Veranstaltungsprogramm

Sitzung
Plenum 1: ›Transition‹: Begriffsklärungen und Theoriekonzepte
Zeit:
Dienstag, 23.09.2025:
9:00 - 12:00

Chair der Sitzung: Franka Schäfer, Uni Siegen / FernUni Hagen
Chair der Sitzung: Robert Seyfert, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Sitzungsthemen:
Meine Vortragssprache ist Deutsch.

Zusammenfassung der Sitzung

Alle Vorträge der Veranstaltung werden auf Deutsch gehalten.


Präsentationen

Intransitive Transitionen. Überlegungen zu einer relationalen Begriffsbildung

André Armbruster

Universität Duisburg-Essen, Deutschland

Der Beitrag wirbt für einen starken Transitionsbegriff. Startpunkt ist die Konzeption der Transition als soziale Relation, von der die Entitäten, Zustände und Ereignisse abhängen. Eine Transition leitet dann nicht lediglich von Zustand A nach B über, vielmehr werden die Zustände, Akteure und Ereignisse von und durch die Transition hervorgebracht und bestimmt. Die Transition ist damit im Sinne von Roland Barthes als ein intransitiver Begriff zu verstehen, da sie keine Referenz außer sich selbst hat, also nicht auf anderes verweist; es ist keine Transitionen zu etwas hin, sondern immer eine intransitive Transition.

Der Vortrag expliziert diese Setzung in vier Dimensionen. Liegt der Primat auf der Transition als soziale Relation und nicht auf den Zuständen, müssen Transitionen erstens weder auf einen konkreten Endpunkt hinauslaufen, noch einen fixen Startpunkt haben. Vielmehr oszillieren Transitionen zwischen einem „Nicht-Mehr“ und einem „Noch-Nicht“, sie sind beständig im „Werden“ und „Entwerden“ begriffen. Mit Bezug zur doing transitions-Forschung ergibt sich zweitens eine Multiplizität und Diversität sowie Offenheit der beteiligten Elemente. Transitionen sind ein Zusammenspiel von akteuriellen Praktiken und institutionellen Arrangements, von sozialen Zuständen und Artefakten sowie Ereignissen – insofern also eine Versammlung oder Zusammensetzung im Sinne Latours –, wobei die Ausprägungen der Elemente durch die „Dazwischenwirkung“ der Transition entfaltet werden. Die relationale Offenheit hat drittens Folgen in der Zeitdimension. Transitionen vollziehen sich im Sozialen, haben insofern einen Prozesscharakter und müssen nicht (zeitlich) linear verlaufen. Es kann zu Rückgriffen, Umdeutungen, Antizipationen, aber auch zu Rückkopplungsschleifen kommen. Sie haben je eigene Tempi und Rhythmen. Viertens unterscheiden sich Transitionen von Transformationen konzeptionell, da Transformationen in ihrem Verlauf den distinkten Zustand A in den eindeutigen Zustand B überführen. Transitionen werden im Gegensatz dazu jedoch nicht über (angestrebte) Ziele oder Ergebnisse bestimmt, damit sind sie nicht teleologisch, nicht normativ und ihnen ist kein Gelingens-Bias eigen. Transitionen versorgen die Akteure erst mit Motiven, die sich im zeitlichen Verlauf verändern können – denn auch die Intentionen und Pläne der Akteure sind bestimmt vom Werden der Transition.



Transitionen und sozialer Wandel: eine theoretische Begriffsanalyse

Ulrike Schuerkens

Université Rennes 2, LiRIS EA 7481, France

Der in diesem Kongressbeitrag vorzustellende theoretische Ansatz beruht auf einer Weiterentwicklung einer Theorie des sozialen Wandels, die von Teune und Mlinar (1978) konzipiert wurde. Nach Ansicht der Autoren sind Entwicklung und Wandel spezifische Eigenschaften aller Sozialsysteme. Sie werden durch ein Anwachsen sozialer Differenzierungen und eine parallel dazu ansteigende Anzahl von Elementen sowie durch eine Integration neuer Elemente definiert. Die Analyse von Gesellschaftsstrukturen erlaubt es, Ereignisse und bedeutsame Faktoren einer sozialen Transformation zu definieren, die zu einer Veränderung beitragen. Transitionen werden hier gesehen als Übergänge, die die "transition studies" definiert haben als die Schaffung von Nischen, den Orten von Initiativen, die manchmal radikal sind oder als solche wahrgenommen werden. Die Transition ist also eine grundlegende Bewegung, die von aufeinander abgestimmten gesellschaftlichen und kulturellen Initiativen und Entwicklungen angetrieben wird. Das Konzept der Transition stützt sich auf die Idee eines schnellen Handelns in allen Themenbereichen durch konkrete Initiativen, lokale Ansätze und Bürgerversuche. Letzteres ist wichtig, da es die Vielfalt der Experimente ist, die neue Lösungen ermöglicht. Eine Transition ist mit der Idee der Progressivität und des allmählichen Wandels verbunden, aber eine Transition kann auch Brüche beinhalten. Eine vollendete Transition kann radikal sein, in dem Sinne, dass sich die Organisationslogik, die Strukturierung und die Interaktionen zwischen den Elementen des Zielsystems grundlegend von denen des Ausgangssystems unterscheiden.

