Alte kriegen und Eltern beantragen? Übergänge in Sorgebeziehungen in Kindheit und Alter im Vergleich
Philip Lambrix
Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Deutschland
Unsere Gesellschaft erlebt eine „Krise der Sorge“. Das zeigen unter anderem die niedrige Geburtenrate und der „Pflegenotstand“. Hinter dieser allgemeinen Krisendiagnose verbirgt sich allerdings ein Unterschied: Wir tun uns viel schwerer damit, für ältere Menschen zu sorgen als für Kinder. Den allermeisten Neugeborenen werden ganz selbstverständlich zwei Pflegende an die Seite gestellt, die sie weitgehend unbezahlt rund um die Uhr versorgen – ihre Eltern. Viele Menschen (genannt „Eltern“) entscheiden sich sogar bewusst dafür, sich eine:n pflegebedürftige:n Angehörige:n zuzulegen – solange diese:r jung ist. Viele pflegebedürftige ältere Menschen dürfen dagegen froh sein, wenn gelegentlich jemand nach ihnen schaut. Die Bedeutung „formeller“ Sorge ist im Alter deutlich größer als in der Kindheit: Eine derart umfassende körperliche Pflege, wie Eltern sie für ihre neugeborenen Kinder übernehmen, leisten bei älteren Menschen in der Regel professionelle Kräfte, die beantragt und bezahlt werden müssen. Weshalb diese ungleiche Verteilung der Sorge? Offenbar ist es relativ attraktiv, für Kinder zu sorgen, während die Sorge für ältere Menschen als eine Last empfunden wird.
Der Vortrag untersucht essayistisch, wie Sorge in Kindheit und Alter erlebt und bewertet wird. Dazu fokussiert er speziell Übergänge: Wie kommen Versorgte zu ihren Sorgenden oder umgekehrt? Der Vortrag erkundet verschiedene Dimensionen von Übergängen: Grad der Ritualisierung, Timing, Rollenerwerb, Verteilung der Agency der Beziehungsbildung, Körperlichkeit etc. Zu vermuten ist, dass der Modus des Übergangs in die Sorgebeziehung Auswirkungen darauf hat, wie diese erlebt wird. Ungewöhnliche Perspektiven und Fragen ergeben sich: Erfüllt der Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung oder einen Kitaplatz eine ähnliche Funktion wie eine Bitte um Hilfe unter Bekannten, der Schrei eines Kindes oder die Nabelschnur? Lässt sich die Geburt als Übergangsritual verstehen? Im Fall des Kindes ist die Sorgebeziehung vor dem sorgebedürftigen Individuum da. Wie wird im Vergleich dazu Sorge wahrgenommen, wenn sich die Sorgenden erst finden müssen – sei es auf einem Markt mit knappem Angebot oder unter den Kindern, Freund:innen oder Partner:innen? Wie werden in letzterem Fall aus Beziehungen zwischen Gleichen einseitige Sorgebeziehungen?
Beruflich benachteiligt, privat verzögert? Ein Vergleich beruflicher und familialer Statusmerkmale der Geburtskohorten 1981–1995 vs. 1966–1980 in sechs europäischen Regionen
Tom Hensel, Dirk Konietzka
Technische Universität Braunschweig, Deutschland
Der Übergang ins Erwachsenenalter hat sich in Europa durch verlängerte Bildungswege, Arbeitsmarktunsicherheiten und demografischen Wandel strukturell verändert. Ausgehend von der Annahme einer verschlechterten Arbeitsmarktintegration und instabileren Lebensverläufen junger Erwachsener vergleicht dieser Beitrag empirisch zentrale berufliche und familiale Statusmerkmale der Geburtskohorten 1966-1980 („Generation X“) und 1981-1995 („Generation Y“) in sechs europäischen Regionen mit insgesamt 18 Ländern. Basierend auf Daten der dritten (2006) und neunten (2018) Runde des European Social Survey werden 10.640 Personen im Alter von 25-39 Jahren hinsichtlich ihrer Arbeitsmarktbeteiligung, Vertragsform, Partnerschafts- und Familiengründungsmuster analysiert. Die Analysen widerlegen übergreifende Kohortenunterschiede innerhalb der Regionen und systematische Verschlechterungen für die jüngere Generation. Stattdessen prägen regionale Institutionenkontexte beobachtete Unterschiede stärker als die Zugehörigkeit zu Geburtskohorten.
