Selbständige Erwerbsarbeit im digitalen Zeitalter: Unternehmer, Petite Bourgeoisie und selbständige Tagelöhner in der Gig Ökonomie
Dieter Bögenhold
Universität Klagenfurt, Österreich
Der herkömmliche Diskurs über die berufliche Selbstständigkeit ist unbefriedigend, da die Heterogenität der Selbstständigkeit nicht ausdrücklich erkannt und thematisiert wird. Die Interpretationen beziehen sich in der Regel auf einen Durchschnittstyp von Selbständigkeit, der in der Praxis nicht existiert, und die Diskussionen sind sich der Probleme von Kohärenzen, Grenzen und Überschneidungen nicht bewusst. Dagegen zeigt dieser Beitrag, dass eine differenzierte Betrachtung notwendig ist, die historische Entwicklungen ebenso einbezieht wie heutige Dynamiken. Ausgangspunkt der Analyse ist die Entwicklung der Selbständigkeit im 20. Jahrhundert, insbesondere vor dem Hintergrund technologischer Fortschritte und der stetig zunehmenden Digitalisierung. In einem nächsten Schritt werden die Muster der Selbständigkeit in verschiedenen Dimensionen untersucht. Insbesondere die spezifischen Formen der Solo-Selbstständigkeit, des hybriden Unternehmertums und die Selbstständigkeit im digitalen Zeitalter werden als spezielle Themen betrachtet, die gesondert beleuchtet werden. Während häufig berufliche Selbständigkeit umstandslos mit dem Unternehmertum gleichgesetzt wird, zeigen sich häufig auch abweichende Semantiken. Seit den 1980er Jahren tauchte zunehmend der Begriff der „Petite Bourgeoisie“ (Bechhofer und Elliot 1978, 1985, Aldrich, Zimmer und Jones 1986) auf, später dann der der Solo-Selbständigkeit. Freiberufler als Teil der Selbständigkeit wurden in gesonderten Studien zum Thema. Im Zusammenhang mit sozialen Mustern der Prekarität waren es auch die arbeitnehmerähnlichen Selbständigen, die im Fokus der sozialen und arbeitsrechtlichen Diskussionen waren. Insgesamt wird die enorme wirtschaftliche und soziale Heterogenität deutlich, die sich hinter der begrifflichen Etikette der beruflichen Selbständigkeit versteckt. Der Terminus der Gig-Ökonomie steht gerade für solche Formen der unsteten Beschäftigungskontrakte. Abschließend werden neue Forschungsfelder aufgezeigt, die vor allem in Verbindung mit den Verschiebungen der Wirtschaft und ihrer Arbeitsmärkte entstehen. Letztlich zeigt sich, dass die Diskurse und deren Semantiken sich in den letzten Jahrzehnten stetig verändert haben und neue Überschriften kreiiert wurden, die teilweise dieselben Dinge abdeckten.
Bin ich solo-selbstständig – und wenn ja, wie viele?
Cosima Langer, Katrin Mauch
ArbeitGestalten GmbH, Deutschland
Die Vielfalt selbstständiger Erwerbsformen prägt die gegenwärtige Arbeitswelt – von hochspezialisierten Freiberufler:innen bis hin zu nebenberuflich Solo-Selbstständigen, die über digitale Plattformen tätig sind. Um diese Vielfalt empirisch abzubilden und regulatorische Problemlagen zu identifizieren, bedarf es einer verlässlichen Datengrundlage. Doch genau hier liegt eine zentrale Herausforderung: Wie dieser Beitrag zeigt, wird selbstständige Erwerbstätigkeit, insbesondere Solo-Selbstständigkeit, in der Arbeitsmarktberichterstattung nur unzureichend erfasst. Gleichzeitig ist die politische Regulierung im Arbeits-, Sozial- und Steuerrecht durch Ausnahmen und Inkonsistenzen geprägt, was zu einem wechselseitigen Zusammenspiel von Erfassungslücken und fragmentierter Regulierung führt. Der Beitrag analysiert diese Zusammenhänge detailliert und zeigt, dass aktuelle Entwicklungen – wie die Integration der International Classification of Status in Employment 2018 in den Mikrozensus (ab 2026) eine präzisere Erfassung ermöglichen können. Es ist zu erwarten, dass sich bestimmte Aspekte der Solo-Selbstständigkeit in Deutschland durch diese Änderungen besser erfassen lassen, allerdings wird die Grundgesamtheit der Solo-Selbstständigen weiterhin unklar bleiben. Eine verbesserte Datengrundlage ist dementsprechend nicht allein methodisch umsetzbar, da diese wechselseitig auf die politische Regulierung selbstständiger Erwerbsformen bezogen ist.
