Veranstaltungsprogramm

Sitzung
AdH4: Algorithmen, künstliche Intelligenz und die Neustrukturierungen des Arbeitsmarktes
Zeit:
Freitag, 26.09.2025:
9:00 - 11:45

Chair der Sitzung: Roland Verwiebe
Chair der Sitzung: Sarah Weißmann, Universität Potsdam
Chair der Sitzung: Aaron Philipp, University of Potsdam
Sitzungsthemen:
Meine Vortragssprache ist Deutsch.

Zusammenfassung der Sitzung

Alle Vorträge der Veranstaltung werden auf Deutsch gehalten.


Präsentationen

Arbeiten zwischen Autonomie und Algorithmus: Ein Blick auf Plattformabhängigkeit und Prekaritätsrisiken von Content Creators

Sophie Rosenbohm1, Fabian Hoose1,2

1Universität Duisburg-Essen, Deutschland; 2Ruhr-Universität Bochum, Deutschland

Der digitale Wandel transformiert nicht nur bestehende Arbeitsverhältnisse, sondern bringt neue Formen digitaler Erwerbsarbeit hervor, deren Charakteristika sich im Feld der Content Creation besonders deutlich zeigen. Plattformen wie YouTube, Instagram, TikTok oder Twitch stellen Content Creators eine ‚ready-to-use‘-Infrastruktur zur Verfügung, mit der Inhalte bearbeitet, distribuiert sowie monetarisiert werden können. Diese Plattformen befinden sich im Besitz großer Internetkonzerne, die über algorithmische Kuratierung Sichtbarkeit kontrollieren und bestimmen, wer Zugang zu den Plattformen erhält. Gleichzeitig greifen traditionelle arbeits- und sozialrechtliche Schutzmechanismen kaum, da Content Creation typischerweise als selbstständige Erwerbsarbeit organisiert ist.

Vor diesem Hintergrund untersuchen wir, wie Content Creators ihre Erwerbs- und Arbeitsbedingungen subjektiv wahrnehmen, wie ihre Arbeitsprozesse und Einkommensstrukturen durch Plattformlogiken und Algorithmen strukturiert werden und welche Unsicherheiten damit verbunden sind. Hieran anknüpfend thematisiert der Beitrag Regulierungsbedarfe und -ansätze zur sozialen Absicherung.

Die empirische Grundlage bilden 29 leitfadengestützte Interviews mit Content Creators in Deutschland, ergänzt durch 11 Expert:inneninterviews, die im Rahmen dreier Forschungsprojekte erhoben wurden. Wie unsere Analyse zeigt, bewegt sich die Arbeit von Content Creators in einem Spannungsfeld zwischen unternehmerischer Selbstständigkeit und kreativer Autonomie auf der einen Seite sowie strukturellen Abhängigkeiten von algorithmisch gesteuerten Plattformen und oftmals intransparenten Monetarisierungsmechanismen auf der anderen. Trotz geteilter Herausforderungen – etwa dem Druck zur ständigen Präsenz und Selbstoptimierung – zeigen sich Unterschiede zwischen den Creators: Während einige durch hohe Reichweiten, Agenturvertretung und exklusive Werbedeals stabile Einkommen erzielen, bleiben andere trotz hohem Arbeitsaufwand auf unregelmäßige Plattformzahlungen angewiesen, woraus unterschiedliche Prekaritätsrisiken und Regulierungsbedarfe – wie bspw. den Einbezug in die Künstlersozialversicherung – erwachsen. Dabei zeigen sich auch Verschränkungen mit Faktoren wie Geschlecht, Bildung oder verfolgtem thematischen Fokus, die sich auf algorithmisch gesteuerte Reichweiten, Sichtbarkeit und Monetarisierungschancen auswirken.



Gender Pay Gap among Content Creators on YouTube

Sarah Weißmann

Universität Potsdam, Deutschland

Despite improvements in pay equity between men and women in recent decades, the gender pay gap (GPG) persists. Research suggests several explanations for these differences: occupational segregation (Busch, 2020), job position in the life course (Meara et al., 2020), and workforce interruptions (Blau & Kahn, 2017). We know, however, little about the extent of and the mechanisms contributing to the GPG in the digital sphere, particularly regarding the new group of algorithm-dependent occupations on digital platforms.

