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Sitzungsübersicht
Sitzung
Plenum 6: Transitionspolitik
Zeit:
Donnerstag, 25.09.2025:
9:00 - 12:00

Chair der Sitzung: Jan-Peter Voß, RWTH Aachen University
Chair der Sitzung: Cordula Kropp, Universität Stuttgart
Sitzungsthemen:
Meine Vortragssprache ist Deutsch.

Zusammenfassung der Sitzung

Alle Vorträge der Veranstaltung werden auf Deutsch gehalten.


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Präsentationen

Transitionspolitik

Jan-Peter Voß1, Cordula Kropp2

1RWTH Aachen University, Dept. of Society, Technology and Human Factors; 2Universität Stuttgart, Institut für Sozialwissenschaften

Transitionen lassen sich als “fundamentale gesellschaftliche Umbrüche” verstehen – als tiefgreifende und ergebnisoffene Veränderungen, die verschiedene Dimensionen gesellschaftlicher Ordnung, einschließlich ihrer Gesellschaft-Natur-Verhältnisse, gleichzeitig betreffen.

Sie übersteigen damit den unmittelbaren Wirkungsbereich von Gesetzen, Regeln, formalen Normen und expliziter Kommunikation. Sie umfassen weitere Dimensionen der sozial-kulturell-materiellen Gefüge, über die sich gesellschaftliche Ordnungen konstituieren, wie etwa Ästhetiken, Lebensstile, Konsummuster, Alltagspraktiken, Subjektkonstruktionen/Identitäten, Ethiken und Werte, implizite Selbstverständlichkeiten, materielle Infrastrukturen, Technologien, geteilte Wissensbestände oder gelebte Ontologien. In Prozessen der Transition werden kollektive Ordnungen häufig auch gleichzeitig in verschiedenen dieser Dimensionen problematisiert und umkämpft.

Transitionspolitik findet nicht nur in den Institutionen des “politischen Systems” statt und sie ist auch nicht auf die klassischen Medien der Politik wie sprachliche Kommunikation und die Verhandlung von Normen beschränkt. Sie findet auch in Kunst, in Wissenschaft, in Technologieentwicklung, im Alltag statt – immer dort, wo kollektiv praktizierte Realitäten in Frage gestellt werden, Alternativen formuliert, demonstriert, installiert werden, wo Versuche gemacht werden, Normalitäten aufzubrechen und neu zu etablieren oder unausweichlich scheinende Veränderungen in bestimmte Richtungen zu lenken.

Interessiert man sich für Transitionspolitik, so rücken insbesondere komplexe Wechselwirkungen ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Denn umkämpfte „Ordnungsbaustellen“ in verschiedenen Dimensionen stehen miteinander in unhintergehbarem Zusammenhang und folgen mitunter irreduziblen Eigenlogiken. Wenn wir verfolgen und verstehen wollen, wie Transitionen ablaufen und gestaltet werden, müssen wir also erfassen, wie Ordnungen des Zusammenlebens in verschiedenen Dimensionen jeweils auf spezifische Weise problematisiert und kollektiv gestaltet werden und wie diese Prozesse miteinander in Verbindung stehen.

Das Panel lädt vor diesem Hintergrund zu einer Diskussion u.a. der folgenden Fragen ein:

1. Wo und wie finden wir die Politik von Transitionsprozessen? Wie können wir sie (soziologisch) untersuchen und reflexiv gestalten?

2. Wo und wie werden – in und quer zu verschiedenen Dimensionen – kollektive Ordnungen problematisiert, umkämpft und gestaltet – diesseits und jenseits der Grenzen dessen, was als „politisches System“ gilt?

3. Wo und wie werden im Zuge mehrdimensionaler Transitionsprozesse kollektive Ordnungsentscheidungen getroffen, bzw. wie kommen sie zustande?

4. Wie spielen Prozesse in verschiedenen Ordnungsdimensionen zusammen oder gegeneinander?

5. Wie sind Prozesse der Ordnungsgestaltung selbst geordnet – in und quer zu verschiedenen Dimensionen kollektiver Ordnung?

6. Inwieweit differieren unterschiedliche gesellschaftliche Kontexte hinsichtlich der Art und Weise, in der problematisierend und gestaltend auf Transitionsprozesse zugegriffen wird? Lassen sich global unterschiedliche „Modi von Politik“ beobachten, und worauf basieren ggf. ihre Differenzen?

7. Lassen sich Kriterien angeben, nach denen Prozesse der multidimensional verteilten Transitionspolitik normativ bewertet, problematisiert und kritisiert werden können?

