Veranstaltungsprogramm

Sitzung
AdH12: Borders in Transition
Zeit:
Dienstag, 23.09.2025:
14:15 - 17:00

Chair der Sitzung: Annett Bochmann, Humboldt Universität zu Berlin
Chair der Sitzung: Ulla Connor, Universität des Saarlandes
Sitzungsthemen:
Meine Vortragssprache ist Deutsch., Meine Vortragssprache ist Englisch.

Zusammenfassung der Sitzung

Die Vorträge "The Autonomy of Citizenship – Learning from the appropriation of national ID cards in Malawi’s borderlands" und “Structural Asymmetries and Mobility Injustice in European Cross-Border Regions” werden auf Englisch gehalten. Alle anderen Vorträge der Veranstaltung sind auf Deutsch.


Präsentationen

„Grenzen werden Übergänge sein“. Transitionen als Gegenstand der Border Studies

Dominik Gerst

Universität Duisburg-Essen, Deutschland

Dass territoriale Grenzen nicht absolut sein können, gilt als gesicherte Erkenntnis der interdisziplinären Grenzforschung. Konsequenterweise haben sich die Border Studies seit ihrer Formierung in den 1980er Jahren mit vielfältigsten Transitionsphänomenen beschäftigt. Beschreibungen von Grenzüberschreitungen grundieren konzeptuelle Entwicklungen ebenso wie sozial- und kulturtheoretische Bezüge zu Bewegungen, Liminalitäten, Translationen, Durchlässigkeiten. Der Beitrag sortiert das Feld der Transitionen an, über, von und durch Grenzen und lotet das Potential für eine soziologische Grenzforschung von Ansätzen aus, die ‚das Transitive‘ als Merkmal der Grenze theoretisieren oder stabile Grenzverständnisse über den Bezug zu Transitionen herausfordern.



The Autonomy of Citizenship – Learning from the appropriation of national ID cards in Malawi’s borderlands

Stephan Scheel1, Magalasi Mufunanji2

1Leuphana Universität Lüneburg, Deutschland; 2University of Malawi, Malawi

In the past two decades there has been an ongoing debate in critical border and migration studies about the political merit of citizenship. Some argue that both the scope and variety of rights citizenship has to offer, have gradually expanded over the past 100 years, often driven by struggles of subjugated subjects. Scholars sharing this position thus view citizenship as a vehicle for radical, democratic politics (e.g. Balibar 1996, 2003; Isin 2009; McNevin 2006; Nyers 2010). Others criticize this strategy as counter-productive and doomed to fail from the outset. They understand citizenship primarily as the building-block of national belonging and the state’s claim to sovereign power, and thus conclude that citizenship cannot be freed of its exclusionary and oppressive dimensions (e.g. De Genova 2010; Mezzadra 2015; Papadopoulos and Tsianos 2013). This paper seeks to contribute to this debate through research on the build-up and negotiation of national ID systems in Malawi’s borderlands. Malawi is often described as a landlocked country in Southern Africa whose borders have been drawn by former British colonial rule. One implication of this colonial legacy is that communities in Malawi’s border regions have strong economic, social and cultural ties to people and places on the other side of the border. Practices like cross-border marriages, growing crops or using schools and health facilities on the other side of the border as well as a flourishing informal cross-border trade resemble customized ways of making a living in these border regions. However, in recent years Malawi and neighboring Mozambique, Tanzania and Zambia have all introduced biometric national ID cards linked to centralized databases. These digital ID systems have often been developed with support of the World Bank’s ID4D (Identification for Development) campaign. Since these ID-systems allow officials, most notably border guards and police officers, to discriminate between citizens and non-citizens, local communities’ existing modes of living on both sides of the border are in jeopardy. In response, some people in Malawi’s border regions have acquired national ID cards from both nation-states sharing the border in the region they live. Based on research in Southern, Central and Northern Malawi, we understand this appropriation of national ID-cards as an expression of what we call the autonomy of citizenship.