Evidence suggests that the GPG for digital work on some platforms (e.g., Instagram, Uber) is smaller than in many established ”offline” occupations but cannot fully be mitigated through increased job flexibility or algorithmic curation (Cook et al., 2020; Gaenssle, 2024). However, there has been no systematic GPG study among content creators (CCs) on YouTube. This paper fills this gap by answering the following research question: Is there a GPG among content creators on YouTube across topics? What are the decisive factors enforcing or diminishing the GPG on that platform?

The study employs the Duncan-Duncan segregation index, multivariate regressions, and matching analyses (Meara et al., 2020). Empirically, we use a random sample of N=4,000 CCs from German-speaking countries and add socio-structural characteristics using a standardized classification survey. The average monthly earnings from the YouTube Partner Program is our dependent variable. First results show a strong inequality of earnings on YouTube (Gini: 86,6) and a gender separation between channel topics. Regression and matching analyses indicate a GPG, but favorable earnings of women in topics like gaming.



Disruption oder Transition? KI und die Neustrukturierung juristischen Arbeitens

Jan Nguyen, Markus Tünte

Ruhr-Universität Bochum, Deutschland

Die soziologische Forschung zur Digitalisierung in der Arbeitswelt nahm bislang verschiedene Formen und Sphären von Erwerbsarbeit in den Blick: Lag der Fokus zunächst auf geringqualifizierte Beschäftigungsgruppen, werden in jüngerer Zeit zunehmend auch Dienstleistungs- sowie Wissensarbeit und Professionen wie die Medizin betrachtet. Als Forschungsfeld ist die Digitalisierung des Rechtssystems und der Rechtsberufe durch einen hohen Grad an rechtlicher und professioneller Regulierung gekennzeichnet. Hier wird Digitalisierung vor allem unter dem Begriff „Legal Technologies“ diskutiert. Diese umfassen bspw. Software, Online-Dienste und Rechtsgeneratoren, die juristische Arbeitsprozesse unterstützen oder teilweise ersetzen. Mit dem Aufkommen neuer Plattformen für Rechtsdienstleistungen (z.B. zur Einforderung von Fluggastrechten) und neuer KI-Technologien (z.B. LLMs bei ChatGPT) stellt sich die Frage, inwieweit solche Entwicklungen Einschnitte in Standards juristischen Arbeitens darstellen und juristische Berufsbilder beeinflussen.

Auf Basis leitfadengestützter Interviews mit Kanzleien, Legal Tech-Unternehmen, Gerichten und juristischen Berufsverbänden wird in zwei aktuellen Forschungsprojekten untersucht, inwieweit Digitalisierung und KI ins juristische Arbeiten eingreifen, es zur Neustrukturierung professioneller Standards kommt und sich neue Formen digitaler Arbeit herausbilden. Wir argumentieren, dass die digitale Transformation in der juristischen Profession keinen disruptiven Wandel darstellt, sondern es sich eher um inkrementelle Veränderungen bzw. Restrukturierungen handelt: Kernbereiche juristischen Arbeitens werden in Teilen durch die Integration von Technik geschärft, wodurch arbeitsbezogene Freiräume geschaffen werden. Gleichzeitig werden Randbereiche juristischen Arbeitens verändert oder schrittweise substituiert und etablierte Praktiken teilweise in Frage gestellt. Insbesondere finden wir Anzeichen für eine Substitution von Recherchetätigkeiten durch KI-Tools. In der Zusammenführung arbeits-, professions- und techniksoziologischer Perspektiven auf Veränderungen im Bereich der Rechtsberufe werden Transitionen im Feld professioneller Arbeit und Berufe sichtbar, die über bisher beschriebene Dynamiken der Digitalisierung abhängiger gering- und mittelqualifizierter Arbeit hinausgehen.