8. Welche Rolle spielt Demokratie in diesem Zusammenhang? Wenn ja, welche Art von Demokratie? Oder treten jenseits der Demokratie auch andere Ordnungskonzepte für politische Prozesse hervor?



Designing Transitions. Andere Weltverhältnisse gestalten

Sophia Prinz

Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK), Departement Design/ Institut für Designforschung

Im Unterschied zur soziologischen Theoriebildung, die das Ästhetische des Sozialen lange ignoriert hat, basieren die modernistischen Designpraktiken seit jeher auf der Annahme, dass sich gesellschaftliche Ordnungen und Subjektivierungsweisen durch gestalterische Setzungen (um)formen oder steuern lassen.

Man denke etwa an die frühen Designreformbewegungen, die utopischen Experimente des sowjetischen Konstruktivismus, die anti-ornamentale Funktionalismusdebatte oder das Design Methods Movement der 1960er Jahre – um nur einige zu nennen.

Angesichts der multiplen Krisen und gesellschaftlichen Umbrüche der globalen Gegenwart ist eine solche gestalterische Haltung jedoch längst nicht mehr haltbar. Dennoch finden sich sowohl im kritischen Designdiskurs als auch in der technologieaffinen Designpraxis nach wie vor quasi-modernistische Ansätze, die eine «bessere Welt» durch Design propagieren oder technische Lösungen für komplexe ökologische Probleme anbieten. Allerdings regt sich mittlerweile auch Kritik an einem unterkomplexen Gesellschaftsbild und einem technologischen «Solutionismus»: Insbesondere im Umfeld des «Transformationdesign», der empirisch orientierten Designanthropologie und der Pluriversalismus-Diskussion werden zunehmend soziologische Theorien und Methoden aufgegriffen, um das Ineinandergreifen von Gestaltung und Sozialem zu beschreiben. Für Fragen der Gestaltung haben sich die ANT und die Praxistheorie als besonders anschlussfähig erwiesen. Während letztere jedoch eine vornehmlich analytisch-distanzierte Perspektive einnehmen, geht es dem Design um konkrete Veränderungen: Wie kann der soziologische «Werkzeugkasten» für eine transformative Gestaltung nutzbar gemacht werden und welche alternativen Zukünfte lassen sich auf dieser Grundlage imaginieren?

Im Vortrag wird es zunächst darum gehen, diesen Zusammenhang zwischen sozialer Ordnung, Design und gesellschaftlicher Transformation zu rekapitulieren: Nach einem kurzen historischen Abriss zum Verhältnis von Design und Soziologie werden einige neuere Überlegungen zur Praxistheorie des Designs vorgestellt. Dabei soll auch die Sozialtheorie aus der Sicht des Designs befragt werden: welche Aspekte von Gestaltung wurden bislang nicht ausreichend berücksichtigt oder gar falsch interpretiert und wie lässt sich das spezifische «Designwissen» für die Sozialtheorie fruchtbar machen?

in einem zweiten Teil werden aktuelle Beispiele aus dem Bereich des «more-than-human-Designs» beleuchtet. Diese Ansätze grenzen sich von der «instrumentelle Vernunft» und den Anthropozentrismus modernistischer Designauffassungen ganz explizit ab und fordern stattdessen im Anschluss an öko-feministische, neo-materialistische und postkoloniale Theorien, die sozio-ökologische Aktivität des Materiellen und nicht-menschliche „Stakeholder“ in den Designprozess mit einzubeziehen.

Doch nicht nur die Produktionsformen spielen für die sozio-ökologische Transformation eine Rolle. Aus praxistheoretischer Perspektive müssen zudem die sogenannten «User:innen» in den Blick genommen werden: Kann das Design dazu beitragen, ein anderes, post-extraktivistisches Weltverhältnis ganz praktisch einzuüben? In diesem Sinne schliesst der Vortrag mit einem Ausblick auf eine transformative Ästhetik: Ein kritisches oder transformatives Design, so die These, muss sich immer auch mit etablierten Wahrnehmungsordnungen und den darin eingelassenen Machtverhältnissen auseinandersetzen.



