Under- und Overreporting (also die unwahre Quantifizierung realer Gegenstände durch Befragte entlang den Erwartungen sozialer Erwünschtheit) sowie Pseudo-Opinions (also die Angabe von Kenntnis und/oder Beurteilung von fiktiven Gegenständen) sind Phänomene, deren Persistenz in der empirischen Sozialforschung gut belegt ist und die, je nach Forschungsfrage, kleinere oder größere Probleme für die Validität von Befunden darstellen.
Ist in der Wahlforschung etwa das Overreporting von Wahlbeteiligung ein übliches Phänomen, dem unter anderem mit Gewichtungsverfahren begegnet wird, handelt es sich bei der Äußerung von Pseudo-Opinions in Befragungen um Indikatoren für die generelle Validität der Befragungsdaten: von Befragten, die bereit sind, Meinungen über Gegenstände äußern, zu denen sie – ob deren Fiktivität – gar keine Meinung haben können, sind auch weniger akkurate Beurteilungen gegenüber realen Gegenständen zu erwarten; je höher der Anteil dieser Befragten in einer Befragung ist, umso fraglicher erscheinen Befunde, die auf Basis der entsprechenden Befragungsdaten zutage gefördert werden.
Von besonderer Bedeutung sind die genannten Phänomene jedoch im Rahmen von quantitativen Gesamtnetzwerkanalysen. Hier entscheidet die Akkuranz der Antworten der Befragten wesentlich über alle Strukturparameter des Netzwerks. Unter- oder übertreiben etwa Befragte bei der Angabe ihrer Sexualkontakte, so wird ein Netzwerk, das Übertragungswege von Geschlechtskrankheiten abbilden soll, von der Wirklichkeit in grobem Ausmaß abweichen und für Analysen weitgehend untauglich sein.
In der Evaluationsforschung sind Untersuchungen der Validität quantitativer Daten von Gesamtnetzwerkanalysen mit einem Fokus auf die genannten Phänomene die Ausnahme. Als Desiderat ist dies insbesondere deshalb anzusehen, da sich Evaluationskontexte häufig durch spezifische Machtgefälle auszeichnen, in denen normative und bisweilen ökonomische Drücke für Evaluierte besondere Anreize darstellen, die Erwartungen von Evaluierenden zu antizipieren und entsprechend dieser Erwartungen, statt akkurat, zu antworten.
Im Rahmen des Vortrags werden die Ergebnisse eines quantitativen Methodenexperiments vorgestellt, die einerseits ein hohes Ausmaß von Pseudo-Opinions in der Listenabfrage einer Gesamtnetzwerkanalyse der Projekte des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ darlegen und die andererseits auf möglicherweise generalisierbare Ursachen und Folgen dieses Validitätsproblems im Evaluationskontext verweisen.