Die soziale Sicherung Selbstständiger – zwischen Solidargemeinschaft und Eigenverantwortung
Karin Schulze Buschoff, Eileen Peters
WSI/ HBS, Deutschland
Selbstständige werden durch das Sozialversicherungsrecht bislang in Deutschland nur unsystematisch erfasst. In der Mehrzahl unterliegen sie keiner gesetzlichen Verpflichtung zur Altersvorsorge. Dabei herrscht weitestgehend politischer Konsens darüber, dass eine verpflichtende Altersvorsorge für alle Selbstständigen eingeführt werden sollte. Wie die Selbstständigen selbst zu dieser Forderung stehen, ist eine zentrale Fragestellung unseres Beitrags. Konkret analysieren wir, ob Selbstständige für den Gedanken an eine Erwerbstätigenversicherung zu gewinnen sind, die alle Erwerbstätigen – also auch alle Selbstständigen – einbezieht. Weiterhin gehen wir der Frage nach, inwiefern die Art der Selbstständigkeit (solo-selbstständig vs. selbstständig mit Mitarbeiter:innen), die individuelle Einschätzung der eigenen Altersvorsorge sowie das Einkommen die Einstellung gegenüber einer Erwerbstätigenversicherung beeinflussen.
Unsere Analysen auf der Basis der WSI-Erwerbspersonenbefragung (Welle 11, Oktober 2023) zeigen eine deutliche Zustimmung der Selbstständigen zur Erwerbstätigenversicherung. Dabei gilt: Je größer die Schutzbedürftigkeit der Selbstständigen (gemessen an ihrem monatlichen Nettoeinkommen aus selbstständiger Tätigkeit), desto eher wird der Schutz durch die Solidargemeinschaft der Versicherten befürwortet und der Erwerbstätigenversicherung zugestimmt. Allerdings ist die Zustimmung auch unter besserverdienenden Selbstständigen und Selbstständigen mit Mitarbeiter:innen hoch. Es zeigt sich demnach: Das Selbstverständnis der Selbstständigen, das durch Begriffe wie Selbstverwirklichung und Eigenverantwortung beschrieben werden kann, steht nicht im Widerspruch zu dem Wunsch nach einer Absicherung durch die Solidargemeinschaft der Versicherten bzw. einer Rentenversicherungspflicht in der staatlichen Rentenversicherung.
Zwischen Plattformabhängigkeit und Marktgestaltung: Einblicke in das Erwerbshandeln selbstständiger Content Creators auf Social-Media-Plattformen
Fabian Beckmann1, Fabian Hoose1,2, Sophie Rosenbohm1
1Universität Duisburg-Essen, Deutschland; 2Ruhr-Universität Bochum
Digitale Plattformen lassen neue Formen selbstständiger Erwerbsarbeit entstehen. Ein Feld für solcherlei Selbstständigkeit ist die Creator Economy, in der Content Creators Inhalte über Social-Media-Plattformen distribuieren und monetarisieren. Den von Internet-Konzernen betriebenen Plattformen kommt hierbei eine zentrale Stellung zu: Auf der einen Seite eröffnen sie den Content Creators den notwendigen Zugang zu ihren Zuschauer:innen. Auf der anderen Seite steuern die Plattformunternehmen den Marktzugang und legen algorithmisch unterstützt fest, welche Inhalte ausgespielt und in welcher Form sie monetarisiert werden können. Damit strukturieren sie maßgeblich die Erwerbsbedingungen der Creators und verlängern die für alle Selbstständigen konstitutive Markt- in eine Plattformabhängigkeit.