Organisationale Einflussfaktoren auf die Technologieakzeptanz der Beschäftigten

Martina Maas, Wenzel Matiaske

Helmut-Schmidt-Universität, Deutschland

Die Gesellschaft befindet sich mitten einer digitalen Transformation. In Betrieben werden dabei nicht nur einzelne Technologien wie Robotik eingesetzt, sondern häufig ein breites Spektrum an Digitalisierungstechnologien, darunter auch künstliche Intelligenz und virtuelle Realität. Ob diese digitale Transformation gelingt, hängt entscheidend von den Mitgliedern einer Organisation ab, die über Akzeptanz oder Widerstand gegenüber diesen Technologien – etwa KI-basierten Systemen – mitentscheiden (Nicolás-Agustín et al. 2022).

Bisherige Untersuchungen auf der Ebene der Beschäftigten zeigen in diesem Zusammenhang, dass die Akzeptanz der Beschäftigten vor allem von der Nützlichkeit und der Benutzerfreundlichkeit abhängt (Davis, Bagozzi & Warshaw 1989; Venkatesh & Davis 2000). Wichtig sind außerdem individuelle Merkmale wie „Offenheit“ und „Technologieaffinität“ (Lichtenthaler 2020; Pfaffinger et al. 2020). Seltener untersucht wurden bislang die organisationalen Rahmenbedingungen für die Akzeptanz und Bereitschaft der Beschäftigten Digitalisierungstechnologien zu nutzen.

In diesem Beitrag wollen wir daher die Bedeutung organisationaler Einflüsse für die Technologieakzeptanz genauer untersuchen. Dabei stehen nicht ausschließlich KI-gestützte Systeme im Fokus, sondern ein breites Spektrum an Digitalisierungstechnologien, das von Robotik bis hin zur virtuellen Realität reicht. Eine besondere Rolle erhält in unserer Untersuchung das Arbeitsumfeld der Beschäftigten. Die Datenbasis für die Untersuchung stellen zwei Betriebsbefragungen in Deutschland aus dem Projekt SOEP-LEE2 dar (Matiaske et al. 2024). Der Datensatz umfasst 2.232 Betriebe.

Die Ergebnisse dieser Untersuchung zeigen, dass die Technologieakzeptanz der Beschäftigten weniger von der eingesetzten Technologie selbst, sondern stärker von den organisationalen Rahmenbedingungen wie der Personalsituation und den konkreten Einsatzgebieten abhängt. In Bezug auf die allgemeine Personalsituation zeigt sich u. a., dass Akzeptanzprobleme wahrscheinlicher werden, wenn die Beschäftigten älter sind und wenn die Arbeitsmotivation der Beschäftigten insgesamt im Betrieb eher schlecht ist. Probleme entstehen auch, wenn die Technologien zur Kontrolle der Beschäftigten einsetzt werden, zu einem hohen Weiterbildungsbedarf und einer starken Abhängigkeit von externen Dienstleistern führen.



Der Reverse Mechanical Turk!? Zur Maskierung von KI als Partner in der individualisierten digitalen Modeberatung

Paul Eisewicht

Universität Münster, Deutschland

Digitalisierungsprozesse haben tiefgreifende Veränderungsprozesse in allen gesellschaftlichen Bereichen angestoßen - jüngst durch die zunehmende Verwendung digitaler Algorithmisierungen. Diese Prozesse zeigen sich prototypisch in ökonomischen Settings. Massenhaft erzeugte und gesammelte Informationen, so die Hoffnung, können dazu beitragen ‚bessere‘ Konsumwelten und Customer Experiences zu gestalten. Persönliche Beratungselemente verschwinden in diesen digitalen Kontexten nicht grundsätzlich. So wird in Geschäftsmodellen des ‚Curated Shopping‘ auf technisch-algorithmische und personelle Expertise zurückgegriffen, um digitale Kaufangebote für Konsument:innen quantitativ zu reduzieren und gleichzeitig qualitativ passender zu gestalten. Ein solches Geschäftsmodell lässt sich im Besonderen für die Zusammenstellung von Outfitboxen im Sinn einer ‚persönlichen Stilberatung‘ finden. Die digitalisierte und als persönlich gerahmte Beratungsdienstleistung, die jedoch von (für Kund:innen maskierten) algorithmischen Empfehlungen durchdrungen ist, wirft Fragen zur Veränderung von Aushandlungsproblemen in Dienstleistungsbeziehungen auf, aber auch zur (Neu-)Justierung von Arbeitsverhältnissen in digitalisierten Gesellschaften auf.