Der Vergleich zwischen einem Ausgangssystem A und der Art und Weise, wie es organisiert wird, und einem Ankunftssystem B ermöglicht es, das Ausmaß und die Folgen der Neuformierung zu analysieren, die notwendigerweise mit einer Transition einhergehen. Über diachrone Analysen hinaus, die einen Zustand vor der Transition und einen Zustand nach der Transition vergleichen, lädt der Begriff Transition dazu ein, dynamische Analysen der sich entfaltenden Prozesse durchzuführen, die am Werk befindlichen Veränderungsfaktoren und die sich abzeichnenden Konsequenzen zu verstehen, Entwicklungspfade nachzuvollziehen, neue Verbindungen zu erkennen.

Eine Transition kann dann ein gesellschaftliches Projekt sein, das sich in öffentlichen Politiken verkörpert. Die Transition setzt eine Absichtlichkeit und kollektive Handlungen voraus. Empirisch gesehen steht die ökologische Konnotation in der Regel an erster Stelle, manchmal wird sie von sozialen (Verringerung von Ungleichheiten), politischen (einer Vertiefung der Demokratie) und wirtschaftlichen (Änderung des Wirtschaftssystems) Anliegen begleitet.



Ungewisse Transition: Im Spannungsfeld zwischen Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit

Tetiana Havlin

Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg, Deutschland

Die Fragestellung am Ende des Calls von Plenum zu Begrifflichkeiten der Transition lädt dazu ein, über den Begriff der Transition und seine analytische Tragweite nachzudenken. In diesem Zusammenhang möchte ich die Ungewissheit als soziale Kategorie und als integralen Bestandteil von Prozessen und Entwicklungen, die mit Transition verbunden sind, konzeptualisieren. Mein Fokus liegt dabei auf der Ungewissheit im Zusammenhang mit gesellschaftlichen, institutionellen und individuellen Veränderungen sowie auf dem Verständnis von sozialer Zeit. Während soziale Zeit oft in einer Struktur von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (Elias 1988) gedacht wird, kann sie auch weitaus komplexer dargestellt werden – sowohl auf gesellschaftlicher, institutioneller als auch auf individueller Ebene (Bauman 2008). Durch diese Perspektive eröffnet sich ein neuer Zugang zu den Begriffen des Übergangs, der Schwelle und des Zwischen, der über traditionelle Konzepte wie Evolution, Transformation oder sozialen Wandel hinausgeht (Esposito 2007; Beck 2016). Die Ungewissheit birgt sowohl Risiken als auch Chancen, d.h. die ungewisse Transition unserer Wahrnehmung sozialer Zeit. Das Zukunftsbild (seine optimistische oder pessimistische Einschätzung) bestimmt die Wahrnehmung realer Transformations-prozesse und kennzeichnet die Besonderheiten der Anpassung der Individuen und der Gesellschaft als Ganze an das Geschehen, den Zustand des alltäglichen Bewusstseins und Verhaltensreaktionen (Popova 1999).

Meine zentrale These lautet, dass wir heute in einer Zeit leben, in der nicht nur Zukunft und Gegenwart politisch und sozial ungewiss sind, sondern auch die Vergangenheit zunehmend zur Disposition steht. Die politische und gesellschaftliche Transition der späten 1980er und 1990er Jahre wurde zweifellos positiv mit Wiedervereinigung, Demokratisierung, der Überwindung ideologischer Konflikte und die Beendung des Kalten Kriegs assoziiert. Doch aktuelle Entwicklungen wie der Aufstieg rechtsradikaler Bewegungen in Europa mit der Relativierung des Holocausts und des national-sozialistischen Erbes, revisionistische Politik in Russland gegenüber Europe, der Krieg gegen die Ukraine und multipolare Allianzen autoritärer Staaten werfen Fragen zur historischen Einordnung und zur Stabilität demokratischer Errungenschaften nach dem zweiten Weltkrieg auf. Diese Prozesse führen zu einer Neubeurteilung geschichtlicher Ereignisse, die wiederum unsere Gegenwart beeinflussen und die Zukunft mitgestalten.

