Sitzung | |
Plenum 5: Dynamiken der Energiewende. Normen, Infrastrukturen und Teilhabe
Sitzungsthemen: Meine Vortragssprache ist Deutsch.
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Zusammenfassung der Sitzung | |
Alle Vorträge der Veranstaltung werden auf Deutsch gehalten. | |
Präsentationen | |
Just transitions? Sozialökologische Gerechtigkeit im Energiesektor Universität Kassel, Deutschland Die Präambel des Pariser Klimaabkommens von 2015 fordert von den Vertragsstaaten, die Imperative der „just transitions“ zu beachten. Diese Formulierung weist Bezüge zu Konzepten einer „transitional justice“ bzw. eines „transformative constitutionalism“ auf, unterscheidet sich aber auch von diesen. Um ihren Gehalt herauszuarbeiten, ist sie im Kontext vielfältiger Normensemble zu interpretiert. Im Bereich des universellen „soft law“ ist insbesondere die „Agenda 2030“ mit ihren 17 SDGs zu nennen. Aber auch auf der supranationalen Ebene finden sich einschlägige Normen, wie Artikel 191 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, der eine „umsichtige und rationelle Verwendung der natürlichen Ressourcen“ verlangt. Der Vortrag möchte, ausgehend von den genannten Rechtskonzepten, die Forderung nach einer „just transitions“ im Hinblick auf die beiden in diesem Konzept verbundenen Merkmale – just und transitions – thematisieren: (1) Zunächst soll – transitions – ein Verständnis gesellschaftlicher Übergangskonstellationen entwickelt werden, in denen „Transitionen“ (im Plural) in der Summe den Prozess der „Transformation“ bilden. Die Ausgangshypothese ist, dass „Transitionen“ Übergange darstellen, in denen das Gewesene im Gegenwärtigen nicht überwunden, sondern aktualisiert wird, also präsent bleibt. In den Transitionen überlagern sich alte und neue Ordnungsmuster, so wie Walter Benjamins dies für die „Passagen“ herausgearbeitet hat. (2) Das führt zu der zweiten Dimension der „just transitions“, der Gerechtigkeit. Ursprünglich war diese Gerechtigkeitsforderung auf die Arbeitsverfassung reduziert. Ausdruck dessen sind beispielsweise die Guidelines der Internationalen Arbeitsorganisation der UN zu „just transitions“ aus 2015. Der Appell zur Gerechtigkeit in Übergängen hat sich mittlerweile zu einer umfassenden Forderung erweitert, die nicht nur das Recht mit der Transzendenzformel „Gerechtigkeit“ sondern beispielsweise auch die Politik mit der Forderung nach Frieden und Freundschaft (SDG 17) konfrontiert. Anhand von Beispielen aus der Rechtspraxis soll das Potential der Forderung nach „just transitions“ ausgeleuchtet und auf intersektionale Herausforderungen bezogen werden. Als systemische Responsivitätsanforderung konzipiert, kann – so ist die These – das Konzept der „just transitions“ für eine Benennung und Reformulierung der gesellschaftlichen Widersprüche und letztlich für die Freisetzung von Transitionsdynamiken nutzbar gemacht und einem Verständnis von Transition als Prokrastination entgegengesetzt werden. Konflikt aufgrund pluralisierter Expertise? Eine Analyse des Felds der Expertise zur Energiewende in Deutschland TU Chemnitz, Deutschland Die in Deutschland angestrebte Energiewende ist politisch und gesellschaftlich umstritten und zur Ausgestaltung greifen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in hohem Maße auf wissenschaftlich-fundierte Expertisen zurück. Expertisen stellen wissenschaftlich-fundiertes Wissen bereit und basieren zudem auf Ideen, die die Debatten um die Energiewende prägen und damit auch als „Weichensteller“ (Weber 1988: 252) für politische Entscheidungen fungieren. Die Konflikte um die Umsetzung der Energiewende, so die These, kreisen dabei vornehmlich um unterschiedliche und zum Teil konfligierende Ideen, z. B. Wirtschaftlichkeit, Umweltschutz, Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit etc. Auch Produzierende von Expertisen beziehen sich auf ebenjene Ideen und diese werden dann von politischen und gesellschaftlichen Akteure aufgegriffen und in die Debatte eingebracht. Ausgehend davon untersucht der geplante Vortrag, ob sich eine zunehmende Pluralisierung von Ideen bei Produzierenden von Expertisen feststellen lässt und, wenn ja, inwieweit eine solche Pluralisierung die gegenwärtig zu beobachtenden „Wissenskonflikte“ (Bogner 2021: 18-19) um die Energiewende mit verursacht. Produzierende von Expertise stehen im Fokus des Vortrags, weil sich seit den 1980er-Jahren in Deutschland ein zunehmend autonomes Feld der Expertise zu umwelt- und energiepolitischen Fragen etabliert hat, bestehend aus privaten Forschungs- und Beratungsinstituten, staatliche Forschungseinrichtungen, nachgeordneten Behörden sowie Think Tanks, die aus der Umweltbewegung entstanden sind (Laux 2021: 280-281). Damit konstituierte sich eine „fifth branch“ (Jasanoff 1990), die in dem geplanten Vortrag aus feldtheoretischer Perspektive (Fligstein und McAdam 2012) hinsichtlich ihres zeitlichen und inhaltlichen Wandels untersucht wird. Die explorative Analyse