Die Transitionspolitik der ökologischen Gewalt

Gesa Lindemann

Universität Oldenburg, Institut für Sozialwissenschaften

Die Klimakrise bzw. deren Bewältigung oder aber aus anderer gesellschaftspolitischer Perspektive der Kampf gegen die Ideologie der Klimakrise gehört zu den großen Transitionsprozessen der Gegenwart. Der Beitrag untersucht diese Prozesse in einer gewaltsoziologisch aufgeklärten gesellschaftstheoretischen Perspektive, die die politischen, normativen und rechtlichen Aspekte zentral stellt. Die These ist, dass es in Phasen gesellschaftlicher Umbrüche immer problematisch wird, was unter Gewalt zu verstehen ist. Die Klärung dieser Frage ist in einer modernen Gesellschaft von grundlegender Bedeutung, weil Gewalt in Gesellschaften, die sich als demokratisch und rechtsstaatlich verfasst verstehen, grundsätzlich als problematisch gilt. Gewalt ist das, was in jedem Fall moralisch zu verurteilen ist. Alle Handlungen, die als Gewalt identifiziert werden können, sind gesellschaftlich und politisch delegitimiert. Heute von Migrations- und Aufrüstungsfragen in den Hintergrund gedrängt, standen lange Zeit Fragen der Klimakrise im Vordergrund wie etwa die folgenden: Sind die Protestaktionen gegen die als unzulänglich beurteilte Klimapolitik westlicher Regierungen als Gewalt zu bezeichnen (August et al. 2024) oder als legitimer ziviler Ungehorsam? Ist es Gewalt, wenn Erdölfirmen im Wissen um die Folgen die Förderung von Erdöl oder Erdgas weiter ausweiten? Üben die Investoren, die auf diese Weise die Energiewende durch ihre Investitionen aktiv hintertreiben, Gewalt aus? (Lindemann 2022) An der gesellschaftlich-praktischen Beantwortung dieser Fragen entscheidet sich, wie der Klimawandel politisch verhandelt wird.

Die theoretische Perspektive, in der diese Fragen sinnvoll gestellt werden können, ist der reflexive Gewaltbegriff und die Theorie der Verfahrensordnungen der Gewalt. Einen reflexiven Gewaltbegriff zu verwenden heißt, Gewalt nicht aus der Beobachterperspektive zu definieren, sondern das jeweilige Gewaltverständnis eines beobachteten Feldes, bzw. der beteiligten Akteure zu rekonstruieren. Konkret geht es dabei um die Rekonstruktion der Interpretationsordnung, mit Bezug auf die beobachtbare Handlungen als Gewalt identifiziert werden. Für die Gegenwart demokratischer Staaten gilt es dabei, die Struktur des „Gewaltparadoxes“ (Lindemann 2025: 12f) zu verstehen. Damit ist gemeint: Gemäß der Ordnung der rechtsstaatlich gebundenen demokratisch legitimierten staatlichen Zentralgewalt sind die Bürger:innen der staatlichen Gewalt unterworfen und sollen deshalb im gesellschaftlichen Leben auf Gewaltlosigkeit vertrauen können – gestützt auf die staatliche Zentralgewalt. Die Sicherung des gewaltgestützten Vertrauens in Gewaltlosigkeit gehört zu den normativen Grundelementen des bürgerlichen Zusammenlebens demokratischer Gesellschaften. Alles, was als Bruch dieses Vertrauens identifiziert werden kann, gefährdet in grundsätzlicher Weise das Zusammenleben, weshalb die staatliche Zentralgewalt unbedingt unter Handlungszwang gerät, der illegitimen Gewalt entgegenzutreten.

Die Wirksamkeit dieses Mechanismus zeigt sich exemplarisch am Umgang mit den Klimaprotesten etwa der ehemaligen „Letzten Generation“, deren Aktivist:innen gegenwärtig unter Anklage stehen, eine kriminelle Vereinigung gebildet zu haben. Ganz anders verlaufen rechtswissenschaftliche Debatten: Sie identifizieren einen Kausalnexus zwischen den Investitionen bzw. Geschäftsmodellen und der Erderwärmung. Dies könnte es ermöglichen, unter Verwendung bestehenden Rechts etwa die CEOs von Erdölgesellschaften wegen Mordes anzuklagen. (Arkush & Bramant 2024)

Mithilfe des reflexiven Gewaltbegriffs analysiert der Vortrag diese unterschiedlichen Perspektiven auf ökologische Gewalt entweder der Klimaterroristen, die eine kriminelle Vereinigung gebildet haben, oder der Klimamörder, die durch ihre Geschäfte wissentlich den Tod unzähliger Menschen verursacht haben. Dem reflexiven Gewaltbegriff (Lindemann 2021: Chap. 4) gemäß stehen dabei folgende Fragen im Vordergrund:

1. Welche Wesen können Gewalt ausüben?

2. Welche Wesen können Gewalt erleiden?

3. Welche Handlungen können als Gewalt gelten? Welche anerkannten Wirkungsketten der Gewaltanwendung gibt es?

4. Welche Gewalt ist/war wie Reemtsma (2008) sagt legitimerweise geboten, erlaubt oder verboten?

5. In welchen Drittenkonstellationen werden diese Fragen in einer ausreichend verbindlichen Weise beantwortet, d.h., wie werden diese Antworten institutionell stabilisiert?