Die Ungewissheit der Zukunft kann als „Black Box“ verstanden werden, die mit soziologischen Methoden wie Diagnostik, Einschätzung und Prognosen analysiert wird. Die Ungewissheit der Vergangenheit gleicht einer „Pandora-Box“, deren Deutung stets neu ausgehandelt wird. Die Gegenwart erfordert eine empirische Annäherung, um situative und interpretative Gegebenheiten besser zu verstehen. Die Frage bleibt:

Wie viel Ungewissheit können wir tolerieren, und welche Strategien entwickeln wir zur Bewältigung?



Biografische und historische Transition. Kategoriale Mobilität in der Zwischenzeit der Geschlechter(ent)differenzierung

Stefan Hirschauer

Uni Mainz, Deutschland

Die Rede von ‚Transition‘ entwickelt sich seit ein paar Jahren von einem subkulturellen Euphemismus für einen meist eher unsanft-disruptiven Prozess zu einer gesellschaftlich verbreiteten Semantik für einen Statuswechsel in der Geschlechterdifferenzierung. Dieser ist nur ein spezifischer Fall kategorialer Mobilitäten im Rahmen der Humandifferenzierung. Er hat verglichen mit der transnationalen Migration, der religiösen Konversion, dem immanent transitorischen Altern und der Mobilität zwischen sozioökonomischen oder Leistungsklassen besondere Randbedingungen der kulturellen Bauweise von Kategorien. Brubaker identifizierte in seinem Vergleich der Transition zwischen Geschlechtern und ‚Rassen‘ spezifische Charakteristika, die die Genderpassage aktuell enthemmen und ihre Übertrittsschwellen absenken, die Rassendifferenzierung dagegen gegen biografische Transitionen abdichten. Außerdem differenzierte er im aktuellen politischen Diskurs drei Typen von ‚trans‘: trans of migration, trans of between und trans of beyond. Aus der Perspektive soziologischer Theorie handelt es sich dabei allerdings weniger um eine belastbare Typologie, als um subkulturell stilisierte Sozialfiguren.

Der Vortrag betrachtet diese Figuren einer spezifischen biografischen Transition vor dem Hintergrund der historischen Transition der Geschlechterdifferenzierung als Übergangsgestalten einer Zwischenzeit. Die drei Varianten des ‚trans‘ – die geradezu cis-sexuell vereindeutigte Transformation, die Ansiedelung in einem kategorial uneindeutigen Dazwischen, und die zögernde non-binäre Abwendung vom Geschlechterdualismus – sind der verkörperte Ausdruck eines Nicht-Mehr und Noch-Nicht in der Geschichte der Geschlechterdifferenzierung. Einerseits erodiert deren gesellschaftliche Relevanz beträchtlich, geschlechtsindifferente Transgressionen sind bereits weitgehend normalisiert. Andererseits tun sich immer wieder Nischen des Regendering im Degendering auf, die den prekären Restsinn der Geschlechterunterscheidung zu bewahren suchen. Es ist diese historische Zwischenzeit, in der sich eine Reihe von identitär fixierten Geschlechtskategorien noch eine Weile als gesellschaftliche Anschauungshilfen kristallisieren können. Das Geschlecht macht keinen so großen Unterschied mehr – sonst könnte es nicht immer leichter gewählt werden, es macht nach wie vor einen Unterschied – sonst würde es nicht mehr gewählt.

Was im öffentlichen Diskurs – etwa im Streit um Gesetze zu dritten Geschlechtskategorien oder der geschlechtlichen Selbstbestimmung – als ein übersichtlich politisiertes Gegeneinander von Milieus erscheint (subkulturelle Grenzgänger gegen Egalitätsfeministinnen gegen Konservative), zeigt sich in der kultursoziologischen Beobachtung eher als eine Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen in der Entwicklung verschiedenen Sinnschichten des Kulturellen, in der die politischen Diskurse den Einstellungen vorauseilen, die vergeblich versuchen, dem Verhalten die Richtung vorzugeben, dem aber die Gefühle noch weiter hinterherhecheln. Angesichts dieser Ambivalenzen gehört es zu den Vorzügen des Transitionsbegriffs, dass er jenseits der latenten Teleologie des evolutionären Wandels und der suggestiven temporalen Eindeutigkeit der Transformation erlaubt, die Soziologie als die – für alle Seiten – unsichere Kantonistin zu positionieren, die sie als professionelle Zeugin des zeitgenössischen Wandels ihrer Gesellschaft sein kann.