Transition vom Sohn zum Vater: Doing fatherhood vor dem Hintergrund des Erlebens des eigenen Vaters
Klara Lüring, Claudia Zerle-Elsäßer, Leonhard Birnbacher, Anna Buschmeyer
Deutsches Jugendinstitut e.V., Deutschland
Vater zu werden wird oft als ein lebensveränderndes Ereignis erlebt, mit dem ein generationaler Rollenwechsel verbunden ist. Es kommt nicht nur eine neue Generation hinzu, sondern damit sind auch Übergänge der älteren Generationen in die (Ur-)Großelternschaft verknüpft. Auf diesen Transitionsprozess sowie die Gleichzeitigkeit von Vater- und Sohn-Sein fokussiert dieser Beitrag.
Im Rahmen des DFG-geförderten Projekts „Drei Generationen von Vätern in Polen und Deutschland im Vergleich“ werden problemzentrierte Einzelinterviews mit jeweils verwandten Vätern, Großvätern und Urgroßvätern aus zehn Familien geführt und qualitativ-inhaltsanalytisch ausgewertet, um die verschiedenen Perspektiven der einzelnen Generationen miteinander in Bezug setzen zu können. Ziel des Vortrags ist es, in einem ersten Schritt durch eine intergenerational vergleichende Perspektive Brüche, Kontinuitäten und Wandel von Vaterschaftskonzepten und -praxen in den letzten Jahrzehnten herauszuarbeiten. Dabei wird Vaterschaft bzw. väterliches Handeln aus familiensoziologischer Perspektive mit Hilfe des Konzepts des doing fatherhood analysiert. Väterliches Handeln wird somit als Herstellungsleistung definiert, die auf Interaktionsprozessen zwischen verschiedenen Akteur:innen basiert und die durch gemeinsame Praktiken und Deutungen immer wieder erbracht und bestätigt werden muss. Somit stellt sich Vaterschaft als kontingente Kategorie dar, die durch historische, soziale und kulturelle Veränderungen beeinflusst wird und auch in späteren Lebensphasen relevant bleibt.
In einem zweiten Schritt wird beleuchtet, wie das Erleben des eigenen Vaters aus der Sohn-Perspektive heraus das Ausleben der eigenen Vaterschaft prägt und welche Normen und Praktiken hierbei bewusst und unbewusst zur Reproduktion bzw. Innovation genutzt werden. Bei der Analyse der Beschreibungen des doing fatherhood stehen die temporäre, physische und emotionale Präsenz als relevante Dimensionen im Fokus.
Anknüpfend an die Väterforschung wird durch die Analyse von drei unterschiedlichen Perspektiven innerhalb einer Familie ein Beitrag geleistet, den Wandel des doing fatherhood über verschiedene Lebensphasen und Generationen hinweg zu untersuchen. Damit soll abschließend die bisher wenig verfolgte Verknüpfung der individuellen und familialen Dimension von Vaterschaft mit der sozialen vorangetrieben werden.
Zur Herstellung von Übergängen in der beruflichen Orientierung. Die Verhandlung biographischer Zukünfte in der beruflichen Orientierung in Praktiken des Beobachtens, Bewertens und Beratens
Stephan Dahmen, Marisa Beckmann
Universität Paderborn, Deutschland
Mit unserem Vortrag fokussieren wir die institutionelle Bearbeitung von Übergängen als Prozess der interaktiven Herstellung und Aushandlung lebenslaufbezogener Alters- und Ver-haltensnormierungen. Im Rahmen Im Rahmen des DFG-Projektes „Jugend im Blick Die Prozessierung von Entwicklungsbeobachtung und -begleitung im Kontext schulischer Berufsorientierung (JuiB) erforschen wir ethnografisch die für alle SchülerInnen des 8. Jahrgangs verpflichtenden, sogenannten „Potenzialanlysen“, welche als Ausgangspunkt eines transorganisational begleiteten Prozesses der Beruflichen Orientierung gelten. Im Vortrag zeigen wir, dass diese „als Visibilisierungs- und Erfahrungsdispositiv“ (Traue 2010, S. 65) fungieren und auf eine Art angeleitete, zukunftsge-richtete biographische Selbstoptimierung abzielen, bei der mittels „Temporalisierungsprakiken“ (Kelle 2022, S. 326) eine ungewisse und kontingente Zukunft bereits in die Gegenwart hineingeholt und dort bearbeitet gemacht wird. Dazu analysieren wir die von uns beobachteten Praktiken als einen empirischen Ort der Herstellung und praktischen Hervorbringung (generationaler) Differenzierungen sowie von Biographisierungs- und Subjektivierungsprozessen. Wir wenden uns der Frage zu, wie implizite und explizite Normvorstellungen im Rahmen der Darstellung und Dokumentation jugendlicher Aktivitäten an der Produktion und Sichtbarmachung (eigenaktiver, mit Potenzialen ausgestatteter) junger Menschen beteiligt sind und werfen einen besonderen Blick auf Zeitlchkeit als zentrale form generationeln Ordnens.