Die Bearbeitung dieser Fragen verspricht einen entscheidenden Beitrag zum Verständnis der Transitionspolitik in den Umbrüchen der Klimakrise.



Postdigitale Politik der Lebensführung. Konsumtransitionen zwischen kybernetischer Rekonfiguration und existenzieller Kritik

Jörn Lamla

Universität Kassel, Fachgruppe Soziologie

In politischen Bemühungen um eine nachhaltige Transformation des Konsums treten unterschiedliche Handlungsprogramme, Welt- und Zukunftsbilder aufeinander. Deren z.T. unbemerkte Verschränkungen, z.T. konfliktreiche Wechselwirkungen gilt es zu verstehen, um Konsumtransitionen hinsichtlich ihrer planetaren und gesellschaftlichen Konsequenzen einschätzen zu können. Soziologische Theorien können als konstitutive Deutungsfolie oder kritische Intervention allerdings selbst in die zu analysierenden Pfadverläufe verstrickt sein. Unterscheidungen wie die von Effizienz-, Konsistenz- oder Suffizienzstrategien veranschaulichen solche Affinitäten: Ökonomische Berechnungen, kybernetisches Systemdenken oder neomarxistische Postwachstumskritiken erfassen relevante Aspekte der (Nicht-)Nachhaltigkeit empirischer Transitionspolitiken, werden mit ihren theoretischen Filtern aber auch Teil selektiver Narrationen, die Deutungen stabilisieren und Konflikte so verhärten.

Die science and technology studies nehmen bei solchen Verstrickungen von wissenschaftlichen Denkweisen (Whitehead) in gesellschaftliche Transitionen ihren Ausgang. Selbst nicht heoriefrei oder unschuldig, heben sie die Reflexion der performativen Machtwirkungen und Materialisierungseffekte von Theorie- und Denkschulen auf eine neue Stufe, indem sie deren Subsumtionen und Sedimentierungen in der Praxis mitbeobachten. Mit qualitativen Methodologien pragmatistischer und anthropologischer Forschungstraditionen entwickeln sie ein Sensorium, um die Transitionen und Transitionspolitiken, in die sie durchaus selbst intervenieren (z.B. Latour/Schultz, Haraway), so empirisch offen wie möglich aufzuzeichnen. Ihre Sorge gilt dem ökologischen Zusammenwirken heterogener Wesenheiten und Existenzweisen, die als ontologisches Bedingungsgeflecht gesellschaftliche Lebensformen konstituieren und anreichern (Bellacasa).

Der Vortrag diskutiert vor diesem Hintergrund, welche (theoretischen) Deutungsmuster und Handlungsprogramme sich in aktuellen Transitionen des Konsums materialisieren und welche Konfliktlinien und Dominanzverhältnisse damit einhergehen. Unter dem Einfluss sich ausbreitender digitaler Technologien gewinnt ein kybernetisches Kontrollparadigma in der Konsumsphäre immer mehr an Gewicht. Anstatt dieses vorschnell als Beleg für systemtheoretische Diagnosefähigkeit (Baecker; Nassehi) zu sehen, wird es als Teil gesellschaftlicher Transitionspolitik rekonstruiert. Dafür werden Konflikte an den „Nahtstellen von System und Lebenswelt“ (Habermas) in den Blick genommen, die in der postdigitalen Politik der Lebensführung in neuer Weise aufbrechen.