Antizipieren, Klassifizieren, Kontrollieren – Zur prädiktiven Logik algorithmischer Grenzregime

Josef Barla

Goethe-Universität Frankfurt, Deutschland

Den Ausgangspunkt des Vortrags bildet die Beobachtung, dass Grenzen zunehmend als komplexe soziotechnische Assemblagen fungieren, in denen algorithmische Systeme zur antizipativen Steuerung von Bewegungen, Körpern und Daten eingesetzt werden. Grenzen operieren in diesem Sinne nicht mehr primär reaktiv, sondern zunehmend präemptiv: Sie greifen voraus, projizieren Risiken in die Zukunft und verändern das Gegenwärtige im Namen einer vermeintlich sicheren Zukunft. Vor diesem Hintergrund wird der Vortrag Grenzen als „Technologien der Antizipation“ in den Blick nehmen – das heißt als sozio-materielle Praktiken spekulativer Prognose und antizipatorischer Logik, die Subjekte nicht nur verwalten, sondern als potenzielle Risiken klassifizieren. Wie gezeigt werden wird, verschiebt sich der Fokus mit dieser algorithmischen Wende darauf, wer wann und wo migrieren könnte. Die entsprechenden Technologien versprechen, Migrationsbewegungen vorherzusagen und zu steuern, noch bevor sie überhaupt stattfinden. Damit drohen sie nicht nur ein weiteres, sondern ein potenziell totalisierendes Regime präemptiver Kontrolle zu etablieren. Diese neuen Formen algorithmischer Grenzkontrolle gehen zugleich mit einer Transformation von Subjektivität einher: Das kohärente Subjekt wird in fragmentierte Datenpunkte zerlegt, die durch maschinelles Lernen, prädiktive Analytik und Risikobewertungssysteme neu zusammengesetzt werden. Diese Prozesse der Verdatung verschieben die Entscheidungsgewalt zunehmend auf automatisierte Infrastrukturen und untergraben zugleich die Möglichkeit, als politisches Subjekt sichtbar zu werden. Vor dem Hintergrund dieser Analyse schlägt der Vortrag schließlich – im Anschluss an Édouard Glissants Poetik der Relation – „Opazität“ als eine epistemologisch-politische Geste gegen Regime des Sehens, Verdatens und Kontrollierens im Kontext von Grenzregimen vor. Opazität steht dabei nicht nur für ein Recht auf Undurchsichtigkeit, sondern formuliert zugleich eine radikale Absage an die dividualisierenden Operationen algorithmischer Grenzregime. Als Gegenfigur zur algorithmischen Kontrolle verweigert sich Opazität der Transparenzforderung und eröffnet alternative Modi relationalen Seins, die sich der Reduktion auf Datenprofile und antizipative Kategorisierungen entziehen.



Zivile Seenotrettung und die Transformation des mediterranen Grenzraums

Lena Laube

Universität Bonn, Deutschland

Neben der Externalisierung von Grenzen sind derzeit zwei Transformationsprozesse territorialer Grenzen bestimmend geworden: die als „neue Härte“ (Kohlenberger 2024) bezeichnete gewaltsame Strategie der Fortifizierung und Abschreckung gegenüber unerwünschten Grenzübertritten sowie die Beteiligung ziviler, teils humanitärer, Akteure an dem grenzpolitischen Geschehen (Pallister-Wilkins 2022). Der Beitrag interessiert sich speziell für die Rolle der zivilen Seenotrettung im mediterranen Grenzraum und nutzt diesen Fokus, um zu diskutieren wie die genannten Transformationsprozesse zusammenhängen. Die Seenotrettungsorganisationen erscheinen als dritter Akteur, neben Grenzagenturen und mobilen Personen. Mit Rückgriff auf Ansätze der Assemblageforschung sowie der kritischen Grenzregimeanalyse zeigt der Beitrag auf, warum sich SAR NGOs nicht auf ihren humanitären Einsatz reduzieren lassen, sondern durch ein weites Spektrum an Tätigkeiten Prozesse an EU-Außengrenzen aktiv beeinflussen: Durch ihre Kritik an der EU-Grenzpolitik, das direkte Intervenieren bei Seenotfällen, die Dokumentation des Geschehens sowie die Mobilisierung der Zivilgesellschaft mit dem Anliegen das Sterben(lassen) im Mittelmeer zu beenden (Laube/Ullrich 2023). Dabei wird auf Basis des empirischen Projekts ZivDem („Zivile Seenotrettung als Kristallisationspunkt des Streits um Demokratie“) dargelegt, dass sich die Rolle der zivilen Seenotrettung seit ihrem Aufkommen 2014/2015 in einem Prozess stetigen Wandels befindet, weil sie ein Produkt ungelöster politischer Konflikte über nationale Souveränitätsansprüche auf Grenzkontrolle angesichts grenzüberschreitende Mobilität in der Weltgesellschaft ist.



