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AdH13: Cleavages in Transition – Aktuelle Dynamiken gesellschaftlicher Spaltung
Sitzungsthemen: Meine Vortragssprache ist Deutsch.
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Zusammenfassung der Sitzung | |
Alle Vorträge der Veranstaltung werden auf Deutsch gehalten. | |
Präsentationen | |
Ablauf Universität Bremen Zu den zentralen Prozessen des sozialen Wandels, die der Duisburger DGS-Kongress 2025 unter dem Stichwort der "Transitionen" diskutieren möchte, lassen sich die Verschiebungen gesellschaftlicher Spaltungslinien zählen, die ihren politischen Ausdruck nicht zuletzt im Aufstieg rechtspopulistischer Parteien und in „demokratischen Regressionen“ finden. Kontrovers wird dabei seit längerem die These diskutiert, dass sich im Zuge der Globalisierung eine neue transnationale „Cleavage“ herausbilde, die die älteren Cleavages (wie Arbeit vs. Kapitel oder Staat vs. Kirche) zunehmend überlagere. Während diese neue Cleavage in bereits zahlreichen Varianten (Kosmopolitismus vs. Kommunitarismus, Anywheres vs. Somewheres, GAL vs. TAN, etc.) diagnostiziert wurde, verharrt ihre empirische Erforschung noch weitgehend auf der Ebene abstrakter Vermessungen des politökonomischen Raums oder recht generischer Einstellungen der Bevölkerung. Gerade in jüngerer Zeit haben sich aber wichtige Weiterentwicklungen konzeptioneller und methodischer Grundlagen für eine konkretere und komplexere Analyse gesellschaftlicher Cleavages ergeben. Die Ad-Hoc-Gruppe versammelt neuere konzeptionelle und empirische Beiträge zur Frage der aktuellen Entwicklung gesellschaftlicher Konflikt- und Spaltungslinien und ihrer gruppenspezifischen und affektiven Verankerung in Deutschland und Europa. Dazu bringt sie Perspektiven aus Soziologie und Politikwissenschaft sowie unterschiedliche datenerhebende Forschungsverbünde (Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ), Mercator Forum Migration und Demokratie (MIDEM)) zusammen. Abschließend zu den jeweils 20minütigen Vortragsslots (Vortrag+Diskussion) ist eine offene Abschlussdiskussion vorgesehen, auf der gemeinsam mit den Beitragenden und Teilnehmenden konzeptionelle und methodische Perspektiven der Erforschung gesellschaftlicher Spaltungen diskutiert und weitergedacht werden sollen. Dynamiken gesellschaftlicher Spaltung - Längsschnittanalysen von Einstellungskonflikten Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt, Universität Bremen, Deutschland Wie in vielen westlichen Gesellschaften wird auch in Deutschland seit einiger Zeit intensiv über die Polarisierung der Gesellschaft diskutiert. Im Zentrum steht die These einer neuen Spaltungslinie („Cleavage“) zwischen einem ausgeprägt kosmopolitischen und einem erstarkenden rechtspopulistischen Milieu. Empirische Studien der letzten Jahre zeigen jedoch, dass sich der Großteil der Bevölkerung nicht konsistent in diesen beiden Einstellungslagern verorten lässt, auch wenn eine Mehrheit eher liberale und universalistische Werte teilt. Offen bleibt, wie sich die Einstellungen unter dem Eindruck der Polykrise der frühen 2020er-Jahre und der fortschreitenden Normalisierung rechtsextremer politischer Akteure verändert haben. Einerseits wird vor einer allgemeinen Verschiebung des politischen Diskurses nach rechts, hin zu nationalistischen und traditionellen Werten und weg von demokratischen Grundprinzipien, gewarnt. Diese Dynamik zeigt sich sehr deutlich in öffentlichen und politischen Debatten über Migration und soziale Sicherung. Andererseits könnte es aber auch sein, dass in den letzten Jahren schlicht beide Pole des Meinungsspektrums stärker geworden sind, ohne dass sich das Gesamtniveau grundlegend verschoben hätte – ein mögliches Indiz für eine wachsende Polarisierung in der Bevölkerung. Vor diesem Hintergrund fragen wir erstens, welche Dynamiken sich in der deutschen Gesellschaft in den letzten Jahren zwischen universalistisch-liberalen und traditionell-autoritären Einstellungen beobachten lassen. Zweitens untersuchen wir, inwieweit sich Einstellungen und sozioökonomische Ungleichheiten zunehmend überlagern. Dafür nutzen wir Längsschnittdaten des German Social Cohesion Panel für den Zeitraum 2021 bis 2023. Das Paneldesign ermöglicht es, die Dynamik der Einstellungen der Befragten im Zeitverlauf präzise zu analysieren. So können wir neben gesamtgesellschaftlichen Verschiebungen auch erkennen, bei welchen Personen und sozialen Gruppen sich besonders ausgeprägte intraindividuelle Einstellungsänderungen zeigen. Analysiert werden zentrale Einstellungen zu Idealen