des Feldes untersucht den Wandel von Ideen bei Produzierenden von Expertisen im Zeitverlauf. Hierzu werden konkret die Leitbilder der Produzierenden von Expertisen analysiert, um die relevanten Ideen der Organisationen herauszuarbeiten. Mit einer qualitativen Inhaltsanalyse und einer daran anschließenden Clusteranalyse können sieben Ideencluster im Feld identifiziert werden, die sich im Zeitverlauf gewandelt haben. So kann gezeigt werden, welche Ideen an Bedeutung gewonnen haben und ob eine zunehmende Pluralisierung festzustellen ist. Legitimität im Wandel: Komplexe sozio-technische Dynamiken in der Energiewende Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Deutschland Nachhaltigkeitstransitionen gehen mit tiefgreifendem Wandel gesellschaftlicher Strukturen materieller und immaterieller Art einher. Ihre konkrete Ausgestaltung wird auf multiplen gesellschaftlichen Ebenen verhandelt. Diese Aushandlungsprozesse werden von konkurrierenden Zielsetzungen und Logiken der beteiligten Akteure bestimmt. Unser Beitrag behandelt die Frage, auf welcher Grundlage und durch welche Akteure Zielsetzungen und Maßnahmen als nachhaltig legitimiert oder illegitimiert werden. Legitimität bezieht sich auf generalisierte Bewertungen der Angemessenheit in einem bestimmten sozialen Kontext. Unser Beitrag beleuchtet den dynamischen Prozess der Legitimierung und geht davon aus, dass institutionalisierte Legitimationsgrundlagen selbst im Wandel sind. So verändern sich zum einen die relevanten Normen, auf die bei der Bewertung soziotechnischer Systeme Bezug genommen wird. Zum zweiten sind die nötigen Infrastrukturen, Technologien und rahmenden Institutionen in ständiger Veränderung. Drittens entsteht dadurch eine größere Heterogenität der zu beteiligenden Akteure, die unterschiedliche Interessenlagen einbringen. Mit der Entwicklung und Etablierung von Maßnahmen, Technologien oder infrastrukturellen Veränderungen geht daher nicht nur ihre Legitimierung einher, sondern gleichzeitig Aushandlungen über die Legitimität von Kriterien für diese Bewertung. Wie sich das komplexe Zusammenspiel aus Institutionalisierungs- und Legitimierungsprozessen begreifen lässt, veranschaulichen wir anhand einer der drängendsten Fragen beim Windenergieausbau: Welche (De-)Legitimierungsdynamiken prägen die Vereinbarkeit und konkrete Ausgestaltung von Artenschutz und Windausbau in der Energiewende? Wir betrachten sechs Fallstudien konkreter Windkraftprojekte in Deutschland. Wir analysieren die Strategien von Akteuren, die situativ den „Konflikt“ zwischen Artenschutz und Windausbau adressieren und dabei Legitimität im Sinne von Nachhaltigkeit aushandeln. In einer weiteren Fallstudie analysieren wir die Entwicklung einer KI-basierten Technologie, die die üblichen pauschalen Ausgleichszahlungen und -flächen ersetzen könnte, indem Anlagen automatisch abgeschaltet werden, wenn definierte Vogelarten im Anflug sind. Der Fall veranschaulicht die Emergenz von Legitimierung und zeigt, die komplexen Interdependenzen von Technologieentwicklungen und Legitimierungsdynamiken im Zuge von Transitionsprozessen. Unser Vortrag arbeitet Legitimierung als relevanten sozialen Prozess heraus, der in Nachhaltigkeitstransitionen eng mit (De-)Institutionalisierungsprozessen verknüpft ist und sich in konkreten Projektverläufen und technologischen Entwicklungen zeigt. Normenbildung der Energiewende im Zusammenspiel von Organisation und Feld 1HSU Hamburg; 2TU Berlin; 3TU Ilmenau Normative Ordnungen prägen die Energiewende, indem sie nicht zuletzt das Handeln der an der Energiewende beteiligten Individuen und Organisationen orientieren. Aber wie kommen Normen, normative Ordnungen und Regulationen in die Welt und wie erhalten sie soziale Bedeutung bzw. Bindungswirkung? Zur Beantwortung dieser Fragen will unser Vortrag einen Beitrag leisten. Wir fragen, an welchen, sich durchaus auch widersprechenden Normen, normativen Ordnungen und Regulationen sich Organisationen intern sowie im Zusammenspiel mit anderen im Feld der Energiewende orientieren, wie sie diese aufgreifen, kombinieren und weiterentwickeln sowie wie sie diesen gesellschaftliche Bedeutung und Bindung verleihen. Im Vortrag stellen wir empirische Ergebnisse aus dem DFG-Forschungsprojekt Rekursive Normenbildung in der Energiewende (ReNEW) zum Zusammenspiel von Organisationen und Feldern der Energiewende an zwei empirischen Fällen vor: 1. an Stadtwerken als Organisationen der Energiewende und Schnittstellen zwischen politischen, ökonomischen und zivilgesellschaftlichen Akteuren, und 2. an Konstellationen heterogener Organisationen im Feld, die nicht nur von Feldnormen (und gesellschaftlichen Normen) geprägt werden, sondern diese auch koordiniert aufgreifen, rekombinieren und vereinheitlichen – und so aktiv mitprägen. Wir schließen unseren Beitrag mit Überlegungen zur weiteren Konzeptualisierung und Erforschung des Zusammenspiels von Organisationen und sozialen Feldern in der Energiewende. |