Die Berufsgruppe der Content Creator: Eine explorative Fallstudie auf YouTube
Aaron Philipp, Roland Verwiebe
University of Potsdam, Deutschland
In the last 20 years, the new occupational group of content creators (CCs) build an economy which could generate a market volume of $480 billion in 2027. Given the absence of formal educational requirements or specific language proficiency, the low entry barriers make this profession particularly attractive to young individuals. Qualitative interviews with CCs show that they are surrounded by complex digital hurdles and precarious working conditions fighting for attention and economic success. Despite the profession’s widespread popularity, only a small number of individuals dominate attention and generate the majority of economic revenue. However, little is known about the socio-structural composition of this professional field and if there are existing differences alongside platform metrics.
We are aiming to get a throughout understanding of the structural dynamics within the growing profession of CCs. Therefore, we integrate novel digital data sources, develop customized measurements and systematically supplement missing variables. Accordingly, we pose the following question: How is the composition of content creators shaped in terms of socio-structural characteristics and platform-related factors, and what distinct patterns emerge that contribute to potential inequalities?
Based on 115.000 YouTube channels in German-speaking countries we’re investigating their characteristics using digital trace data such as the number of subscribers or the potential earnings embedded in different topics. By implementing a standardised manually coded classification survey, we’re able to fill the lack of missing socio-structural variables in social media data and get insights in the age, gender, educational or racial composition for a random sample of 5000 content creators. Our results show that the topics Gaming and People & Blogs experienced the largest increase in YouTube channels, holding the highest share of under 20 years old and having the lowest average earnings across all topics. On the same time the topics account for the most channels with over 100k subscribers with male creators comprising up to 80% (Gaming) indicating a high gender disparity. Following this trend, a cluster analysis reveals that the occupational group of content creators consists mainly of hope labour and only a minor percentage can make a living from publishing content on social media.
Die sich wandelnde Methodenlandschaft der Soziologie: Wie computerbasierte Methoden mit Forschungsthemen und Theorien zusammenhängen.
Oliver Wieczorek1, Jan Fuhse2
1Universität Kassel, Germany; 2Universität Leipzig, Germany
Seit den 2000er-Jahren haben computergestützte Methoden, die ursprünglich in der Informatik – etwa in den Bereichen Künstliche Intelligenz, Information Retrieval und Natural Language Processing – entwickelt wurden, Einzug in die Sozialwissenschaften gehalten. Um diese Methoden herum sind die Computational Social Sciences entstanden, die ihrerseits eine Strahlkraft in die Soziologie hinein aufweisen. Dabei ist einerseits zu erwarten, dass diese Entwicklung die bereits bestehenden Gräben innerhalb der Soziologie vertieft hat, andererseits die Untersuchung neuer Forschungsgegenstände oder bestehender Fragestellungen aus neuen Perspektiven heraus ermöglicht.
Vor diesem Hintergrund geht der vorliegende Beitrag der Frage nach, inwieweit das Aufkommen von Methoden, die in den Computational Social Sciences verwendung finden, eine Verschiebung von Forschungsfeldern und theoretischen Ausrichtungen im soziologischen Diskurs ausgelöst hat.
Um diese Frage zu beantworten, werden mehr als 10.000 Artikel auf Absatzebene analysiert, die in allgemeinen Soziologiezeitschriften zwischen 2010 und 2024 publiziert wurden. Die Analyse erfolgt mithilfe eines Mixed-Methods-Ansatzes, bei dem erstens ein Deep Learning basiertes Topic Modeling Verfahren (BERTopic) verwendet wird, um die Themen aus den Artikeln zu extrahieren. Diese Themen werden sodann anhand typischer Textpassagen qualitativ interpretiert und darüber hinaus in eine Themenhierarchie gesetzt, welche auch die Analyse der zeitlichen Veränderung der Themenstrukturen ermöglicht. Im Anschluss hieran werden die interpretierten Themen mithilfe einer geometrischen Datenanalyse mit Autor*inneneigenschaften verknüpft und der sich ergebende Raum in mehrere Zeitfenster aufgeteilt. Auf diese Weise soll die Veränderung in den Zusammenhängen zwischen Themen, Methoden und Theorien innerhalb der Soziologie nachgezeichnet werden, die sich durch die Einführung neuer, zunächst nicht kanonisierter Methoden ergibt.
Digitale Spuren kulturellen Wandels: Zur Wiederbelebung der "Rauhnächte"
Nico Sonntag
Institut für Soziologie, Johannes Gutenberg-Universität, Deutschland
Der Beitrag beschreibt das Phänomen der „Rauhnächte“ als aktuelles Beispiel des religiös-kulturellen Wandels und zeigt exemplarisch auf, welches Potenzial in der Computational Social Science (CSS) zur Analyse solcher Prozesse liegt. Die „Rauhnächte“ umfassen volkskundlich einen Vorstellungskomplex, der mit häuslichen Ritualhandlungen und öffentlichem Brauchtum einherging. Während die traditionellen, oft öffentlichen Rituale zunehmend verschwunden sind, erleben die Rauhnächte in jüngerer Zeit eine spirituelle Wiederbelebung im deutschsprachigen Raum. Heute werden sie als individuell gestaltbare Rituale im Bereich der Esoterik und Selbsthilfe vermarktet
Unsere Mixed-Methods-Studie verbindet quantitative CSS-Methoden mit qualitativer Kontextualisierung und kombiniert dadurch eine quantitative Beschreibung aktuellen kulturellen Wandels mit einer Deutung der tiefergehenden kultureller Bedeutungsverschiebungen. Als Datengrundlage für die quantitativen Auswertungen dienen der Katalog der Deutschen Nationalbibliothek (DNB), Google Books Ngram sowie Google Trends. So lässt sich die Entwicklung des medialen Angebots (Publikationen) und der öffentlichen Nachfrage/Aufmerksamkeit (Suchverhalten) gleichzeitig analysieren.