des Zusammenlebens, Universalismus und Traditionalismus, Anti-Elitismus sowie gesellschaftlicher Kohäsion. Different Colors of the Same Rainbow? Ideologische Polarisierung und Sozialstruktur geschlechterpolitischer Themen Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt, Goethe-Universität Frankfurt Kaum ein gesellschaftliches Thema hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten in westeuropäi-schen Demokratien einen ähnlich tiefgreifenden Wandel erfahren wie die öffentliche Meinung zu Geschlechtergleichstellung und sexueller Vielfalt. Umfragen belegen eine wachsende Zu-stimmung zu Frauenrechten, Geschlechtergleichstellung sowie zur sozialen und politischen Anerkennung der LGBTIQ+-Community. Diese Entwicklungen verweisen auf einen breiten normativen Wandel – weg von traditionellen Rollenvorstellungen hin zu mehr Inklusivität und Akzeptanz. Doch diese Entwicklung hat die politische Brisanz geschlechterbezogener Fragen keineswegs verringert – vielmehr sind Themen rund um Geschlecht und Sexualität wieder stärker ins Zent-rum politischer Auseinandersetzungen gerückt. Eine (Re)Politisierung zeigt sich besonders deutlich im Spannungsverhältnis zwischen rechtlicher Liberalisierung einerseits und einem wachsenden „Gender Backlash“ andererseits. Oberflächlich betrachtet scheinen geschlechterpolitische Debatten einem dichotomen Schema zu folgen, mit klar abgegrenzten progressiven und ablehnenden Lagern. Es bleibt jedoch un-klar, inwiefern die öffentliche Meinung dieses Muster tatsächlich widerspiegelt. Daten des German Social Cohesion Panels (2022) zeichnen ein nuancierteres Bild. Es gilt zunächst zwi-schen zwei Dimensionen zu unterscheiden: binary gender issues (Gleichstellung zwischen Frauen und Männern) und non-heteronormative gender issues (Anerkennung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt). Entgegen der Annahme stark antagonistischer Lagerbildung inner-halb der Dimension zeigt sich vielmehr eine Polarisierungstendenz zwischen diesen Dimensio-nen. Während bei Gleichstellungsfragen zwischen Frauen und Männern weitgehender Kon-sens besteht, sehen sich Themen sexueller und geschlechtlicher Vielfalt mit größerer Skepsis konfrontiert. Dabei zeigen die vorläufigen Ergebnisse keine allgemeine ideologische Polarisie-rung der öffentlichen Meinung, wohl aber lassen sich Tendenzen einer politischen Sortierung entlang einer Links-Rechts-Achse beobachten: Die Ablehnung beider Dimensionen ist unter AfD-Wählerinnen am stärksten ausgeprägt, während Anhängerinnen der LINKEN und Grü-nen die höchste Zustimmung zeigen. Sozialstrukturell betrachtet weisen Frauen, non-binäre/diverse Personen sowie jüngere Menschen zwischen 18 und 34 Jahren die höchsten Zustimmungsraten für beide Dimensionen auf. Die Erosion traditioneller Parteibindungen: Zur Neukonfiguration politischer Konfliktlinien in Deutschland Universität Bremen, Deutschland In den letzten Jahrzenten hat sich das Wahlverhalten in Deutschland stark verändert. Am eindrücklichsten zeigt sich dies im Fall des schwindenden Erfolgs der beiden (ehemaligen) Volksparteien, die bei der letzten Bundestagswahl zusammen nicht mehr als 45% erreicht haben. Vor diesem Hintergrund sollen mit Daten des ALLBUS 1980-2023 mögliche Ursachen für diese Veränderungen ergründet werde. Vorläufige Analysen deuten darauf hin, dass das Schrumpfen der Kernklientele der beiden Volksparteien (Religiöse bzw. Arbeiter:innen) keine entscheidende Rolle gespielt hat, sondern vielmehr ein verändertes Wahlverhalten dieser Gruppen entscheidend zu sein scheint. Während jüngere Kohorten von Religiösen eine geringere Affinität zur CDU aufweisen als ältere Kohorten von Religiösen, haben junge Arbeiter:innen eine schwächere Bindung zur SPD als ältere Kohorten von Arbeiter:innen. Einzig regelmäßige Einbindungen in Kirchengemeinden bzw. Gewerkschaftsmitgliedschaften sind dazu in der Lage die Entfremdung von den beiden Volksparteien abzumildern, wenngleich diese Formen sozialen Engagements selbst immer weiter abnehmen. Im Zuge des Bedeutungsverlusts der klassischen Cleavages (Arbeit vs. Kapital, Staat vs. Kirche) werden Wahlentscheidungen in Deutschland zunehmend durch Einstellungen zum Thema Migration strukturiert. Während es der SPD in früheren Jahrzehnten gelang Arbeiter:innen mit konservativen Migrationseinstellungen und progressiven Umverteilungseinstellungen zu mobilisieren, ist dies immer weniger der Fall – eine Entwicklung, die auch für die Linkspartei zu beobachten ist. Die Salienz unterschiedlicher Konfliktdimensionen hat damit einen großen Einfluss auf Muster