Literatur:
Kelle, H. (2022). Biographisierung, Dokumentation, Inskription-Gegenstandstheoretische und methodologische Reflexionen aus Perspektive der Kindheitsforschung. In R. Rothe, D. Schendowius, N. Thoma & C. Thon (Hrsg.), Biographische Verknüpfungen. Zwischen bio-graphiewissenschaftlicher Forschung, Theoriebildung und Praxisreflexion (S. 317-337). Frankfurt: Campus Verlag.
Traue, B. (2010). Kompetente Subjekte. Kompetenz als Bildungs- und Regierungsdispositiv im Postfordismus. In T. Kurtz & M. Pfadenhauer (Hrsg.), Soziologie der Kompetenz (S. 49-67). Wiesbaden.
„Doing transition“ zwischen Grundschule und Sekundarstufe: Übergangserfahrungen von Schüler*innen im Kontext verschiedener Schulkulturen
Elisabeth Zehetner1, Karina Fernandez2
1Universität Graz, Österreich; 2Pädagogische Hochschule Steiermark, Österreich
Der Übergang von der Primarstufe in die Sekundarstufe wird im deutschsprachigen Raum vielfach als „Schlüsselstelle“ für Bildungsverläufe betrachtet. Dabei ist dieser Übergang einerseits institutionell stark formalisiert und für alle Schüler*innen in gleicher Weise vorgegeben – etwa durch festgelegte Zeitpunkte, rechtliche Vorgaben und schulformbezogene Zuweisungen. Gleichzeitig aber gibt es eine Reihe von Faktoren wie familiäre, milieuspezifische und regionale Orientierungen und damit verbundene Aspirationen, die den Übergang auf jeweils unterschiedliche Weise rahmen. Welche Rolle zudem einzelne Schulen und deren Schulkulturen (Helsper et al. 2001) als institutionelle Kontexte spielen, wurde bislang nur unzureichend erforscht. Vor diesem Hintergrund fragt der vorliegende Beitrag danach, wie der Übergang in die Sekundarstufe in unterschiedlichen schulischen, sozialen und regionalen Kontexten unterschiedlich hervorgebracht, gerahmt und erlebt wird – insbesondere durch die Schüler*innen selbst und ihre Familien. Aufgegriffen wird dazu das Konzept des „Doing Transition“ (z.B. Cuconato/Walther 2015; Andresen et al. 2022), das Übergänge nicht als punktuelle Ereignisse, sondern als längerfristige, prozesshafte Auseinandersetzungen versteht.
Empirische Grundlage des Beitrags ist eine qualitative Längsschnittstudie, in der Kinder aus neun österreichischen Grundschulen in der 3., 4. und – nach dem Übertritt – in der 5. Schulstufe in Form von Gruppeninterviews befragt wurden. Zudem wurden Eltern sowie Lehrer*innen und Schulleiter*innen interviewt. Die Ergebnisse machen deutlich, dass Übergangserfahrungen zeitlich weit über den eigentlichen Wechsel hinausreichen und sehr unterschiedliche Verläufe annehmen: von antizipativer Anpassung über langanhaltende Umstrukturierungen von Selbstbildern bis hin zu Übergängen, die als bruchloses Weitermachen erlebt werden. Diese Differenzen in den Erfahrungen lassen sich nicht allein biographisch erklären, sondern sind eng mit schulkulturellen und regionalen Rahmenbedingungen verknüpft. Durch die differenzierte Nachverfolgung konkreter Übergangserfahrungen soll im Beitrag das Zusammenspiel zwischen individuell-biographischen Rahmungen auf der anderen Seite und deren Strukturierung durch konkrete Kontextbedingungen auf der anderen Seite verdeutlicht werden.
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