Vor dem Hintergrund dieser plattformzentrierten Marktstrukturen richtet der Beitrag den Fokus auf das marktbezogene Erwerbshandeln von Content Creators. Wir zeigen, wie Creators versuchen, marktinduzierte Risiken zu bewältigen – etwa durch Plattform- und Einkommensdiversifizierung, Datenanalysen, Netzwerk- und Community-Building. Dabei richten sich nicht nur an den Logiken der Plattformen aus, sondern beziehen auch andere Marktakteure wie werbetreibende Unternehmen oder die eigene Community ein. Vor diesem Hintergrund diskutieren wir die Rolle der Creators als marktgestaltende Akteure. So liefert unsere Untersuchung empirisch gesättigte Hinweise darauf, wie Content Creators sich mit den Marktstrukturen arrangieren, hierauf in ihrem Handeln Bezug nehmen und dieses Handeln wiederum auf das Handeln der anderen Marktakteure und mittelbar auch auf die Marktstrukturen rückwirkt.
Anerkennung solo-selbstständiger Arbeit. Am Beispiel klassischer Musik
Anne Röwer
INPUT Consulting gGmbH, Deutschland
Bei allen Wandlungsprozessen der Arbeitsgesellschaft, vollziehen sich gesellschaftliche Integration und Statuszuweisung nach wie vor wesentlich über die Anerkennung von Arbeit. Durch eine anerkennungstheoretische Perspektive auf solo-selbstständige Arbeit können die in der Selbstständigen Forschung vielfach konstatierten Anerkennungsdefizite, insbesondere hinsichtlich der zentralen Fragen der Honorare und sozialen Absicherung theoretisch präziser bestimmt werden. Dabei nutzt ein anerkennungstheoretischer Ansatz in Verbindung mit einer qualitativen Methode, das analytische Potenzial subjektiver (Nicht-)Anerkennungserfahrungen, um normative Muster, die sich in strukturellen Bedingungen und sozialen Praktiken äußern, freizulegen und zu gesellschaftlichen Prinzipien in Bezug zu setzen.
Der Fokus des Beitrags liegt auf der symbolischen wie materiellen (Nicht-)Wertschätzung solo-selbstständiger Arbeit. Auf der Grundlage von Interviews mit Vertreter*innen von Interessenorganisationen und freischaffenden Musiker*innen wird am Fallbeispiel der klassischen Musik die Ambivalenz zwischen dem Versprechen auf soziale Wertschätzung im Modus der Bewunderung für Ergebnisse und Erfolge bei gleichzeitigem Mangel an Würdigung des dafür erforderlichen Aufwands deutlich: Musik wird als Kunst anerkannt, aber als Arbeit verkannt. Im Kern werden statusspezifische Leistungen nicht anerkannt. Diese statusspezifischen Arbeiten resultieren aus der Verfassung der Erwerbsform und sind konstitutiv für die Aufrechterhaltung des Erwerbsstatus sowie Vorbedingung für die praktische Berufsausübung. Dieser Widerspruch zwischen dem normativen Anerkennungsversprechen der Leistungsnorm und der Praxis sozialer Wertschätzung ist kennzeichnend für den Status solo-selbstständiger Arbeit in der Gegenwartsgesellschaft. Er gründet in der praktischen Anwendung des Leistungsprinzips: Weil dieses, statt über die spezifischen Merkmale der Solo-Selbstständigkeit, durch überkommene Normalvorstellungen vom Normalarbeitsverhältnis und Normalunternehmertum informiert ist, wird es in der Praxis blind für die statusspezifischen Leistungen und löst das normative Versprechen auf soziale Wertschätzung für die solo-selbstständige Arbeit nicht bzw. nur sehr bedingt ein.
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