Structural Asymmetries and Mobility Injustice in European Cross-Border Regions

Elifcan Karacan

University of Twente, Netherlands, The

Cross-border commuting in Europe embodies the ideal of a mobile, integrated continent. Yet, particularly in times of crisis, the deep-seated asymmetries that hinder mobility across borders become more visible. This presentation argues that structural inequalities significantly shape cross-border labor mobility, highlighting the dual vulnerabilities faced by commuters by “immobility” policies implemented during crises such as the pandemic. Drawing on in-depth interviews with both commuters and institutional experts from selected European border regions—including the German-Polish, German-Dutch, and German-Luxembourgian borders—this study explores how legal frameworks, wage differentials, and uneven infrastructure reinforce systemic disadvantages. The concept of “dual vulnerability” is used to demonstrate the compound risks commuters face: exposure to external shocks, such as sudden policy shifts on the re/and de-bordering, and internal limitations on coping strategies. While territorial actors and commuters often demonstrate significant agency to cope with rapid policy changes, their efforts may end up with new vulnerabilities emerged. By analyzing these mobility dynamics through the lens of power, structure, and agency, this presentation contributes to the discourse on mobility justice. It argues that addressing commuter vulnerability requires not only policy harmonization but a critical interrogation of the systemic inequalities embedded in Europe's mobility regimes.



Ungewissen Grenzräumen ausgesetzt sein: Die Soziomaterialität und Semiotik europäischer (Energie-)Grenzräume

Kamil Bembnista

Luxembourg Institute of Socio-Economic Research (LISER), Luxembourg

Als Reaktion auf die vielfältigen Krisen, die Staaten in den letzten Jahren bewältigen mussten, haben nationale Alleingänge zugenommen. Vielversprechende Narrative wie die europäische Energiesolidarität sind selten geworden, insbesondere seit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine. Ein Vergleich zwischen den Energiestrategien Deutschlands und Polens, insbesondere im Grenzraum, ist ein vielversprechendes Forschungsfeld. Während Deutschland auf erneuerbare Energien setzt, hält Polen weiterhin an der Kohle fest und baut Kernkraftwerke. Die Umsetzung dieser Strategien, die sowohl den Aufbau der Infrastruktur als auch die Berücksichtigung von Grenzsemiotik und Soziomaterialitäten wie Diskurse über Transformationsprozesse umfasst, bezeichnen wir als Energie-Dispositive. Nationale Strategien stehen jedoch auch grenzüberschreitenden Initiativen gegenüber, wie beispielsweise dem Aufbau von Fernwärmenetzen zwischen Partnerstädten. In den Forschungsprojekten Energy Borderlands und BOMIOTICS konnten wir anhand der Analyse von Diskursen, Soziosemiotik und Materialitäten zu Transformationsstrategien im polnisch-deutschen Grenzgebiet zeitliche und räumliche Aspekte von Grenzpraktiken als Akte der Enthüllung näher beleuchten. Wir nähern uns damit der Frage, welchen sozio-materiellen Grenzen Akteure im Grenzgebiet ausgesetzt sind. Inwieweit werden nationale Energiestrategien genutzt oder bewusst umgangen? Zu diesem Zweck haben wir eine Fokusgruppendiskussion mit Teilnehmern aus verschiedenen Disziplinen und Mediendiskurse aus regionalen Zeitungen analysiert. Ziel des Vortrags ist es, eine fallübergreifende Reflexion anzuregen und Ansätze für Anpassungen im Bereich der ortsbezogenen grenzüberschreitenden Energieerzeugung zu entwickeln.