Das Zusammenspiel von massenhaft verfügbaren Informationen, Algorithmus und Beschäftigten wird in zweifacher Weise relevant. Zum einen im Kontext des Empfehlungshandelns und im Umgang mit Kund:innen. Zum anderen bei der Beurteilung der Performance von Mitarbeitenden. In unserem Vortrag wollen wir erörtern, inwieweit der systematische Einbezug verfügbarer Daten und ihre algorithmisierte Auswertung die Dienstleistungsarbeit transformiert. Dazu wollen wir Ergebnisse vorstellen, welche veränderten Anerkennungsprozesse und welcher Status Tätigkeiten zugeschrieben wird, wenn sie zunehmend unterstützt/bestimmt sind durch algorithmische Programme. Der Beitrag nimmt basierend auf Ergebnissen aus einem DFG-Forschungsprojekt zu Kaufempfehlungen im Internet die Frage in den Blick, wieweit der Einsatz algorithmischer Systeme das Dienstleistungshandeln neu strukturiert und welche Konsequenzen sich daraus für Beschäftigte ergeben. Anhand des Curated Shopping wollen wir so einen Beitrag zu einem Verständnis reflexiver Digitalisierungsprozesse am Beispiel digitalisierter Dienstleistungsarbeit in ihren ambivalenten Konsequenzen leisten.



KI unterstütztes Personalmanagement? Sozio-technische Transitionen einer Berufsgruppe

Yannick Kalff, Katharina Simbeck

HTW Berlin, Deutschland

Das Berufsfeld Personalmanagement erfährt durch die aktuellen technischen Entwicklungen auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz eine tiefgreifende Veränderung. Zunehmend werden Software-Anwendungen mit Elementen und Funktionen des maschinellen Lernens, tiefen Lernens und Natural Language Processing ausgestattet und dadurch die Arbeit, die Arbeitsprozesse und die spezifischen Tätigkeiten von Personalmanager:innen verändert. Einerseits unterstützen KI-Systeme bei den Kernaufgaben des Personalmanagements und sortieren bzw. ranken Bewerbungen, ermitteln automatisch Qualifizierungsbedarfe und reichern personalstrategische Entscheidungen durch große Datengrundlagen an. Andererseits fallen automatisierbare Einfachtätigkeiten weg: KI-unterstützte Chatbots ermöglichen beispielsweise automatisierte HR-Auskünfte als Self-Service. Entsprechend ambivalent werden die Technologien aufgenommen. Ergebnisse aus einer quantitativen empirischen Befragung von Personalmanager:innen in Deutschland vom Frühjahr 2025 reichern wir durch qualitative Expert:innen-Interviews, Gruppendiskussionen von Stabsmitarbeiter:innen der Betriebsräte sowie teilnehmende Beobachtungen auf KI-Messen an. Empirisch stoßen KI-Systeme auf ein geteiltes Echo: Von „mehr Zeit für das Wesentliche“, nämlich die direkte Interaktionsarbeit mit den Menschen, bis hin zur Ersetzung von Arbeit, Quantifizierung der Menschenkenntnisse und des Bauchgefühls der Personaler:innen, – KI spannt ein kontroverses und konflikthaftes Feld auf, in dem sich der Berufsstand neben technischen Themen oder neuen Kompetenzen wie der Interpretation und Bewertung von KI-Ergebnissen auch mit der wachsenden Bedeutung ethischer und rechtlicher Fragen auseinandersetzen muss. Dies bedeutet vor allem eine qualifikatorische Veränderung des Berufsfeld und damit auch veränderte Arbeitsmarktbewertungen von HR Kompetenzen. Wir zeigen, dass sich das Berufsbild der Personalmanager:innen in einer fundamentalen Transition befindet. Zum einen wirken bereits länger anhaltende Dynamiken wie die zunehmende Kennzahlensteuerung und Quantifizierung in der Arbeit. Zum anderen kommen neue Verantwortungs- und Aufgabenbereiche hinzu, denn KI-Systeme erfordern AI Literacy, um die Ergebnisse der Algorithmen einzuordnen und ihre Grenzen und Fehler zu erkennen.