politischer Mobilisierung und die Repolitisierung ökonomischer Ungleichheiten scheint die vielversprechendste Strategie für linke Parteien um verlorene Wähler:innen zurückzugewinnen. Cleavages und soziale Gruppen: Drei soziologische Studien Humboldt-Universität zu Berlin, Deutschland Der Vortrag stellt eine Forschungsagenda zur Gruppenebene von Cleavages vor. Komplementär zu den häufiger erforschten Ebenen des Parteiensystems und der sozialen Strukturierung von Elektoraten geht es bei dem "sociocultural", "group", "identity" oder "normative element" von Cleavages darum, ob und wie heutige Spaltungslinien in kollektiven Gruppenidentitäten verankert sind: Welche Wechselwirkungen ergeben sich zwischen neuen politischen Konfliktlinien wie der zwischen Rechtsradikalismus und Linksliberalismus und sozialen Prozessen der Gruppenbildung (etwa in Bezug auf Identifikation, Kategorisierung, Distinktion und symbolischen Grenzziehungen)? Wo bestehen Wahlverwandtschaften zwischen politischen Appeals und den Lebensführungstilen sozialer Gruppen, ihrem "Common Sense" und ihrer Alltagsmoral? Wie versuchen politische Unternehmer:innen soziokulturelle Gruppengrenzen "top down" zu etablieren und zu verschieben? Anhand dreier zum Zeitpunkt der Konferenz bereits publizierter Studien macht der Vortrag Vorschläge dazu, wie die Soziologie einen Beitrag zur Erforschung dieser Fragen leisten kann und plädiert für einen vertieften interdisziplinären Austausch zwischen Soziologie und Politikwissenschaft. Die drei vorgestellten Studien sind: - - Westheuser, Linus & Delia Zollinger (2025) Cleavage theory meets Bourdieu. Studying the role of group identities in cleavage formation", European Political Science Review 17(1): 110-127. https://doi.org/10.1017/s1755773924000249 - - Damhuis, Koen & Linus Westheuser (2024) Cleavage politics in ordinary reasoning. How common sense divides. European Societies 26(4): 1195–1231. doi: https://doi.org/10.1080/14616696.2023.2300641 - - Westheuser, Linus (im Erscheinen) Boundaries and cleavages. Elements of a cultural sociology of political divides. European Journal of Cultural and Political Sociology. Affektive Polarisierung und politische Kultur in Europa: Wie themenbezogene Freund-Feind-Zuschreibungen Demokratievertrauen und Zusammenhalt beeinträchtigen Forschungsprojekt MIDEM, Technische Universität Dresden Immer mehr Untersuchungen deuten darauf hin, dass sich die Bürgerinnen und Bürger in vielen westlichen Demokratien heute zunehmend feindselig gegenüberstehen. Politisch Andersdenkenden wird offenbar immer weniger Verständnis und Toleranz entgegengebracht, die Begegnung mit divergierenden Meinungen stattdessen als Bedrohung der eigenen Identität verstanden und mit Skepsis, Abwehr und Ausgrenzung quittiert. Obwohl diese, mit Begriffen wie 'affektive Polarisierung' umschriebene Entwicklung als ernsthafte Bedrohung für die liberale Demokratie gilt, sind ihre Ursachen, Begleiterscheinungen und Auswirkungen auf die politische Kultur und den gesellschaftlichen Zusammenhalt bislang nur unzureichend erforscht. Darüber hinaus haben sich bisherige Untersuchungen vorwiegend auf Parteien und parteipolitische Zugehörigkeiten als Quelle affektiver Polarisierungsdynamiken konzentriert, obwohl die jüngsten Krisen gezeigt haben, dass auch gegensätzliche Ansichten zu bestimmten Themen starke Freund-Feind-Zuschreibungen schaffen können. Meine Studie will einen Beitrag leisten, diese Lücke zu schließen, indem sie das Verhältnis von affektiver Polarisierung und demokratischen Einstellungen analysiert. Auf der Grundlage zweier Wellen von Umfragedaten, die im Herbst 2022 und im Frühjahr 2024 in acht EU-Mitgliedstaaten (Deutschland, Frankreich, Italien, Polen, Schweden, Spanien, Tschechische Republik und Ungarn) erhoben wurden, beschreibe und operationalisiere ich zunächst ein Konzept der affektiven Polarisierung, das die Präferenzen und Abneigungen zwischen Gruppen misst, die durch ihre Meinungen zu bestimmten politischen Themen wie Migration, Klimawandel und soziale Sicherheit definiert sind. Anschließend prüfe und vergleiche ich den Zusammenhang dieser themenbezogenen affektiven Polarisierung und den Einstellungen der Menschen zur Demokratie, einschließlich ihres Vertrauens in demokratische Institutionen, ihrer Neigung zu Populismus sowie ihrer Wahrnehmung von bürgerlicher Freiheit, Solidarität und Zusammenhalt. Damit trägt meine Studie sowohl zu einer verbesserten Methodik zur Messung affektiver Polarisierung als auch zu einem besseren Verständnis ihrer Folgen für demokratische Gesellschaften bei. |