Unsere Ergebnisse zeigen, dass seit 2007 sowohl die Zahl der Neuveröffentlichungen zum Thema „Rauhnächte“ als auch das öffentliche Interesse deutlich zugenommen haben. Auffällig ist eine Feminisierung der Autorenschaft sowie eine stärkere Nachfrage in Regionen mit geringer Kirchenbindung. Anhand eines inhaltlichen Vergleichs von sechs ausgewählten Büchern mit dem älteren Brauchtum und Volksglauben arbeiten wir Kontinuitäten und Wandel hinsichtlich Praktiken und Motiven heraus. Der Bezug zu den ursprünglichen Bräuchen schwächt sich über die Zeit ab und inhaltlich dominiert zunehmend eine freie Rekombination bereits zuvor populärer parareligiöser Vorstellungen.
Die Studie verdeutlicht, wie CSS aktuelle kulturelle Dynamiken sichtbar machen kann und skizziert Möglichkeiten für eine stärkere Integration qualitativer Perspektiven in computergestützte Analysen.
How can the social sciences benefit from knowledge graphs? A case study on using Wikidata and Wikipedia to examine the world’s billionaires
Daria Tisch1, Franziska Pradel2
1Max Planck Institute for the Study of Societies, Cologne; 2Technical University of Munich
This study examines the potentials of Wikidata and Wikipedia as knowledge graphs for the social sciences. The study demonstrates how social science research may benefit from these knowledge bases by examining what we can learn from Wikidata and Wikipedia about global billionaires (2010-2022). First, knowledge graphs provide human knowledge, which can be used to generate datasets informing about, for example, political, economic, and cultural elites or other notable people. Second, knowledge graphs provide linked (open) data that can be used to examine social networks of a different kind but also enable social scientists to connect different databases to enrich their research data. We show that the English Wikipedia and, to a lesser extent, Wikidata exhibit gender and nationality biased in the coverage and information about global billionaires. Using the genealogical information that Wikidata provides, we examine the family webs of billionaires and show that at least 15 percent of all billionaires have a family member also being a billionaire. We discuss the challenges and limitations of using Wikidata and Wikipedia for research purposes.
Verbreitung und Integration methodischer Ansätze in der soziologischen Forschung: Exemplarische Auswertungen auf der Basis automatisierter Textanalysen
Steffen Hillmert, Fabian Stöhr
Universität Tübingen, Deutschland
Die empirische soziologischen Forschung ist seit ihren Anfängen eng mit einem ausgeprägten reflexiven Methodendiskurs verbunden, der sich auch in stärker inhaltlich orientierten Arbeiten widerspiegelt. Die Anwendung konkreter Methoden in der empirischen Sozialforschung erfolgt allerdings nicht zwangsläufig im Rahmen einer systematischen Methodik. Und selbst wenn eine solche Methodik praktisch angewandt wird, wird sie nicht unbedingt mit einer bestimmten Bezeichnung versehen und explizit mit einer bestimmten Methodologie verbunden. Dennoch bekennen sich viele Studien in den Sozialwissenschaften ausdrücklich zu einem bestimmten methodischen Paradigma, sei es in Form globaler Attribute wie „quantitativ“ oder „qualitativ“, sei es in Form spezifischerer methodischer Ansätze. Dabei besteht ein typisches Spannungsverhältnis zwischen methodischer Spezialisierung und Integration, wobei letztere in den letzten Jahren nicht nur als Merkmal der Forschungspraxis, sondern unter dem Begriff „Mixed Methods“ auch als explizites Label populär geworden ist.
Gleichwohl ist vergleichsweise wenig darüber bekannt, wie sich unterschiedliche Methoden und Methodologien in der praktischen Forschung durchgesetzt, vernetzt und weiterentwickelt haben. Um diesbezüglich eine bessere empirische Grundlage zu schaffen, untersucht der Beitrag systematisch die Häufigkeit, Entwicklung und Integration verschiedener methodischer Ansätze in veröffentlichten soziologischen Forschungsarbeiten der letzten Jahrzehnte. Dabei stützen wir uns u.a. auf Analysen von Abstracts und Volltexten einer großen Anzahl soziologischer Zeitschriftenartikel mit Hilfe großer Sprachmodelle. Zudem berücksichtigen wir sowohl fachliche Schwerpunkte einzelner Artikel als auch entsprechende Merkmale von Fachzeitschriften. Im Hinblick auf die wissenschaftliche Wirkung der Forschungsarbeiten untersuchen wir (sub-)disziplinäre und interdisziplinäre Zitiermuster.
Gleichzeitig geben wir mit diesem Beitrag einen vergleichenden Einblick in die Möglichkeiten und Grenzen klassischer und neuerer Herangehensweisen aus Szientometrie, Bibliometrie und Computational Social Science bei der Analyse wissenschaftlicher Felder. Insbesondere sind wir an möglichen produktiven Verbindungen zwischen analytischen Techniken der Wissenschafts- und Diskursanalyse bzw. geeigneten Validierungen interessiert.
|