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention beantragt werden können, müssen behinderte Menschen ihre Zeit und auch emotionale Energie investieren, um Ansprüche durchzusetzen. Bei der Inanspruchnahme sehen sie sich dabei oft feindseligen Reaktionen ausgesetzt, die zu Auseinandersetzungen darüber eskalieren können, welche Vorkehrungen als angemessen gelten können (Inckle 2018; Price 2024).

Im Rahmen einer Studie zu behinderten Fakultätsangehörigen US-amerikanischer Universitäten beschreibt Margaret Price (2024: 73; meine Übersetzung) eine „Anpassungsschleife“, die wieder und wieder mühsam durchlaufen werden müsse, was für alle Antragsteller:innen zusätzliche, unbezahlte Arbeit darstelle, die darüber hinaus zumeist unsichtbar bleibe. Eine derartige Individualisierung von Verantwortung für Zugänglichkeit lässt sich nun als alltägliche strukturelle Benachteiligung in Karriere- und Lebenschancen diskutieren, da die zusätzlich zu leistende Arbeit etwa auch in akademische Leistungen investiert werden könnte. Alternativ schlägt der Beitrag im Anschluss an die Critical Access Studies ein relationales Verständnis qua geteilter Verantwortlichkeit für Zugänglichkeit vor.

Hamraie, Aimi (2017): Building access. Universal design and the politics of disability. Minneapolis: UMP.

Inckle, Kay (2018): Unreasonable adjustments. The additional unpaid labour of academics with disabilities. In: Disability & Society 33(8), 1372–1376.

Price, Margaret (2024): Crip spacetime. Access, failure, and accountability in academic life. Durham: DUP.



Diversität im Militär: Vergleich USA und Deutschland. Überlegungen aus neo-institutionalistischer Perspektive

Maja Apelt1, Ines Michalowski2

1Universität Potsdam; 2Universität Münster

Streitkräfte haben eine lange Tradition in Hinblick auf den Umgang mit Diversität; Sie gelten in vielen Ländern als die „Schule der Nation“, d.h. als ein Ort, an dem Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft auf die gemeinsame Zugehörigkeit zur Nation eingeschworen werden. So zeigt sich erstens auf der Makroebene, dass die Diskurse um Diversität im Militär durch die Eigenheit von militärischen Organisationen und ihrem Verhältnis zum Nationalstaat geprägt sind. Was in einer Gesellschaft unter Diversität verstanden wird, welche Strukturen dabei von besonderer Bedeutung sind und wie diese in der Gesellschaft verhandelt werden, wird vom Militär entscheidend mitgeprägt und spiegelt sich andersherum im Militär wider. Hier zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den Streitkräften und auf welche Weise Diversität in die Streitkräfte verhandelt wird: Zweitens zeigt sich auf der Organisationsebene, dass die mikropolitischen Auseinandersetzungen um die Zugehörigkeit und Positionierung verschiedener Gruppen eng mit anderen Fragen verknüpft sind, z.B. dem Prestige einiger Truppengattungen oder der Position einzelner Vertreter:innen in der militärischen Hierarchie oder anderen Rahmenbedingungen, wie etwa der Einrichtung einer eigenen Militärseelsorge für religiöse Minderheiten. Das Hauptaugenmerk unseres Vortrages richten wir auf die organisationale Mesoebene und dabei auf den Vergleich von US-Streitkräften und der deutschen Bundeswehr. Wir fragen, welche Prozesse die Auseinandersetzungen und die organisationalen Veränderungen rund um Diversität bestimmen und gehen dabei auch auf die jüngsten Entwicklungen weg von einer Anerkennung von Diversität in den US-Streitkräften und hin zu mehr Anerkennung von Diversität in der deutschen Bundeswehr ein. Zeigen wollen wir, auf welche Weise hier Prozesse der Isomorphie und Entkopplung zusammen mit mikropolitischen Auseinandersetzungen wirksam werden, wobei wir den Blick insbesondere darauf richten, wie Außendarstellung, formale Regelungen und innerorganisatorisches Handeln aufeinander bezogen, resp. entkoppelt werden. Tendenziell zeigen sich zwischen US-Streitkräften und Bundeswehr Gemeinsamkeiten und entgegengesetzte Entwicklungen.



Unterwanderung und Gegenwehr: Wie Anti-Diversity-Bewegungen Organisationen prägen

Matthias Schneider1, Teresa Löckmann2

1FU Berlin, Deutschland; 2Universität Potsdam, Deutschland

Während der Neo-Institutionalismus ein zentrales Erklärungsinstrument für die Analyse von Entwicklungsdynamiken rund um Diversity in Organisationen darstellt, bleibt in der gegenwärtigen Diskussion über den Backlash gegen Diversity-, Equity- und Inclusion-Programme oftmals unbeachtet, dass Bewegungsakteur:innen nicht nur passive Umwelt sind, sondern aktiv, strategisch und von außen wie innen an der Schwächung oder dem Abbau solcher Programme mitwirken. Der Beitrag zeigt anhand von drei zentralen Modi und empirischen Beispielen, wie soziale Bewegungsakteur:innen auf Organisationen Einfluss üben, um Diversity zu bekämpfen:

(1) durch gezielte Kampagnen gegen Organisationen: Der konservative Aktivist Robby Starbuck lancierte eine medienwirksame Gegenoffensive gegen Walmarts DEI-Maßnahmen, wandte sich in offiziellen Schreiben direkt an die Konzernführung und stilisierte jede nachfolgende Programmänderung als einen Erfolg.

(2) durch die Gründung eigener Organisationen mit explizit anti-diversem Profil: Das Unternehmen „Patriot Mobile“ positioniert sich als „America's ONLY Christian Conservative Wireless Provider“. Gemeinsam mit Schulkomitees geht es gegen queere Inhalte und antirassistische Bildungsansätze vor.

(3) durch das Eindringen in bestehende Organisationen, etwa über strategische Postenbesetzungen: Dana White, der Chef der UFC, wird im Januar 2025 in den Vorstand von Meta (Facebook) berufen und verbreitet dort seine anti-woke Position.

Diese Betrachtung und Differenzierung macht deutlich, dass der Widerstand gegen Diversity in Organisationen nicht einfach einen reaktiven Moment darstellt, sondern vielmehr das Ergebnis strategisch geplanten Handelns verschiedener Bewegungsakteur:innen ist, die ihre Vorstellungen einer weißen, christlichen und heterosexuellen Gesellschaft institutionell verankern wollen.



 
Impressum · Kontaktadresse:
Datenschutzerklärung · Veranstaltung: DGS Kongress 2025
Conference Software: ConfTool Pro 2.8.106+TC+CC
© 2001–2025 by Dr. H. Weinreich, Hamburg, Germany