Die medial überformte verständigungsorientierte Kommunikation taugt darin allerdings kaum noch zum Anker für kritisches Aufbegehren, sondern vielmehr die lebenspraktische Kumulation von existenziellen Erfahrungen und Prüfungen (Boltanski; Rosanvallon). In der postdigitalen „Politik der Lebensführung“ (Giddens) werden Konflikte zwischen kybernetischer Rekonfiguration und existenzieller Kritik auf vielen Ebenen ausgetragen. Sie reichen von alltagspraktischen Autonomiebehauptungen gegenüber digitalen Verhaltenszumutungen oder technisch induzierten Rekursionen von KI-Trainings und menschlichen Körpern (Engemann) über staatliche Verordnungen im Digitalrecht oder lautstarke Proteste gegen Totalüberwachung bis hin zu Übersetzungsfehlern aufgrund von inkompatiblen Theorien, Weltbildern und Praxisschemata (Descola). Konsum ist für diese Auseinandersetzungen zentrales Gesellschaftslabor, in das gewaltige (Form-)Investitionen der Plattformökonomie fließen, wo aber auch existenzielle Probleme von der alltäglichen individuellen Reproduktion bis zum planetaren Überleben kumulieren.

Die Trajektorien der resultierenden Konflikte sind mitentscheidend dafür, welche Nachhaltigkeitseffekte von Konsumtransitionen zu erwarten sind. Setzen sich Plattform-Infrastrukturierungen durch, die Nachhaltigkeit als einen von vielen Informationswerten sozialer Medien in deren algorithmisch kuratierte Konsumprogramme aufnehmen, ansonsten aber auf die Expansion von Anschlüssen, ubiquitäre Verhaltenslenkung und permanente Sofortverfügbarkeit getrimmt sind? Oder bleiben Bildungserfahrungen bestimmend, in denen existenzieller Problemdruck einen Sinn für das mannigfaltige sozio-materielle Bedingungsgefüge nachhaltiger Lebenspraxis vermittelt? Welche politischen Kompromisse zwischen den heterogenen Ontologien des postdigitalen Lebens bestimmen die gegenwärtigen und zukünftigen Transitionen des Konsums?



Transitionspolitik als Infrastrukturpolitik

Stefan Böschen

RWTH Aachen University, Dept. of Society, Technology and Human Factors

Infrastrukturen haben in der jüngsten Zeit nicht zu Unrecht eine wachsende Aufmerksamkeit erfahren (z.B. Larkin 2013; Howe et al. 2016; Barlösius 2019; Kropp 2023; Böschen et al. 2024). Sie können gleichsam als Orte und ‚Trading Zones‘ der Stabilisierung und Veränderung von Gesellschaft interpretiert werden. Dieser prozessuale Blick folgt der Einsicht von Paul Edwards, der Infrastrukturen als “posing a linked series of sociotechnical problems (…)” (Edwards (2004: 209) charakterisiert hat. Ein solcher Blick auf Infrastrukturen fokussiert auf das dynamische Gleichgewicht der Artikulation und Lösung von sozio-technischen Problemen bei der Stabilisierung und Weiterentwicklung von Infrastrukturen, welche das materialisierte Rückgrat kulturell-institutioneller Ordnung von Gesellschaft bilden.

Somit sind Infrastrukturen nicht nur ein Ort technologischer Verdauerung von Gesellschaft, sondern zugleich ein Ort der demokratischpolitischen Weiterentwicklung. Diese Funktion wird jedoch bisher mehr implizit denn explizit sichtbar.

Vor diesem Hintergrund nimmt dieser Beitragsvorschlag das Fallbeispiel der Energiewende und untersucht am Umbau der Verteilnetzinfrastruktur die (Nicht-)Dynamik von Infrastrukturwandel als politischem Projekt. Hierbei zeigt sich, wie unterschiedliche soziale und materiell-technologische Kräfte ineinandergreifen und es gerade die Hinterlassenschaften bisheriger Infrastrukturbildung sind, welche den Umbau der Verteilnetzinfrastruktur in Richtung einer hinreichenden Flexibilität erschweren. Dabei werden zwei Argumentationslinien entfaltet. Eine

empirische Linie, welche die Flexibilisierung von Netzen durch die Nutzung von Gleichstrom-Technologien untersucht. Hierbei wird sichtbar, wie sehr die Transitionspolitik in diesem Feld top-down bestimmt und darin begrenzt wird.

Eine theoretisch-konzeptionelle Linie, welche die Möglichkeiten einer bottom-up Transitionspolitik analysiert und dabei das Konzept der „Niche Readiness“ (Schöpper et al. 2024) als Ausgangspunkt für eine experimentell-demokratische Form der Infrastrukturentwicklung nimmt. Zusammengenommen zeigt sich, dass Transitionspolitik als Infrastrukturpolitik genau dann produktiv wird, wenn im Zusammenspiel von top-down und bottom-up Dynamiken experimentelle Orte der sozio-technischen wie demokratischen Weiterentwicklung von Gesellschaften etabliert werden können.



 
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